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Zum Thema Arbeitsrecht
- Dankesformel im Arbeitszeugnis: Selbst "nervige" Korrekturwünsche berechtigen nicht zur Streichung der Schlussformel
- Einschlägigkeit ist entscheidend: Abmahnung ist nicht gleich Abmahnung
- Missstände im Unternehmen: Vorsicht bei Prangermethoden dem Arbeitgeber gegenüber
- Sachlich begründete Ungleichbehandlung: Arbeitgeber darf Inflationsausgleichsprämie auf bestimmte Arbeitnehmergruppen beschränken
- Übergriffiges Verhalten: Sexuelle Belästigung führt auch nach 19-jähriger Betriebszugehörigkeit zur fristlosen Kündigung
Unter jedem Arbeitszeugnis sollte am Ende folgender Satz stehen: "Wir bedauern das Ausscheiden sehr, bedanken uns für die stets gute Arbeit und wünschen in privater und beruflicher Hinsicht alles Gute." Tatsächlich findet sich ein solcher Satz jedoch längst nicht unter jedem Zeugnis. Ein Fehler, wie der folgende Fall zeigt, der bis vor das Bundesarbeitsgericht (BAG) ging.
Eine Arbeitnehmerin hatte selbst gekündigt und ein insgesamt sehr gutes Arbeitszeugnis erhalten. Dieses enthielt eine Schlussformel, in der der Arbeitgeber ihr für ihre Arbeit dankte, ihren Weggang bedauerte und ihr für die Zukunft alles Gute wünschte. Dennoch verlangte sie eine bessere Bewertung, die der Arbeitgeber auch vornahm. Aber in diesem zweiten Zeugnis hatte die Mitarbeiterin noch einzelne Formulierungen zu beanstanden. Per Anwaltsschreiben verlangte sie deren Korrektur unter Fristsetzung sowie Androhung "weiterer rechtlicher Schritte". Selbst diese Änderungen nahm der Arbeitgeber noch vor. In dieser finalen Zeugnisfassung ließ er aber die Schlussformel mit Dank, Bedauern und guten Wünschen weg, weshalb die Mitarbeiterin klagte - zu Recht.
Die Tatsache, dass ein Mitarbeiter eine Zeugnisänderung wünscht, berechtigt den Arbeitgeber nicht, das Arbeitszeugnis zu verschlechtern. Sonst würde der Arbeitgeber gegen das Maßregelungsverbot nach § 612 Bürgerliches Gesetzbuch verstoßen. Auch die Streichung einer Dankes- und Bedauernsformel bedeutet eine Verschlechterung. Der Arbeitgeber musste diese deshalb wieder ins Zeugnis aufnehmen.
Hinweis: Ist also in einem Arbeitszeugnis einmal eine Schlussformulierung enthalten, darf diese nach Korrekturen nicht plötzlich fehlen.
Quelle: BAG, Urt. v. 06.06.2023 - 9 AZR 272/22
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 11/2023)
Der Arbeitgeber dieses Falls meinte wohl, er wäre durch den Ausspruch mehrerer Abmahnungen auf der sicheren Seite, als er einem Mitarbeiter das langjährige Arbeitsverhältnis aufkündigte. War er aber nicht, wie ihm das Arbeitsgericht Lübeck (ArbG) attestierte. Denn auch hier hat ein Arbeitgeber in Sachen Abmahnungen wieder einmal eine wichtige Voraussetzung für außerordentlich fristlose Kündigungen ignoriert.
Ein Kirchenmusiker war bei einer Kirchengemeinde seit mehr als 25 Jahren beschäftigt. Wegen seiner langjährigen Beschäftigung und dem daraus resultierenden Sonderkündigungsschutz konnte dem Mann also nicht mehr ordentlich gekündigt werden. Er erhielt im Jahr 2022 bereits drei Abmahnungen. Im Dezember 2022 sagte der Kirchenmusiker gegenüber dem Gemeindebüro verbindlich die musikalische Begleitung einer vier Tage später stattfindenden Trauerfeier zu. Noch am selben Tag sprach der zuständige Pastor die für die Trauerfeier vorgesehene Liederauswahl auf den Anrufbeantworter des Musikers. Dieser erschien aber nicht zur Trauerfeier und war auch telefonisch nicht erreichbar. Einer Bitte des Pastors um Rückruf kam er auch nicht nach. Drei Tage später entschuldigte er sich per E-Mail und begründete sein Fehlen mit einem seit Tagen anhaltenden Dauereinsatz für ein Kindermusical. Die Kirchengemeinde ging von einem vorsätzlichen Verhalten aus und kündigte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos. Dagegen klagte der Kirchenmusiker.
Das ArbG gab dem Musiker recht und damit der Kündigungsschutzklage statt. Die Richter konnten keinen Vorsatz beim Verpassen des Termins feststellen. Das fahrlässige Übersehen der Trauerfeier, die fehlende Erreichbarkeit und das Verhalten im Nachhinein waren zwar gravierende Vertragsverstöße, reichten allein aber nicht für eine außerordentliche Kündigung, für die einschlägige Abmahnungen erforderlich gewesen wären. Die gegenüber dem Kirchenmusiker bereits ausgesprochenen Abmahnungen bezogen sich aber auf ganz andere Themen und konnten deshalb nicht zur Begründung der Kündigung herangezogen werden.
Hinweis: Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Es spricht aber vieles dafür, dass sie richtig ist. Vor den meisten verhaltensbedingten Kündigungen ist zunächst eine Abmahnung erforderlich. Doch nicht jede Abmahnung taugt als Vorbereitung für eine Kündigung.
Quelle: ArbG Lübeck, Urt. v. 15.06.2023 - 6 Ca 1410/22
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(aus: Ausgabe 11/2023)
Als Arbeitnehmer Missstände in Unternehmen aufzuklären, ist zwar nach wie vor heikel, wenngleich nicht mehr unmöglich - auch dank externer Meldestellen. Was aber nach wie vor nicht geht, ist, Verdachtsmomente ohne jegliche Prüfung offiziell zu machen. Denn was dann passiert, machte das Landesarbeitsgericht Thüringen (LAG) deutlich.
Ein in einer Klinik beschäftigter Therapeut war davon überzeugt, dass sein Arbeitgeber für den Tod eines Patienten mitverantwortlich sei. Der Patient hatte ihm vor seinem Tod mitgeteilt, dass er mehrfach vergeblich um eine Untersuchung durch einen Facharzt gebeten habe. Außerdem sei seine Patientenakte entfernt und manipuliert worden. Der Mitarbeiter veröffentlichte diese Vorwürfe im Internet auf einer Gedenkseite, die er für den Patienten eingerichtet hatte. Zudem prangerte er seinen Arbeitgeber in einem Internetartikel sowie in einem Brief an. Letzterer war adressiert mit "Fachklinik für Bossing & Mobbing inkl. Verleumdungen und Datenschutzverletzungen". Der Arbeitgeber kündigte deshalb fristlos, wogegen der Mitarbeiter klagte - jedoch vergeblich.
Das LAG konnte nicht anders, als die Klage abzuweisen. Denn der Therapeut hatte sich mit seinen Vorwürfen allein auf die Aussagen des Patienten verlassen, ohne diese in irgendeiner Weise zu prüfen. Aber genau dazu wäre er verpflichtet gewesen.
Hinweis: Auch nach Inkrafttreten des Hinweisgeberschutzgesetzes im Juli 2023 dürfen Arbeitnehmer keine leichtfertigen Anschuldigungen erheben. Sie sind zudem verpflichtet, sich vor einer Veröffentlichung an eine interne oder externe Meldestelle zu wenden.
Quelle: LAG Thüringen, Urt. v. 19.04.2023 - 4 Sa 269/22
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 11/2023)
Wenn ein Arbeitnehmer eine Zahlung bekommt, heißt das noch lange nicht, dass anderen auch ein solcher Anspruch zusteht. Denn auch beim arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz sind Ausnahmen erlaubt - und zwar in den Fällen, die sachlich nachvollziehbar begründet werden können. So verhielt es sich auch in diesem Fall vor dem Arbeitsgericht Paderborn (ArbG).
Seit dem Jahr 2009 war eine Verkäuferin in Teilzeit beschäftigt. Die Arbeitgeberin hatte allen bei ihr beschäftigten Arbeitnehmern den Abschluss neuer Arbeitsverträge angeboten. Die Verkäuferin hatte das Angebot nicht angenommen. Im Jahr 2022 bekam sie keine Jahressonderleistung. Sie klagte die Zahlung ein, und die Arbeitgeberin zahlte daraufhin, woraufhin der Rechtsstreit für erledigt erklärt wurde. Wenige Zeit später wurden die Mitarbeiter darüber informiert, dass allen Mitarbeitern, die keine Sonderleistungen erhalten hatten, aufgrund der steigenden Inflation eine Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 1.000 EUR netto ausgezahlt werden. Teilzeitkräfte erhielten diese entsprechend anteilig. Die Verkäuferin erhielt keine Zahlung - und sie klagte wieder. Unter Berücksichtigung ihrer Teilzeittätigkeit verlangte sie 666 EUR und meinte, sie hätte einen Anspruch aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.
Das ArbG hat ihre Klage auf Zahlung der anteiligen Inflationsausgleichsprämie abgewiesen. Die Arbeitgeberin durfte nach sachlichen Gründen differenzieren, welcher Arbeitnehmergruppe sie einen Inflationsausgleich zukommen lassen wollte und welcher nicht. Es ging der Arbeitgeberin um eine Angleichung der Arbeitsbedingungen. Nach § 612a Bürgerliches Gesetzbuch darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht deshalb benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Denn ein Arbeitnehmer darf verlangen, dass eine rechtswidrige Benachteiligung durch den Arbeitgeber beseitigt wird. Die Beseitigung kann nur dadurch erfolgen, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer so stellt, wie er ohne die Maßregelung stünde. Die Rechtsausübung durch die Verkäuferin war aber nicht kausal für die von der Arbeitgeberin vorgenommene Maßnahme. Denn die Verkäuferin hatte ja nicht deshalb kein Geld bekommen, als sie keinen neuen Arbeitsvertrag unterschrieben hatte. Grund für die Zahlung war die Inflation. Hier hatte die Arbeitgeberin bei der Verteilung in zulässiger Weise zwischen jenen Arbeitnehmern differenziert, die bereits die Sonderzahlung erhalten hatten, und solchen Arbeitnehmern, die eine solche nicht erhalten hatten.
Hinweis: Generell muss Gleiches stets gleich behandelt werden, es sei denn, es gibt einen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung - so wie in diesem Fall.
Quelle: ArbG Paderborn, Urt. v. 06.07.2023 - 1 Ca 54/23
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(aus: Ausgabe 11/2023)
Wieder einmal wurde ein Arbeitsverhältnis aufgrund einer sexuellen Belästigung beendet, die das Arbeitsgericht Berlin (ArbG) in erster Instanz für glaubwürdig erachtete. Und eine solche schwerwiegende Pflichtverletzung kann nicht nur strafrechtlich relevant sein - sie erspart dem Arbeitgeber auch, im Vorfeld eine Abmahnung zu erteilen.
Eine Arbeitnehmerin hatte über Rückenschmerzen geklagt. Mit ihrer Einwilligung berührte ein Kollege, der hinter der Arbeitnehmerin saß, zunächst ihren Rücken, der nach Hochschieben ihrer Oberbekleidung und Öffnen des BH unbekleidet war, um diesen abzutasten. Dann aber soll der Arbeitnehmer ohne Einverständnis der betroffenen Kollegin seine Hände unter deren BH geschoben und auf ihre unbekleideten Brüste gelegt haben. Daraufhin erhielt er eine fristlose Kündigung, gegen die der Arbeitnehmer klagte.
Tatsächlich hat er seine Klage in der ersten Instanz verloren. Denn nach einer persönlichen Anhörung des Arbeitnehmers und der Vernehmung der betroffenen Kollegin als Zeugin bewertete das ArbG die Angabe des Arbeitnehmers für eine Schutzbehauptung, es habe sich um ein unbeabsichtigtes seitliches Streifen der Brüste bei dem Versuch gehandelt, den BH wieder zu schließen. Die Schilderung der Kollegin hielt das Gericht hingegen für durchaus glaubhaft. Anhaltspunkte dafür, die Kollegin wolle den Kläger zu Unrecht einer sexuellen Belästigung bezichtigen, waren zudem nicht zu erkennen. Auch eine Abmahnung war wegen der Schwere der Pflichtverletzung entbehrlich. Dabei half dem Arbeitnehmer auch seine 19-jährige Unternehmenszugehörigkeit nichts.
Hinweis: Gegen das Urteil ist noch eine Berufung möglich. Es ist schwer abzuschätzen, wie das Landesarbeitsgericht entscheiden wird. Letztendlich steht Aussage gegen Aussage. Aber wir sind hier nicht im Strafrecht. Es geht um eine Klage gegen eine Kündigung. Der Arbeitgeber hat eine Zeugin für das Fehlverhalten, nämlich die belästigte Frau.
Quelle: ArbG Berlin, Urt. v. 06.09.2023 - 22 Ca 1097/23
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 11/2023)
Zum Thema Erbrecht
- Auslegung eines Testaments: Oberlandesgericht sieht Alleinerbenstellung statt ledigliche Teilungsanordnung
- Grundbuchamt liegt falsch: Bloße Zweifel an Erbfolge reichen für Vorlage eines neuen Erbscheins nicht aus
- Nachlasspfleger ohne Zahlungsansprüche: Rentenversicherung mit festgelegten Bezugsberechtigten gehört nicht zum Erblasservermögen
- Vertretungsbefugnis für Rückgabeverlangen: Über die Rücknahme eines Ehe- und Erbvertrags aus amtlicher Verwahrung
- Vorerbe verkauft Grundstück: Über die Anhörung minderjähriger Nacherben beim Grundbuchamt
Ohne Rechtsbeistand verfasste Testamente bergen bei Verzicht auf professionelle Hilfe oft die Gefahr, durch Uneindeutigkeit erst von Gerichten eine verbindliche Interpretation zu erfahren. Im Folgenden war es in einem Erbrechtsstreit am Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG), zu entscheiden, ob eine testamentarisch bedachte Nichte zur Alleinerbin oder lediglich zur Miterbin geworden ist.
Die Erblasserin errichtete ein handschriftliches Testament, in dem sie ihre Nichte zur Erbin "von dem Gebäude" einsetzte. Des Weiteren verfügte die Erblasserin: "Alles steht ihr zur Verfügung. Sie kann bestimmen, wer noch etwas ab kommt." Abschließend enthielt die Verfügung eine Formulierung, dass eine Schwester sowie deren Tochter einen Anteil erhalten sollen. In der Folge entstand ein Streit darüber, ob mit dieser testamentarischen Verfügung die Nichte zur Alleinerbin eingesetzt wurde. Die Schwester sowie deren Tochter hatten zunächst erfolgreich einen Teilerbschein beantragt, da sie der Ansicht waren, dass alle drei Bedachten als Erben eingesetzt wurden. Dabei sei die Zuwendung des Gebäudes an die Nichte lediglich als eine Teilungsanordnung zu verstehen.
Dieser Testamentsauslegung trat das OLG aber entgegen und stellte fest, dass die von der Erblasserin getroffene Verfügung nur als Einsetzung der Nichte als Alleinerbin verstanden werden könne. Hierfür sprach, dass es sich bei der Zuwendung des Gebäudes um den wesentlichen Bestandteil des Nachlasses gehandelt hat. Aus der Formulierung "Alles steht ihr zur Verfügung" sei als eine Erweiterung der Erbenstellung zu entnehmen. Auch die weitere Formulierung "Sie kann bestimmen, wer noch etwas ab kommt" müsse losgelöst von der Immobilie betrachtet werden, da eine Immobilie schließlich grundsätzlich nicht teilbar sei. Die Befugnis, darüber zu entscheiden, ob und welche Zuwendungen die übrigen Beteiligten aus dem Nachlass erhalten sollten, hat die Erblasserin auf die Alleinerbin übertragen. In der Folge des Beschlusses wurde die Angelegenheit dennoch an das Nachlassgericht zurückverwiesen, da im Rahmen des Erbscheinsverfahrens versäumt wurde, die notwendige eidesstattliche Versicherung der Erbin einzuholen.
Hinweis: Die Erteilung einer Generalvollmacht, die über den Tod des Erblassers hinaus Geltung haben soll, steht einer Auslegung nicht entgegen, dass diese Person zugleich auch Alleinerbe werden soll. Die Vollmacht dient häufig der Vereinfachung der rechtlichen Abwicklung.
Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 28.09.2023 - 11 W 42/23
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 11/2023)
Es gilt der erbrechtliche Grundsatz, dass Eintragungen im Grundbuch so lange als richtig anzusehen sind, bis ein Nachweis erbracht ist, dass das Grundbuch unrichtig geworden ist. Diesem Leitgedanken ist auch das Oberlandesgericht München (OLG) gefolgt und hat bloße Zweifel an der Richtigkeit einer Erbenstellung als ungenügend angesehen.
Eine Grundstückseigentümerin verstarb im Juni 2022. Sie hatte einen der Beteiligten des Verfahrens zum Alleinerben eingesetzt und zudem eine Testamentsvollstreckung angeordnet. Mit notariellem Vertrag übertrug der Alleinerbe ein im Nachlass befindliches Grundstück in Erfüllung einer erbrechtlichen Anordnung an die Testamentsvollstreckerin. Das Nachlassgericht erließ daraufhin eine einstweilige Anordnung und forderte den Alleinerben zur Rückgabe der erteilten Ausfertigung des Erbscheins und die Testamentsvollstreckerin zur Herausgabe des Testamentsvollstreckerzeugnisses auf. Es hatte Zweifel an der Richtigkeit des Erbscheins. Kurz darauf verkaufte die mittlerweile eingetragene Eigentümerin das Grundstück. Das Grundbuchamt verlangte von dem beurkundenden Notar, einen neuen Erbschein als Nachweis der Alleinerbschaft nach der verstorbenen Erblasserin beizubringen. Es war der Ansicht, dass wegen der Anordnung der Testamentsvollstreckung der Alleinerbe nicht über das Grundstück hätte verfügen dürfen und aufgrund der einstweiligen Anordnung ein neuer Erbschein vorgelegt werden müsse.
Dieser Ansicht hat sich das OLG im Ergebnis jedoch nicht angeschlossen. Ist im Grundbuch für jemanden ein Recht eingetragen, wird gesetzlich vermutet, dass ihm dieses Recht auch zustehe. Zwar löst die einstweilige Anordnung zur Rückgabe des Erbscheins entsprechende Zweifel an der Richtigkeit der Erbenstellung aus - bloße Zweifel an der Richtigkeit reichen aber nicht aus. Im Übrigen habe die Testamentsvollstreckerin in die Übereignung auch eingewilligt, was ihr hier auch zustand, da die Übertragung in Erfüllung einer erbrechtlichen Verbindlichkeit erfolgte.
Hinweis: Ergibt sich, dass ein erteilter Erbschein unrichtig ist, hat ihn das Nachlassgericht einzuziehen. Mit der Einziehung wird der Erbschein kraftlos.
Quelle: OLG München, Beschl. v. 27.09.2023 - 34 Wx 240/23 e
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 11/2023)
Ob ein Nachlasspfleger Zahlungsansprüche auf eine Todesfallleistung aus einer Rentenversicherung gegen den Versicherungsträger geltend machen darf, musste das Oberlandesgericht Zweibrücken (OLG) klären.
Die im November 2020 verstorbene Erblasserin hatte bei einer Versicherungsgesellschaft eine Rentenversicherung abgeschlossen. Bezugsberechtigt im Todesfall sollten die gesetzlichen Erben der Erblasserin sein. Da aber gesetzliche Erben nach dem Tod der Erblasserin nicht bekannt waren, setzte das zuständige Nachlassgericht einen Nachlasspfleger mit dem Wirkungskreis "Ermittlung der Erben" und "Sicherung und Verwaltung des Nachlasses" ein. Der Nachlasspfleger verlangte von der Versicherungsgesellschaft die Zahlung der Todesfallleistung und widerrief vorsorglich eine etwaige Bezugsberechtigung. Der Versicherer verweigerte die Zahlung mit der Begründung, die Forderungen gehören nicht zur Erbmasse. Die Bezugsberechtigung könne nach dem Tod der Erblasserin nicht mehr widerrufen werden.
Nachdem das zuständige Landgericht dem Antrag des Nachlasspflegers zunächst stattgegeben hatte, wurde die Entscheidung durch das OLG letztinstanzlich aufgehoben. Dieses war der Ansicht, dass die Versicherungsgesellschaft allein dem festgelegten Bezugsberechtigten zur Auszahlung der Versicherungsleistung verpflichtet war. Ob es sich hierbei tatsächlich um die endgültigen Erben handelt, stand zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht fest, da diese bislang nicht ermittelt werden konnten. Der Anspruch auf die Versicherungsleistung auf der Grundlage einer Bezugsberechtigung gehört nicht zum Erblasservermögen, sondern steht mit dem Todesfall unmittelbar im Vermögen des Bezugsberechtigten - jedenfalls dann, wenn dieser klar zu ermitteln ist. Wird ein Erbe nicht namentlich benannt, muss gegebenenfalls durch Auslegung ermittelt werden, ob die Versicherungsleistung in den Nachlass fallen oder dem Begünstigten unmittelbar zugewendet werden soll. Abzustellen ist darauf, was der Erblasser zum einen wollte, zum anderen aber auch, wie der Versicherer die Erklärung des Erblassers verstehen durfte. In der Regel ist dabei davon auszugehen, dass derartige Zuwendungen am Nachlass vorbei erfolgen sollen - also gerade nicht Bestandteil des Nachlasses sind. Von einem solchen Bezugsrecht auf die Todesfallleistung ging das OLG aus. Mit dem Tod der Versicherungsnehmerin konnte dieses Bezugsrecht auch nicht mehr widerrufen werden.
Hinweis: Die Einräumung eines Bezugsrechts auf eine Todesfallleistung beinhaltet gleichzeitig auch einen Auftrag des Versicherungsnehmers an den Versicherer, dem Begünstigten nach Eintritt des Versicherungsfalls das noch zu Lebzeiten abgegebene Schenkungsangebot des Versicherungsnehmers zu überbringen.
Quelle: OLG Zweibrücken, Urt. v. 23.08.2023 - 1 U 12/23
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 11/2023)
Testamente und Erbverträge können widerrufen werden, indem sie aus einer amtlichen Verwahrung zurückgegeben werden. Für Erbverträge gilt dies in jedem Fall, sofern diese nur Verfügungen von Todes wegen enthalten. Problematisch wird es, wenn neben dem Erbvertrag auch andere zusätzliche Rechtsgeschäfte, beispielsweise ein Ehevertrag, abgeschlossen wurden. Ein solcher Vertrag war Gegenstand eines Verfahrens vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG).
Die Eheleute hatten im Jahr 2011 einen Ehe- und Erbvertrag abgeschlossen. Diese Urkunde wurde in amtliche Verwahrung genommen. Im Jahr 2018 wurde mit einer weiteren notariellen Urkunde ein gemeinschaftliches Testament errichtet. Darin erklärten die Beteiligten den Widerruf des Erbvertrags aus dem Jahr 2011; bezüglich des Ehevertrags sollte es bei der bisherigen Regelung verbleiben. Auch dieses Testament wurde in amtliche Verwahrung gegeben. Im Jahr 2022 erklärten die Beteiligten, nachdem schon vorherige Herausgabeverlangen beim Gericht gescheitert waren, die rückwirkende Aufhebung der geschlossenen Verträge. Mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten verlangten sie die Rückgabe sowohl des Erbvertrags aus dem Jahr 2011 als auch die Rückgabe des Testaments aus dem Jahr 2018.
Das Nachlassgericht hat beide Herausgabeverlangen zurückgewiesen. Bezüglich beider Urkunden war das Nachlassgericht der Ansicht, dass es sich um kombinierte Ehe- und Erbverträge handele, deren Herausgabe auch nicht durch einen Verfahrensbevollmächtigten verlangt werden könne.
Dem widersprach das OLG - zumindest teilweise. Zunächst stellte es klar, dass das Herausgabeverlangen auch durch einen Verfahrensbevollmächtigten erklärt werden kann. Richtig sei zwar, dass aufgrund der Wirkung der Rücknahme die Rückgabe der letztwilligen Verfügungen nur an die Erblasser persönlich erfolgen könne. Dies schließe aber nicht aus, dass das Rückgabeverlangen auch von einem Vertreter gestellt werden könne.
Allerdings wies das OLG das Herausgabeverlangen bezüglich des Notarvertrags aus dem Jahr 2011 deshalb zurück, weil es sich um einen kombinierten Ehe- und Erbvertrag handele, für den eine Herausgabe aus der amtlichen Verwahrung ausgeschlossen sei. Bei der notariellen Urkunde aus dem Jahr 2018 handelt es sich nach Ansicht des Gerichts nicht um einen kombinierten Erbvertrag, so dass bezüglich dieser Urkunde das Herausgabeverlangen gerechtfertigt war.
Hinweis: Für den Erblasser besteht die Möglichkeit, die Gewährung einer Einsichtnahme in die Urkunde beim Nachlassgericht zu beantragen.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 19.09.2023 - 21 W 63/23
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(aus: Ausgabe 11/2023)
Der Eigentümer eines Grundstücks hat dieses durch eine Erbschaft von seiner Mutter erhalten, wobei Nacherbfolge und Ersatznacherbfolge im Grundbuch vermerkt sind. Die Nacherben sind seine minderjährigen Kinder. Er verkaufte das Grundstück 2023. Die Käufer beantragten die Auflassung und Löschung des Nacherbenvermerks. Das Grundbuchamt sah jedoch ein Problem bei der Berichtigung des Grundbuchs - nur: warum? Das Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen (OLG) war mit der Klärung beauftragt.
Für die Löschung des Nacherbenvermerks bedarf es einer Feststellung, dass das Grundbuch unrichtig geworden ist. Das wäre der Fall, sobald das Grundstück nicht mehr im Nachlass vorhanden ist, der Verkäufer dieses also wirksam verkaufen konnte. Der befreite Vorerbe darf auch ohne Zustimmung des Nacherben eine Verfügung über den Nachlassgegenstand treffen. Dies gilt dann nicht, wenn die Verfügung (teilweise) unentgeltlich erfolgte, also keine oder eine zu geringe Gegenleistung der Übertragung gegenüberstand. Das Grundbuchamt plante deshalb, die minderjährigen Nacherben anzuhören, und setzte eine Frist zur "Einleitung der erforderlichen Maßnahmen beim zuständigen Familiengericht" zur Bestellung eines Ergänzungspflegers für die minderjährigen Kinder. Das Gericht erklärte, dass die Eintragung erst nach Anhörung der minderjährigen Nacherben erfolgen könne.
Diese Einschätzung teilte das OLG in dieser Form nicht. In dem vorliegenden Fall hatte das Grundbuchamt eine Zwischenverfügung erlassen, die nach Ansicht des Gerichts unzulässig war. Zum einen stand nicht fest, dass das Grundbuch unrichtig war, zum anderen wurden auch keine behebbaren Mängel in der Verfügung angesprochen. Eine Zwischenverfügung sollte nur erlassen werden, wenn nach Beseitigung des Hindernisses dem Antrag entsprochen werden kann. Um die Löschung des Nacherbenvermerks zu rechtfertigen, hätte nachgewiesen werden müssen, dass die Verfügung des Vorerben nicht teilweise unentgeltlich war. Das Grundbuchamt konnte diesen Beweis nur durch öffentliche Urkunden annehmen, da es keine eigenen Nachforschungen durchführen durfte. Allerdings darf es im Wege einer freien Beweiswürdigung den Vortrag der Beteiligten beurteilen, was bislang nicht erfolgt war.
Das OLG hat das Verfahren an das Grundbuchamt zurückverwiesen und auf Folgendes hingewiesen: Für das weitere Verfahren werde empfohlen, dass das Grundbuchamt die Informationen der Beteiligten überprüfen und die Möglichkeit der Anhörung der sorgeberechtigten Kindesmutter zur Gewährung rechtlichen Gehörs prüfen sollte. Wenn die Kindesmutter die Tatsachen bestätigt, die die Entgeltlichkeit der Verfügung des Vorerben belegen, wäre keine Zustimmung oder Genehmigung über das Familiengericht erforderlich und die Löschung des Nacherbenvermerks könnte erfolgen. Andernfalls müssten weitere Schritte unternommen werden.
Hinweis: Bei einem Rechtsgeschäft zwischen dem Vorerben und einem unbeteiligten Dritten kann in der Regel von einer entgeltlichen Verfügung ausgegangen werden - es sei denn, eine Schenkung ist offensichtlich.
Quelle: Hanseatisches OLG in Bremen, Beschl. v. 06.09.2023 - 3 W 14/23
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 11/2023)
Zum Thema Familienrecht
- Ablehnung wegen Befangenheit: Abgrenzung zwischen fehlerhaftem Gutachten und parteilichem Verhalten entscheidend
- Betreuungsunterhalt und Volljährigkeit: Mutter eines behinderten Kindes darf nicht überlastet werden
- Ehewohnung nach Trennung: Leistungsfähigkeit und Einkommensverhältnisse maßgeblicher als ortsübliche Marktmiete
- Uneinigkeit bei Impfung: Ohne STIKO-Empfehlung keine Alleinentscheidungsbefugnis für befürwortenden Elternteil
- Versehen der Eltern: 17-Jährige bekommt zweiten Taufnamen offiziell eingetragen
In Sorge- und Umgangsverfahren haben familienpsychologische Gutachten große Bedeutung, weil die Familiengerichte ihre Entscheidungen in der Regel mit den Feststellungen und Empfehlungen der Sachverständigen begründen. Deshalb kann sowohl ein Sachverständiger als auch ein Richter als befangen abgelehnt werden. Ebendies war Kern des Falls vor dem Oberlandesgericht Nürnberg (OLG).
Hier lief ein Sorgerechtsverfahren zwischen den getrennt lebenden Eltern eines fünfjährigen Kindes. Die Eltern behaupteten voneinander verschiedene psychiatrische Störungen; die Mutter bezichtigte den Vater sogar des sexuellen Missbrauchs des Kindes. Ein Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und psychotherapeutische Medizin sollte dem nachgehen und dem Gericht bei seiner Beurteilung helfen. Parallel dazu leitete die Mutter ein Eilverfahren ein, um den Vater vom Umgang mit dem Kind auszuschließen. In dem Eilverfahren sollte derselbe Gutachter mündlich über seine bisherigen Erkenntnisse berichten, bevor das schriftliche Gutachten fertig war. Der Gutachter legte sich dahingehend fest, dass er keine Missbrauchsanzeichen beim Kind sehe und stattdessen die Mutter für paranoid, wahnhaft und depressiv halte. Er befürchtete einen erweiterten Suizid der Mutter. Daraufhin entschied der Familienrichter im Eilverfahren einen Wechsel des Kindes von der Mutter zum Vater.
Die Mutter hatte die Auswertungsbögen ihrer Tests durch einen Experten prüfen lassen, der die Schlussfolgerungen des Gutachters nicht nachvollziehen konnte. Ihre in den Tests erreichten Werte seien lediglich "leicht erhöht" statt so dramatisch, wie vom Gutachter mündlich geschildert. Das konnte man als Laie allein aus den Auswertungsbögen nicht erkennen. Einen gegen den Gutachter gerichteten Befangenheitsantrag hatte das Amtsgericht zurückverwiesen, da der Vorwurf fehlerhafter Gutachtenerstellung infolge mangelnder Sorgfalt, unzureichender Sachkunde oder sonstiger Unzulänglichkeiten kein Thema der Unparteilichkeit sei, sondern lediglich die Qualität des Gutachtens rüge. Eine vorsätzliche Täuschung des Gerichts durch den Sachverständigen sei nicht ersichtlich.
Das OLG beurteilte das Befangenheitsgesuch hingegen als berechtigt. Es sei nicht mit Gutachtenmängeln begründet worden, sondern mit dem mündlichen Aussageverhalten des Gutachters, der den Eindruck erweckt habe, die objektiven Tests untermauerten seine subjektive Gesamteinschätzung. Er habe von "einem sehr hohen Wert für Depressivität und paranoides Erleben" bzw. über "eine deutliche Erhöhung im Bereich der Depression" gesprochen und dazu die Testauswertung zu Protokoll gegeben. Ohne besondere Sachkunde müsse sich das Gericht daher auf die Erläuterungen des Gutachters verlassen können und hier annehmen, dass die Mutter nicht nur nach der subjektiven Einschätzung des Sachverständigen, sondern auch nach korrekter psychologischer Testung deutliche Auffälligkeiten in den Bereichen "Depression" und "paranoides Denken" habe. Allerdings lagen ihre Werte im untersten Bereich der Auffälligkeiten.
Das Beschwerdegericht konnte daher nachvollziehen, dass sich für die Antragstellerin der Schluss ergibt, dass ein Sachverständiger, der bereits in einem mündlichen Gutachten zu ihrem Nachteil unsauber gearbeitet hat, ihr nicht mehr ergebnisoffen gegenübertritt. Ob er sie für das weitere Verfahren neutral und unbefangen begutachten würde, ist für die Beurteilung der Ablehnung ebenso irrelevant wie die Frage, ob er das Gericht vorsätzlich getäuscht habe. Entscheidend ist die aus Sicht der Antragsgegnerin bei vernünftiger Betrachtung begründete Befürchtung, es könnte dem Sachverständigen an der gebotenen Neutralität mangeln.
Hinweis: Mit einem Befangenheitsantrag darf man nicht zaudern: Er muss binnen zwei Wochen nach der Ernennung des Gutachters gestellt werden, wenn zu diesem Zeitpunkt bereits Vorbehalte gegen seine Person bestehen - oder binnen zwei Wochen, nachdem erkennbar ist, dass er möglicherweise nicht unparteilich arbeitet.
Quelle: OLG Nürnberg, Beschl. v. 28.08.2023 - 7 WF 622/23
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 11/2023)
Einer der Gründe, warum nach der Scheidung noch Unterhalt an den Expartner zu zahlen ist, ist die Kinderbetreuung. In dem Umfang, in dem die Kinderbetreuung an Erwerbstätigkeit hindert, schuldet der andere Elternteil quasi Ersatz des Verdienstausfalls. Die typische Fallgestaltung hierfür sind kleine Kinder bis zum Ende des Grundschulalters. Dass dies bei besonders betreuungsbedürftigen Kindern jedoch auch über die Volljährigkeit hinaus gilt, hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) bestätigt.
Das zweite Kind der Eheleute war 2004 mit Gendefekten (Trisomie 18 sowie Monosomie 2q) geboren worden, die mit tiefgreifenden Entwicklungsstörungen und schwerster Intelligenzminderung einhergehen. Das Kind hat einen Grad der Behinderung von 100 und Pflegegrad 4. Der Medizinische Dienst Hessen stellte einen Pflegeaufwand von 70 Stunden pro Woche fest. Die Werktage (7:45 Uhr bis 15:45 Uhr, freitags bis 12:30 Uhr) verbringt das behinderte Kind in einer Werkstatt für Behinderte, samstags betreut der Vater das Kind tagsüber für sieben Stunden. Die übrige Betreuung wird von der Mutter geleistet, die deshalb nicht erwerbstätig ist und Unterhalt vom geschiedenen Ehemann als Vater des Kindes begehrt. Ihre Zeit mit dem Kind ist von vielen Terminen (Ärzte, Physiotherapie) und häuslichen Trainings mit dem Kind gefüllt, zudem gibt es etlichen organisatorischen Aufwand im Zusammenhang mit Operationen des Kindes. Im Streit um den Nachscheidungsunterhalt bestritt der Vater den tatsächlichen Umfang des Pflegeaufwands der Mutter und meinte, eine 25-Wochenstunden-Erwerbstätigkeit sei möglich, während das Kind tagsüber fremdbetreut sei. Zudem sei das volljährige Kind nicht mehr auf die persönliche Betreuung seiner Mutter angewiesen. Daher sei es sowieso sinnvoll, das Kind aus der Familienpflege in eine Wohngruppe zu geben.
Mit dem Argument eines Auszugs befasste sich das Familiengericht erst gar nicht, denn der Aufenthalt des Kindes war Streitthema zwischen den Eltern beim dafür zuständigen Betreuungsgericht. Die Mutter war vorläufig zur gesetzlichen Betreuerin bestellt worden und durfte daher zurzeit über den Lebensmittelpunkt des Kindes entscheiden.
Das OLG rechnete aus, dass die Mutter trotz der Fremdbetreuung in der Ausbildungswerkstatt höchstens drei Wochenstunden erwerbstätig sein könne. Es sei zu beachten, dass die Erwerbstätigkeit nicht zu einer überobligationsmäßigen Belastung des betreuenden Elternteils führen darf. Möge auch der konkrete Zeitaufwand nicht benannt und nachgewiesen worden sein, könne unter Berücksichtigung der Gesamtumstände jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, dass überhaupt noch Zeit zur Aufnahme einer teilschichtigen Erwerbstätigkeit verfügbar wäre. Angesichts der Tatsache, dass die Frau über keinerlei Berufsausbildung und -erfahrung verfüge, erschien dem OLG die Suche nach einer Drei-Wochenstunden-Tätigkeit sinnlos.
Hinweis: Die Überlegung, dass die Fremdbetreuung von Kindern nicht automatisch eine Erwerbstätigkeit der Mutter in genau demselben Umfang ermöglicht, gilt auch für jüngere Kinder. Immer muss auf die "Gesamtbelastung" geachtet werden, denn dem anderen Elternteil wird in der Regel auch nicht mehr als eine 40-Stunden-Woche im Dienste der Familie abverlangt. So hatte sich der Bundesgerichtshof bereits 2009 positioniert.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 05.09.2023 - 6 UF 69/23
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 11/2023)
Wenn Eheleute eine gemeinsame Immobilie besitzen und einer auszieht, wird sich die Frage nach einer "Miete" stellen. Wenn zwischen den Eheleuten eine Unterhaltsbeziehung besteht, wird das dort rechnerisch über den "Wohnvorteil" geregelt. In anderen Fällen muss gesondert eine "Nutzungsentschädigung" begehrt werden. Dies versuchte im Folgenden auch ein in Trennung lebender Mann und Vater - doch vor dem Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) war damit Schluss.
In diesem Fall zahlte der Mann Mindestunterhalt für die drei Kinder, die mit der Ehefrau und Mutter im Eigenheim wohnten - damit fehlte ihm Geld, um auch noch Trennungsunterhalt zu zahlen. Weil es sich um eine "Luxusimmobilie" handelte, setzte der Mann zwei Jahre nach seinem Auszug eine Marktmiete i.H.v. 3.700 EUR monatlich an und verlangte hiervon die Hälfte. Das hätte die Frau, die wegen der Kinder nur Teilzeit arbeitete, sich nicht leisten können. Letztlich wollte er damit auch ihren Auszug und den Verkauf des Hauses erreichen.
Wo das Familiengericht die Frau noch zu einer monatlichen Nutzungsentschädigung von 442 EUR verpflichtet hatte, sah das OLG selbst das als zu viel an. Sie musste nichts zahlen. In der Regel treffe es zwar durchaus zu, dass dem ausgezogenen Ehegatten spätestens nach dem ersten Trennungsjahr die Hälfte der Marktmiete zustehe. Im Einzelfall sei aber dieses Nutzungsentgelt zu reduzieren - und hier auf null -, wenn der im Haus verbliebene Ehegatte wirtschaftlich nicht leistungsfähig ist und das nicht über den Unterhalt korrigiert werden könne, weil es auf der anderen Seite ebenso an der Leistungsfähigkeit fehle. Damit missbilligte das OLG auch, dass der Ehemann bis zur Trennung gut verdient hatte, aktuell ein luxuriöses Auto geleast habe (Neuwert knapp 200.000 EUR) und sich für den Kindes- und Trennungsunterhalt erfolgreich "arm rechnete". Ebenso eine Rolle spielte bei der Billigkeitsabwägung das Interesse der Kinder, in diesem Haus zu wohnen.
Hinweis: Hätte der Mann die begehrte monatliche Nutzungsentschädigung von 1.850 EUR bekommen, hätte er aus diesen Einkünften Unterhalt zahlen müssen - insofern sind die Abwägungen des OLG im Ergebnis pragmatisch.
Quelle: OLG Stuttgart, Beschl. v. 13.07.2023 - 18 UF 97/22
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(aus: Ausgabe 11/2023)
Wenn Eltern uneins darüber sind, ob und wogegen ihr Kind geimpft werden soll, kann jeder beim Familiengericht beantragen, für diese Entscheidung die "Alleinentscheidungsbefugnis" zu bekommen. Denn auch eine Routineimpfung ist eine "Angelegenheit von besonderer Bedeutung", bei der beide Sorgeberechtigten zustimmen müssen. Und da auch mit Ende der Corona-Pandemie die Diskussion darüber nicht versiegt ist, musste sich das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) im Folgenden erneut der Thematik annehmen.
Hier beantragte der Vater eines Sechsjährigen die alleinige Entscheidungsbefugnis über die Impfung des Kindes. Dabei ging es um die Immunisierung gegen das Rotavirus, Tetanus, Diphtherie, Keuchhusten, Haemophilus influenzae Typ b (hib), Kinderlähmung, Hepatitis B, Pneumokokken, Meningokokken C, Masern, Mumps, Röteln und Windpocken. Ein ärztliches Attest bescheinigte, dass bei dem Kind keinerlei relevante körperliche Gesundheitsstörungen festgestellt werden konnten und auch dargelegte Darmbeschwerden hierbei keine Kontraindikation für die begehrten Schutzimpfungen darstellten würden. Die Kindesmutter hingegen wandte sich gegen den Antrag, da sie bereits bei ihrem älteren Sohn nach einer Sechsfachimpfung plus Meningokokkenimpfung schrilles Schreien sowie massives Überstrecken feststellen musste und sich ein neurologischer Impfschaden durch Einschlafstörungen angedeutet habe. Zudem sei es zum vorübergehenden Verlust motorischer Fähigkeiten gekommen. Sie machte geltend, dass bei ihrem Sechsjährigen verschiedene Kontraindikationen vorlägen, so dass er nicht gemäß den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut (STIKO) geimpft werden sollte.
Das erstinstanzliche Amtsgericht gab dem Antrag des Vaters statt. Etwas differenzierter sah es nun das OLG. Die allgemeine Handhabung in der Rechtsprechung ist es (z.B. bei Masern- und Corona-Impfungen), dass der Elternteil, der nach den Empfehlungen der STIKO impfen will, dafür die Alleinsorge bekommt. Das Veto des anderen stellt dann kein Hindernis mehr dar. Anders verhält sich dies aber beispielsweise bei Nachholimpfungen gegen das Rotavirus, Haemophilus influenzae Typ b (hib) oder Pneumokokken. Da hierzu keine Empfehlungen der STIKO vorliegen, kann auch keine Impfnotwendigkeit im Ausnahmefall geltend gemacht werden. Ohne Zustimmung des zweiten Elternteils kann in diesen Fällen nicht geimpft werden. Und genau hier trennt sich das OLG von der Vorinstanz und hob auf Beschwerde der Mutter den Beschluss auf, dem Vater die Entscheidungsbefugnis über eine Impfung des Kindes gegen Rotavirus, Haemophilus influenzae Typ b (hib) und Pneumokokken zu übertragen. Im Übrigen wurde die Beschwerde der Mutter aber zurückgewiesen.
Hinweis: In der ärztlichen Praxis wird die Zustimmung des zweiten Elternteils in der Regel unterstellt. Wer also gegen die Impfung ist, sollte den Kinderarzt aktiv darüber informieren.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 11.07.2023 - 6 UF 53/23
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(aus: Ausgabe 11/2023)
Bei Irrtümern bleibt selbst Gerichten bei aller Einsicht und allem Verständnis oft nicht viel übrig, als mit den Achseln zu zucken. Doch dass dies bei weitem nicht immer der Fall ist, zeigt das Urteil des Oberlandesgerichts München (OLG), bei dem die Eltern einer Teenagertochter sich einst irrten, als es um deren Namenseintragung ging.
Nach der Geburt im Jahr 2005 hatten die Eltern ihr Kind beim Standesamt mit nur einem Vornamen angemeldet, obwohl nach der Familientradition ein zweiter Vorname vorgesehen war. Das schien ihnen lange nicht aufgefallen zu sein, denn sowohl bei der Taufe als auch bei der Anmeldung in der Schule gaben sie den zweiten Vornamen mit an. Auf allen Schulzeugnissen der inzwischen 17-Jährigen standen beide Vornamen - nur im Personalausweis und im Pass nicht. Erst Ende 2022 beantragten die Eltern mit Zustimmung des Kindes die Eintragung des zweiten Vornamens in das Geburtenregister.
Das Amtsgericht lehnte den Antrag zwar noch ab, das OLG aber gewährte Eltern und Kind ihren Wunsch. Zwei Gründe waren dafür ausschlaggebend: Zum einen sei bei Gesamtwürdigung aller Umstände davon auszugehen, dass die Eltern bereits bei der Anzeige der Geburt den Willen hatten, der Betroffenen den Namen "Franziska Emma" zu geben. Dies ergebe sich aus der Familientradition (Großmutter und Urgroßmutter hießen Emma) und daraus, dass sowohl die Taufe als auch die Einschulung unter dem doppelten Vornamen stattgefunden haben. Wenn aber die Eltern von Anfang an diese Sorgerechtsentscheidung getroffen und nur aus Versehen nach einer schweren Geburt das Formular unvollständig ausgefüllt hatten, sei das Geburtenregister von Anfang an unrichtig gewesen und zu berichtigen. Das Gericht glaubte an das Versehen der Eltern. Deshalb ergebe sich zusätzlich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ein Anspruch auf die beantragte Ergänzung.
Geschützt durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht dient der Name eines Menschen nicht nur als Unterscheidungs- und Zuordnungsmerkmal, sondern ist darüber hinaus Ausdruck seiner Identität und Individualität. Dies gilt insbesondere für die Wahl des Vornamens, der der Individualität einer Person Ausdruck verleiht, den Einzelnen bezeichnet und diesen von anderen unterscheidet. Wenn sich für einen Menschen durch den tatsächlich geführten Namen eine Identität und Individualität des Namensträgers herausgebildet und verfestigt hat und sich im Vertrauen auf die Richtigkeit der Namensführung auch herausbilden durfte, ist auch der tatsächlich geführte Name jedenfalls dann vom Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts umfasst.
Hinweis: Ein abgeschlossener Registereintrag darf gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Personenstandsgesetz nur auf Anordnung des Gerichts berichtigt werden. Dies setzt voraus, dass die Eintragung von Anfang an unrichtig war.
Quelle: OLG München, Beschl. v. 31.08.2023 - 31 Wx 77/23
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(aus: Ausgabe 11/2023)
Zum Thema Mietrecht
- Mieterhöhung zu früh? Bei Kappungsgrenze ist keine zeitanteilige Kürzung vorgesehen
- Neues zur Eigenbedarfskündigung: Erledigt sich Rechtsstreit vor Entscheidungsreife, entscheidet Beweisantizipation über dessen Kosten
- Nur vor schwerem Unwetter: Vermieter muss Müllcontainer nach Leerung nicht sofort auf das Grundstück zurückbringen
- Sachverständigengutachten vonnöten: Ortsübliche Vergleichsmiete keine Basis für Mieterhöhung einer teilgewerblich genutzten Wohnung
- Vermögen der Eigentümergemeinschaft: Neues zur Instandhaltungsrücklage bei einer Eigentumswohnung
Bei bestehenden Mietverhältnissen regeln sogenannte Kappungsgrenzen die zulässigen Erhöhungen für einen Zeitraum von jeweils drei Jahren - meist maximal um 20 % (nie jedoch höher als die ortsübliche Vergleichsmiete). Das Landgericht Lübeck (LG) musste beantworten, ob dieses Zeitlimit ab Anmietung für drei Jahre gilt.
Jene Mieter, die wegen einer Mieterhöhung diesen Streit gerichtlich geregelt haben wollten, waren nämlich der Auffassung, dass die Kappungsgrenze nicht eingehalten worden sei. Denn eine Mieterhöhung um volle 20 % hätte ihres Erachtens erst nach drei Jahren des Bestehens des Mietverhältnisses erfolgen dürfen.
Mit dieser Argumentation kamen sie beim LG allerdings nicht weiter. Auch bei einer Mieterhöhung vor Ablauf von drei Jahren ab Mietvertragsbeginn können die gesetzlich festgelegten maximalen 20 % voll ausgeschöpft werden. Eine zeitanteilige Kürzung der Kappungsgrenze findet dabei nicht statt.
Hinweis: Möchte ein Vermieter die Miete anheben, muss er zwei Grenzen beachten: die ortsübliche Vergleichsmiete und die sogenannte Kappungsgrenze. Die Kappungsgrenze bedeutet, dass die Miete innerhalb von drei Jahren um nicht mehr als 20 % steigen darf. In über 400 Städten ist diese Grenze auf 15 % begrenzt.
Quelle: LG Lübeck, Urt. v. 29.06.2023 - 14 S 95/22
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 11/2023)
In diesem Fall des Landgerichts Lübeck (LG) ging es glücklicherweise "nur noch" um Geld. Dies sei nur deshalb erwähnt, weil es bei Eigenbedarfskündigungen oft um den Verlust der heimischen vier Wände geht, der auch tragische(re) Folgen haben kann. Die Frage hier war, wer die Kosten des Rechtsstreits tragen muss, wenn der vom klagenden Wohnungseigentümer begehrte Auszug bereits vor Entscheidungsreife vonstatten gegangen ist.
Ein Vermieter hatte eine Mietwohnung wegen Eigenbedarfs gekündigt. Als die Mieterin nicht auszog, verklagte er sie auf Räumung. Doch zwei Monate nach der Klageerhebung zog die Mieterin dann doch aus, einen Tag nach der Räumung zog dann die Tochter des Vermieters ein. Der Rechtsstreit wurde für erledigt erklärt und das Gericht entschied, dass beide Parteien jeweils die Hälfte der Kosten tragen sollte. Dagegen wandte sich der Vermieter - mit Erfolg.
In dem Fall war der Rechtsstreit bei Eintritt des erledigenden Ereignisses - Auszug der Beklagten und Einzug der Tochter des Klägers - noch nicht entscheidungsreif. Entsprechend gab es auch keine Beweisaufnahme, die Sache erschien ja erledigt. Was die Kosten angeht, musste das LG mit seiner Expertise nun also mutmaßen, wie der Rechtsstreit entschieden worden wäre. Demgemäß hätte der Vermieter mit großer Wahrscheinlichkeit gewonnen, da eine entsprechende Beweisaufnahme mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in seinem Sinne verlaufen wäre. Schließlich war die Tochter nicht nur einzugswillig, sondern auch tatsächlich eingezogen. Es handelte sich also nicht mehr um eine sogenannte bloße Vorratskündigung. Eine solche liegt nämlich dann nicht mehr vor, wenn sich der Überlassungswille soweit "verdichtet" hat, dass ein konkretes Interesse an einer schnellen Eigennutzung besteht. Hieran bestanden nach Einzug der Tochter keine Zweifel. Somit musste die Mieterin die Kosten des erledigten Rechtsstreits zahlen.
Hinweis: Für Mieter ist es extrem schwierig, vorab abzuschätzen, ob eine Eigenbedarfskündigung nur vorgeschoben ist oder nicht. Zieht der Mieter aufgrund einer Eigenbedarfskündigung aus, und stellt sich später heraus, dass der Kündigungsgrund gar nicht bestand, hat sich der Vermieter schadensersatzpflichtig gemacht. Auch dazu gibt es bereits eine Reihe von Urteilen, in denen der Vermieter den Kürzeren gezogen hat.
Quelle: LG Lübeck, Urt. v. 15.06.2023 - 11 C 228/22
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(aus: Ausgabe 11/2023)
Wer haftet eigentlich ab welchem Zeitpunkt unter welchen äußeren Umständen, wenn ein Müllcontainer gegen ein Auto rollt und dadurch ein Schaden entsteht? Diese Fragen hatte das Landgericht Darmstadt (LG) zu beantworten, bei dem es immerhin um einen Fahrzeugschaden in Höhe von knapp 9.000 EUR ging.
Ein großer Müllcontainer, der vor der Garage stand, wurde gegen ein dort ebenfalls abgestelltes Fahrzeug geweht und beschädigte den Pkw. Nun verlangte der Halter des Fahrzeugs Schadensersatz von der Vermieterin der Immobilie, auf der sein Auto gestanden hatte. Er meinte, die Müllcontainer hätten nach der Leerung zu lange ungesichert auf der Straße gestanden. Ein sorgfältig arbeitender Verantwortlicher hätte die Müllcontainer unmittelbar nach der Leerung wieder in die Garage gebracht. Eine Verkehrssicherungspflicht sei verletzt worden, und es ging hier immerhin um knapp 9.000 EUR. Der Mann scheiterte jedoch mit seiner Klage.
Ein Vermieter genüge laut LG seiner Verkehrssicherungspflicht bereits dann, wenn er Sorge dafür trägt, dass Müllcontainer standsicher sind. Die Standsicherheit wird gewährleistet, sobald die dafür vorgesehenen Pedalbremsen benutzt werden. Der Vermieter darf sich dabei grundsätzlich darauf verlassen, dass das Müllentsorgungsunternehmen auch die Pedalbremse betätigt, und müsse lediglich bei angekündigtem schweren Unwetter geeignete weitere Sicherungsmaßnahmen in Betracht ziehen. Generell liege die Verantwortung für die nach der Leerung auf die Straße gestellten Container aber beim Entsorgungsunternehmen. Und da weder eine Unwetterlage vorlag noch der Kläger überhaupt habe nachweisen können, dass sein Fahrzeug durch Mülltonnen der Beklagten beschädigt wurde, ging er in Sachen Schadensersatz hier auch leer aus.
Hinweis: Der Vermieter haftet also in der Regel nicht für vom Winde verwehte Müllcontainer.
Quelle: LG Darmstadt, Urt. v. 23.06.2023 - 19a O 23/23
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(aus: Ausgabe 11/2023)
Im Wohnraummietrecht ist es recht einfach: Der Vermieter nimmt sich den Mietspiegel vor und schaut nach der entsprechenden Vergleichsmiete. Doch wenn die Wohnung auch teilgewerblich genutzt wird, wird es schwieriger - so auch im folgenden Fall des Landgerichts Berlin (LG).
Es ging um einen Mietvertrag über eine knapp 140-m²-Wohnung, von der knapp 40 m² von den Mietern gewerblich genutzt wurden. Nun hatte der Vermieter die Miete unter Zugrundelegung der ortsüblichen Vergleichsmiete erhöht. Dagegen klagten die Mieter. Sie forderten die Festsetzung der zulässigen Miete und verlangten die Rückzahlung überzahlter Miete.
Das LG stellte tatsächlich Fehler bei der Feststellung der Miethöhe fest: Die Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete und der preisrechtlich zulässigen Miete erfordert bei einer dem Mieter nicht ausschließlich zu Wohnzwecken, sondern auch zur teilgewerblichen Nutzung überlassenen Wohnung grundsätzlich die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Das war jedoch weder durch den Vermieter noch durch das erstinstanzliche Amtsgericht eingeholt worden.
Hinweis: Die Mieterhöhung bei einer Wohnung, die auch gewerblich genutzt wird, ist also nicht ganz einfach. Es ist ein Sachverständigengutachten einzuholen. Nur so kann der Vermieter eine sachgerechte Miethöhe finden.
Quelle: LG Berlin, Urt. v. 13.06.2023 - 67 S 160/22
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 11/2023)
Für Reparaturen und Ähnliches bildet eine Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) eine Instandhaltungsrücklage. Die Frage, was mit dem Geld im Fall des Verkaufs einer Wohnung passiert, war Kern des Falls, der vor dem Oberlandesgericht Koblenz (OLG) landete.
Eine Frau kaufte eine Eigentumswohnung. Die Kaufvertragsparteien vereinbarten einen Ausschluss sämtlicher Ansprüche und Rechte wegen eines Sachmangels. Folgendes war jedoch auch geregelt: "Der Anteil an der Instandhaltungsrücklage beträgt ... 31.530 EUR, ist im Kaufpreis enthalten und geht mit Besitzübergang über." Auf dem Konto der WEG befanden sich zu dieser Zeit 52.550 EUR, wobei der Anteil an der zweigliedrigen Eigentümergemeinschaft rechnerisch einem Betrag von 31.530 EUR entsprach. Ein Beschluss über die Verwendung des Geldes lag zum Beurkundungszeitpunkt nicht vor. Im Expose der Maklerin hatte Folgendes gestanden: "Anstehende Investitionen: Dachsanierung ca. 30.000 EUR; Rücklagen vorhanden ..." Die Frau war somit davon ausgegangen, dass die Rücklage für die Sanierung des Dachs auch tatsächlich vorhanden war. Jedoch handelte es sich bei dem auf dem Konto vorhandenen Betrag nicht um eine Instandhaltungsrücklage, sondern um einen Betrag aus Schadensersatzforderungen gegen Bauunternehmen, der folglich auch zur weiteren Schadensbeseitigung benötigt wurde und nicht für die Dachsanierung verwendet werden konnte. Deshalb wollte die Käuferin die 31.530 EUR von der Verkäuferin zurückerhalten und klagte - vergeblich.
In Augen des OLG lag keine sogenannte Beschaffenheitsvereinbarung vor, sondern lediglich eine Wissenserklärung oder Wissensmitteilung, mit der der Verkäufer die Angaben eines Dritten wiedergibt. Gegen die Annahme, der Verkäufer einer Eigentumswohnung wolle die vertragliche Garantie für eine bestimmte Höhe der Instandhaltungsrücklage in einem nach dem angegebenen Stichtag liegenden Beurkundungszeitpunkt oder gar im Zeitpunkt des Gefahrübergangs übernehmen, spricht bei interessengerechter Auslegung auch, dass die anteilige Instandhaltungsrückstellung nicht Vermögen des Wohnungseigentümers, sondern der WEG ist. Über einen "Anteil" hieran kann der einzelne Wohnungseigentümer daher nicht verfügen.
Hinweis: Beim Kauf einer Eigentumswohnung sollte der Käufer also genau nachfragen, wie hoch die Rücklage ist, wem sie gehört und was von dem Geld tatsächlich auf den Konten vorhanden ist. So kann späterer Streit vermieden werden.
Quelle: OLG Koblenz, Urt. v. 17.05.2023 - 15 U 1098/22
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(aus: Ausgabe 11/2023)
Zum Thema Sonstiges
- 40 Jahre alte Kindesentführung: Damaliges Opfer wehrt sich erfolgreich gegen filmische Verwendung von Fotos und Brief
- Abgerittener Renngaul? Dressur- und Springausbildung sind beim Kauf eines gesunden elfjährigen Pferds keine Nachteile
- Beweislastverteilung: Wenn 120.000 EUR im Bankschließfach fehlen
- Schadensersatzanspruch verneint: Landgericht sieht keine Pflichtverletzung eines Anwalts während Vergleichsverhandlungen
- Vorsicht vor Hacks: Keine konkrete Vorgaben für Sicherheitsvorkehrungen im geschäftlichen E-Mail-Verkehr
Eine Straftat wie die hier betreffende Kindesentführung gehört zum sogenannten Zeitgeschehen, und das bedeutet, dass Medien die Aufgabe zukommt, dieses Verbrechen der Öffentlichkeit darzulegen. Wo aber liegt hier die Grenze? Ist es zulässig, auch noch über 40 Jahre später die damaligen Opfer mit Bildnissen in sehr persönlicher Weise in ihrer Opferrolle darzustellen? Diese Frage ging bis vor den Bundesgerichtshof (BGH), und wie dieser antwortete, lesen Sie hier.
Eine Frau war im Jahr 1981 als Achtjährige entführt und etwa fünf Monate später nach Zahlung eines Lösegelds freigelassen worden. Der Journalist T. hatte damals zwischen deren Eltern und den Entführern vermittelt. Eine Rundfunkanstalt sendete in ihrem Programm den Filmbeitrag "Entführte Kinder - Die Fälle K. und v. G" und hielt diesen im Internet zum Abruf bereit. Im Mittelpunkt des Beitrags stand der Journalist T., der erstmals öffentlich seine Erinnerungen an diese und an eine andere Kindesentführung schilderte. Im Filmbeitrag wurden zwei Fotos des Opfers gezeigt, die einige Wochen vor der Entführung gemacht und den Ermittlungsbehörden übergeben worden waren. Sie dienten während der Entführung, die nicht aufgeklärt werden konnte und mittlerweile verjährt ist, zur öffentlichen Suche. Auf einem weiteren im Filmbeitrag gezeigten Bild war das Mädchen gemeinsam mit seiner Mutter auf der Titelseite einer Illustrierten zu sehen. Dieses Foto war nach der Freilassung des Kindes aufgenommen worden. Zudem wurden ein von dem Kind während ihrer Entführung geschriebener Brief und der Audiomitschnitt eines ebenfalls während der Entführung geführten Telefongesprächs wiedergegeben. Das damals entführte Kind - heute eine erwachsene Frau - verlangte nun von der Rundfunkanstalt die Unterlassung von Teilen der Filmberichterstattung, insbesondere die Wiedergabe von drei Lichtbildern, des Briefs und des Audiomitschnitts.
Der BGH gab der Klage der Frau statt. Eine solche Straftat gehöre zwar durchaus zum Zeitgeschehen, dessen Vermittlung Aufgabe der Medien sei. Dennoch überwiegen die schutzwürdigen Interessen der Medien nicht diejenigen der damaligen Opfer, wenn es denen um den Schutz davor geht, dass ihre Bildnisse Jahrzehnte nach der Entführung dazu verwendet werden, sie in sehr persönlicher Weise in ihrer Opferrolle darzustellen.
Hinweis: Medien haben eine besondere Verantwortung, insbesondere gegenüber den Opfern einer Straftat. Das wird gelegentlich vergessen.
Quelle: BGH, Urt. v. 06.06.2023 - VI ZR 309/22
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(aus: Ausgabe 11/2023)
Käufe und Verkäufe von Tieren finden täglich tausendfach in Deutschland statt. Und selbstverständlich gibt es auch hierbei Regeln. Ob eine fehlerhafte Formulierung im Kaufvertrag über ein Pferd so regelwidrig ist, dass sie automatisch einen Rücktritt vom Kaufvertrag ermöglicht oder gar den Umstand einer Täuschung erfüllt, musste das Oberlandesgericht Oldenburg (OLG) entscheiden.
Eine Frau kaufte ein Pferd für 4.500 EUR. Im Kaufvertrag war angegeben, dass das Pferd nur freizeitmäßig geritten worden sei und keine Dressur- und Springausbildung habe. Nach der Übergabe des Pferds stellte sich heraus, dass es früher als Rennpferd eingesetzt worden war. Die Käuferin erklärte den Rücktritt vom Kaufvertrag, hilfsweise die Anfechtung wegen Täuschung. Als die Verkäuferin die Ansprüche ablehnte, klagte die Käuferin.
Allerdings wies das zuständige Landgericht die Klage ab - eine Entscheidung, die das OLG nun auch bestätigte. Stellt sich nach dem Kauf eines gesunden elf Jahre alten Pferds heraus, dass dieses früher als Rennpferd eingesetzt worden war, stellt dies keinen Mangel der Kaufsache dar. Degenerative Gelenkerkrankungen stehen generell in keinem Zusammenhang mit einer früheren Nutzung als Rennpferd, sondern beruhen vielmehr auf Alter, Art und Qualität der Haltung des Tiers. Bei einem elf Jahre alten Tier ist insofern ohnehin mit Veränderungen zu rechnen. Zudem habe ein Sachverständiger festgestellt, dass Einschränkungen in der "Nutzbarkeit" bei einem ehemaligen Rennpferd nicht eher zu erwarten seien als bei einem Pferd, das nur als Freizeitpferd genutzt worden sei. Auch die anderslautende Formulierung im Kaufvertrag rechtfertige keine andere Entscheidung, da diese so zu verstehen sei, dass aus einer fehlenden Ausbildung gerade eben keine Ansprüche hergeleitet werden sollten. Umgekehrt könne daher nicht gefolgert werden, dass die Parteien rechtsverbindlich vereinbart hätten, das Pferd sei von jeher nur als Freizeitpferd genutzt worden.
Hinweis: Bei Mängeln am Kaufgegenstand - sei es eine Sache oder ein Tier - kann der Rechtsanwalt weiterhelfen.
Quelle: OLG Oldenburg, Urt. v. 16.08.2023 - 4 U 72/22
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(aus: Ausgabe 11/2023)
Wer sich ein Bankschließfach anmietet, hat womöglich mehr Werte zu sichern, als die eigenen vier Wände zu schützen imstande sind. Der Fall des Landgerichts Dortmund (LG) zeigt auf, was dabei zu beachten ist. Denn nicht nur die Bank trägt hierbei Verantwortung - auch Mieter eines Schließfachs müssen auf Nummer sicher gehen, um im Verlustfall beweisen zu können, dass verwahrte Werte abhanden gekommen sind.
Eine Frau hatte bei einer Bank ein Schließfach und einen entsprechenden Mietvertrag über das Schließfach abgeschlossen. Im Mietvertrag war vereinbart worden, dass die Bank einen Betrag bis zu 200.000 EUR gegen Zerstörung, Beschädigung und Einbruchsdiebstahl/Raub versichern würde. Die Frau erteilte auf einem Vordruck unter anderem ihrem Ehemann eine Vollmacht, die sie nur vier Monate später widerrief. Am selben Tag hob die Frau von ihrem Konto 125.000 EUR in bar ab, von denen sie eigenen Angaben zufolge 120.000 EUR sogleich im Schließfach hinterlegte. Einige Tage später wurde der Ehemann, von dem die Frau getrennt lebte, als Besucher des Schließfachs in die Besucherkartei aufgenommen. Da er von dem Widerruf keinerlei Kenntnis gehabt habe, wolle sie ihm auch keinen Vorwurf machen und auch keine Anzeige erstatten. Die Schuld treffe nur die Bank, von der sie die Summe erstattet erhalten wolle - denn das Geld war weg. Was damit passiert sei, wisse die Frau nicht. Schließlich klagte sie.
Die Bank hatte zwar ihre Pflichten verletzt, indem sie dem Ehemann Zutritt zu dem Schließfach gewährt hatte. Die Richter des LG waren jedoch der Auffassung, dass durch diese Pflichtverletzung kein Schaden entstanden sei. Die Frau habe schlichtweg nicht beweisen können, dass sie das Geld in das Schließfach gelegt und dass ihr Mann das (verbotenerweise) wieder herausgenommen hatte. Ihren Ehemann als Zeugen benennen wollte sie nicht. Und so konnte sie den entsprechenden Beweis nicht pflichtgemäß erbringen - die Klage war abzuweisen.
Hinweis: Hier hätte die Frau doch lieber ihren Ehemann als Zeugen benennen sollen. So hat sie nichts erhalten. Andererseits steht zu vermuten, dass der Ehemann vermutlich nicht ausgesagt hätte, dass er die 120.000 EUR im Bankschließfach gefunden und an sich genommen habe.
Quelle: LG Dortmund, Urt. v. 16.06.2023 - 3 O 514/22
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(aus: Ausgabe 11/2023)
Jeder Rechtsanwalt hat verschiedene Aufklärungspflichten gegenüber seinen Mandanten. Diese Pflichten verschärfen sich noch, wenn ein gerichtlicher Vergleich abgeschlossen werden soll. Wenn ein Mandant den Ausführungen des Anwalts nicht folgen kann, ist er seinerseits verpflichtet, nachzuhaken, um seine Entscheidungen auf gesunder Basis zu treffen. Anderenfalls ergeht es ihm wie der Frau im folgenden Fall, den das Landgericht Lübeck (LG) beurteilte.
Eine Frau verklagte ihren Arbeitgeber, der ihr fristlos gekündigt hatte. Er hatte behauptet, sie habe sich krankschreiben lassen wollen, obwohl sie gesund gewesen sei. Dafür gebe es auch Zeugen. In der mündlichen Verhandlung schlug das Arbeitsgericht (ArbG) daher auch einen Vergleich vor, nach dem das Arbeitsverhältnis beendet sein sollte. Sonst müsse das Gericht die Zeugen des Arbeitgebers vernehmen und ein Urteil sprechen. In einer Unterbrechung des Gerichtstermins besprach die Frau sich mit ihrem Anwalt, der ihr ebenfalls zu dem gerichtlich vorgeschlagenen Vergleich riet. Ihr Lebensgefährte dolmetschte diese Besprechung. Im Anschluss schloss die Frau mit ihrem Arbeitgeber den vom Gericht vorgeschlagenen Vergleich. Als sie sich nach der Verhandlung erneut mit ihrem Anwalt besprach, war sie mit dem Vergleich aber wohl nicht mehr einverstanden. Sie gab an, sie spreche kaum Deutsch und habe den Ausführungen der Verhandlung nicht folgen können. Daher hätte der Anwalt die Hinzuziehung eines Dolmetschers beantragen müssen. Sie habe dem Vergleich nur zugestimmt, da der Anwalt behauptet hätte, dies sei die beste Lösung. Sie ist jedoch der Auffassung, sie hätte den Rechtsstreit gewonnen, da der Vorwurf nicht zutraf. Sie habe weiterarbeiten wollen und verlangte nun Schadensersatz von etwas über 4.000 EUR von ihrem Anwalt - ohne Erfolg.
Der Anwalt hatte auch laut LG alles richtig gemacht. Ein Rechtsanwalt muss seinen Mandanten vor dem Abschluss eines Vergleichs die damit zusammenhängenden Vor- und Nachteile so gewissenhaft wie möglich erklären. Dem Mandanten muss es damit möglich sein, eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen. Voraussetzung dafür ist, dass er die Ausführungen und den Rat seines Anwalts auch versteht. Das alles war hier gegeben. Insbesondere lag keine Pflichtverletzung darin, der Frau zu dem Vergleichsschluss zu raten. Denn schließlich hatte das ArbG den Vergleich selbst vorgeschlagen. Auch musste der Anwalt keinen Dolmetscher hinzuziehen. Denn der Anwalt konnte gar nicht erkennen, dass die Frau der Verhandlung und der späteren Besprechung nicht folgen konnte.
Hinweis: Nerven Sie, haken Sie nach! Falls vor Abschluss eines Vergleichs Fragen oder Unklarheiten bestehen, sollten diese dem Rechtsanwalt gestellt werden - denn für deren Beantwortung ist er da.
Quelle: LG Lübeck, Urt. v. 10.08.2023 - 9 O 93/22
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(aus: Ausgabe 11/2023)
Was für fatale Auswirkungen es haben kann, wenn eine E-Mail-Adresse gehackt wird, zeigt der folgende Fall, der vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) landete. Und dem Urteil zufolge sollten alle, die per Mailkontakt Käufe tätigen, mehr als nur einen Blick auf augenscheinliche Unstimmigkeiten werfen - wie etwa einen doppelten Rechnungserhalt wie hier. Geschieht das nicht, kann es empfindlich teuer werden.
Es ging um einen Kaufvertrag über einen gebrauchten Pkw zum Preis von 13.500 EUR. Noch am Kauftag schickte die Verkäuferin eine Rechnung mit Angabe des Empfängerkontos per E-Mail. Nur kurze Zeit darauf erhielt die Käuferin eine erneute E-Mail von der E-Mail-Adresse der Verkäuferin mit einer Rechnung im Anhang. Auf dieser war allerdings ein ganz anderes Empfängerkonto bei einer Bank in Berlin mit einem anderen Kontoinhaber angegeben. Es kam, wie es kommen musste: Die Käuferin überwies die 13.500 EUR auf das letztgenannte Konto aus der zweiten E-Mail. Als die Verkäuferin die Käuferin "nochmals" zur Zahlung aufforderte, stellte sich heraus, dass die zweite E-Mail aufgrund eines Hackerangriffs von einer unbefugten dritten Person versandt worden war. Folglich war das in der zweiten Rechnung angegebene Konto nicht das der Verkäuferin. Ihr eigenes E-Mail-Konto hielt die Verkäuferin für sicher - es war mit einem Passwort geschützt, das alle zwei bis vier Wochen geändert werde. Computer und Software der Verkäuferin wären zudem über eine Firewall geschützt, die ebenso regelmäßig aktualisiert werde. Darüber hinaus waren Computer und Software über die Vollversion einer Sicherheitssoftware geschützt. Daher klagte die Verkäuferin die 13.500 EUR ein - und erhielt Recht.
Es gibt laut OLG keine gesetzlichen Vorgaben für Sicherheitsvorkehrungen beim Versand von E-Mails im geschäftlichen Verkehr. Daher bestimmen sich die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen nach den Sicherheitserwartungen unter Berücksichtigung der Zumutbarkeit. Selbst wenn man eine Pflichtverletzung der Verkäuferin sehen wollte, fehlte es am Nachweis der Kausalität dieser Pflichtverletzung für den eingetretenen Schaden. Es blieb also ungeklärt, wie es tatsächlich dazu gekommen war, dass die zweite E-Mail mit der ge- oder verfälschten Rechnung die Käuferin erreichte. Schließlich wäre ein unterstellter Schadensersatzanspruch der Käuferin zu kürzen, weil ein erhebliches Mitverschulden zu berücksichtigen wäre.
Hinweis: Wer sich in solchen Streitfällen auf den sachlichen Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung berufen will, muss berücksichtigen, dass diese nur für die Verarbeitung von Informationen gilt, die sich auf eine natürliche Person beziehen - nicht also auf den allgemeinen Geschäftsverkehr.
Quelle: OLG Karlsruhe, Urt. v. 27.07.2023 - 19 U 83/22
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 11/2023)
Kurzübersicht Ahls-Anwälte
Sozietät
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