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Zum Thema Arbeitsrecht
- Betriebsrat außen vor: Vergütungsanpassung des Betriebsratsvorsitzenden durch gesetzliche Vorgaben geregelt
- Chef hört mit! Selbst Einführung von nichtpersonalisierten Headsets erfordert Einbeziehung des Betriebsrats
- Generationengerechtigkeit: 67-jähriger schwerbehinderter Bewerber muss von kommunalem Arbeitgeber nicht berücksichtigt werden
- Ligaklausel im Arbeitsvertrag: Abstieg erfüllt laut Arbeitsgericht nicht die erforderliche Voraussetzung für eine Sachbefristung
- Verdacht auf Gefälligkeitsattest: Bei erschüttertem Beweiswert dient Aussage des Arztes der richterlichen Überzeugungsbildung
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) musste darüber entscheiden, ob der Betriebsrat bei der Bemessung der Vergütung eines freigestellten Betriebsratsvorsitzenden ein Mitbestimmungsrecht hat. Was zwei Instanzen zuvor noch nicht final beantworten konnten, stand hier erneut auf dem Prüfstand. Und siehe da, das BAG fand ein entscheidendes Detail, um anders zu befinden.
Nachdem der freigestellte Betriebsratsvorsitzende erfolgreich ein Assessment Center "Führungskräftepotential" durchlaufen hatte, nahm die Arbeitgeberin - Betreiberin von zwei Autohäusern - diese Tatsache zum Anlass, dem Vorsitzenden eine höhere Vergütung entsprechend einer höheren Entgeltgruppe des einschlägigen Tarifvertrags zu bezahlen. Der Betriebsrat war jedoch der Ansicht, ihm stehe ein Mitbeurteilungsrecht bei der Eingruppierung nach § 99 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) zu. Die Arbeitgeberin hielt dem entgegen, dass diese Grundsätze zur Eingruppierung auf die Vergütung von freigestellten Betriebsratsmitgliedern nicht anzuwenden seien.
Das BAG entschied, dass dem Betriebsrat in der Tat kein Mitbestimmungsrecht zustehe. Bei der Frage von höheren Löhnen und Gehältern freigestellter Betriebsratsmitglieder handele es sich nicht um eine Einordnung nach § 99 BetrVG, denn hierbei ging es schließlich nicht um Entlohnung für erbrachte Arbeit, sondern vielmehr um eine Anpassung einer Vergütung nach dem Lohnausfallprinzip. Und eben diese Erhöhung richte sich nach gesetzlichen Vorgaben, die Vergütung eines freigestellten Betriebsratsmitglieds entsprechend der betriebsüblichen Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer anzupassen.
Hinweis: Betriebsräte haben viele Mitbestimmungsrechte. Doch sobald ein Gesetz eindeutige Vorgaben enthält, ergibt dieses Mitbestimmungsrecht keinen Sinn - und besteht daher schlichtweg auch nicht.
Quelle: BAG, Beschl. v. 26.11.2024 - 1 ABR 12/23
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 02/2025)
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) musste erneut festlegen, wann genau das Mitbestimmungsrecht von Betriebsräten greift. Klar ist, dass sämtliche Maßnahmen zur Leistungskontrolle von Arbeitnehmern der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen. Ob Headsets dazugehören, die keine direkte Überwachungsfunktion erfüllen, war für die Entscheidung des BAG die Frage.
Eine Einzelhändlerkette für Bekleidung plante die Einführung eines Headsetsystems in einer Filiale mit mehr als 200 Beschäftigten. Die Führungskräfte sowie jeweils ein Arbeitnehmer in den Bereichen Kasse, Umkleidekabine sowie Aufräum- und Returnteam sollten verpflichtet werden, Kopfhörer und Mikrofon zu tragen. Die betroffenen Beschäftigten sollten bei Arbeitsbeginn eines dieser Headsets aufsetzen. Dabei sollte die Nummer des Headsets zwar erfasst und protokolliert werden, allerdings ohne dass die Software mitbekommt, wer welches Headset nutzt. Über die Zentrale im Mutterkonzern in Dublin in Irland konnte lediglich abgelesen werden, welche Geräte aktiv und wann sie mit der Basisstation verbunden seien. Dummerweise beteiligte der Arbeitgeber seinen lokalen Betriebsrat nicht an der Einführung des Headsetsystems. Und wie es mit Betriebsräten schnell ist: Er sah sich dadurch in seinen Mitbestimmungsrechten verletzt. Dem hielt der Arbeitgeber entgegen, dass das System über keinerlei Überwachungsfunktion verfüge und dass er mit dem Gesamtbetriebsrat eine Gesamtbetriebsvereinbarung geschlossen habe, die den Einsatz solcher Systeme regele.
Das BAG beschloss nun, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat grundsätzlich bei der Einführung des Headsetsystems nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) zu beteiligen habe. Dies begründete das BAG damit, dass die Einrichtung einer zur Leistungsüberwachung geeigneten technischen Einrichtung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zwingend mitbestimmungspflichtig sei. Diese Voraussetzung sei hier gegeben, denn dazu reiche es aus, dass trotz Anonymisierung der Nutzerdaten des Systems die Headsetträger an deren Stimme und/oder deren Namen erkannt werden könnten. Nach Aussagen des Arbeitgebers seien die Vorgesetzten vor Ort immer in der Lage, das Verhalten sämtlicher in der Schicht tätiger Arbeitnehmer zu überwachen, die ein Kopfhörerset verwenden. Die betroffenen Arbeitnehmer seien deshalb einem ständigen Überwachungsdruck ausgesetzt - und dies verletze sie in ihrem Persönlichkeitsrecht. Das BAG war aber auch der Ansicht, dass das Mitbestimmungsrecht in diesem speziellen Einzelfall nicht dem lokalen Betriebsrat der Filiale zustehe. Zuständig sei vielmehr der Gesamtbetriebsrat, da das Kopfhörersystem im gesamten Unternehmen eingeführt worden sei. Es betreffe daher sämtliche Betriebe.
Hinweis: Möchte ein Arbeitgeber ein Headsetsystem zur internen Kommunikation einführen und die Beschäftigten verpflichten, dieses zu nutzen, ist der Betriebsrat also nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG unbedingt zu beteiligen.
Quelle: BAG, Beschl. v. 16.07.2024 - 1 ABR 16/23
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(aus: Ausgabe 02/2025)
Im Fall des Landesarbeitsgerichts Hamm (LAG) ging es wieder einmal mehr um die Frage, ob eine Diskriminierung wegen einer Behinderung und wegen des Alters vorlag. Der beklagte Arbeitgeber hatte gegen diese beiden Vorwürfe zwar nur ein argumentatives Blatt auf der Hand - dieses erwies sich allerdings quasi als Trumpf, der den Streit entschied.
Ein 67-Jähriger mit Schwerbehindertenstatus bewarb sich auf eine Stelle als Sachbearbeiter in der Verwaltung eines kommunalen Arbeitgebers. Der Arbeitgeber sagte ihm ab, da der Bewerber seine Regelaltersgrenze bereits überschritten hatte. Er wies ihn darauf hin, dass er im Sinne der Generationengerechtigkeit hier eine 20 Jahre jüngere Frau einladen und einstellen durfte. Schließlich sei es sein Ziel, jüngeres Personal zu fördern. Der Bewerber beschwerte sich darüber, dass er nicht einmal zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden war, und forderte eine Entschädigung nach § 15 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Er begründete dies damit, dass er wegen seines Alters und seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden sei.
Das LAG entschied jedoch, dass der Arbeitgeber den 67-Jährigen nicht zum Vorstellungsgespräch habe einladen müssen - unabhängig von dessen Schwerbehinderung. Er haben den Mann weder wegen des Alters noch wegen der Schwerbehinderung diskriminiert, sondern war vielmehr wegen dessen Alters im Sinne der Generationengerechtigkeit dazu berechtigt gewesen, ihn nicht zum Vorstellungsgespräch einzuladen bzw. einzustellen. Der Bewerber habe deshalb keinen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.
Hinweis: Bei Einstellungsverfahren in der öffentlichen Verwaltung müssen schwerbehinderte Bewerber grundsätzlich eingeladen werden. Das ist in der freien Wirtschaft anders. Doch genau deshalb ist dieser Fall so besonders: Hier musste noch nicht einmal in der öffentlichen Verwaltung der Bewerber eingeladen werden. Denn dieser hatte schlichtweg die Regelaltersgrenze überschritten.
Quelle: LAG Hamm, Urt. v. 06.08.2024 - 6 SLa 257/24
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(aus: Ausgabe 02/2025)
Arbeitsverträge dürfen befristet werden - allerdings unter vorgegebenen Regeln. Wie solche Regeln beim doch recht ungewöhnlichen Beruf des Profisportlers greifen, dessen Vertrag die Auflösung bei einem Ligaabstieg vorsah, musste das Arbeitsgericht Solingen (ArbG) klären.
Der Assistenztrainer eines bergischen Handballclubs hatte in seinem Arbeitsvertrag eine sogenannte Ligaklausel vereinbart: Bei Abstieg solle der Vertrag enden. Der Club, der in der Spielzeit 2023/2024 noch in der 1. Handball-Bundesliga spielte, stieg in die 2. Handball-Bundesliga ab. Wie zuvor der Cheftrainer klagte nun auch der Assistenztrainer dagegen an, dass sein Vertrag aufgrund des Abstiegs enden sollte.
Das ArbG gab ihm recht. Es lag nach Ansicht des Gerichts kein Grund für eine Befristung vor, da die Ligaklausel unwirksam sei. Damit müsse das Arbeitsverhältnis fortgesetzt werden. Für eine Sachbefristung sehe das Gesetz nämlich vor, dass ein Grund vorliegen müsse, was sich aus § 14 Abs. 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) ergebe. Ein entsprechender Sachgrund lag hier im Sinne des Gesetzes jedoch nicht vor. Der Verein meinte zudem, dass der Assistenztrainer die Aufnahme der Ligaklausel ausdrücklich gewünscht habe und deshalb ein Sachgrund nach § 14 Abs. 1 Nr. 6 TzBfG vorliege. Das sah das Gericht jedoch anders. Es nahm nicht an, dass die Ligaklausel im Interesse des Assistenztrainers war.
Hinweis: Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Vieles spricht jedoch dafür, dass sie eindeutig richtig ist.
Quelle: ArbG Solingen, Urt. v. 30.10.2024 - 4 Ca 729/24
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 02/2025)
Manchmal kommt eins aufs andere: Erst bekommt man seinen begehrten Urlaub nicht, und dann wird man auch noch genau in dieser Zeit krank! Glauben Sie nicht? Der Arbeitgeber in diesem Fall auch nicht, weshalb er die Lohnfortzahlung verweigerte. Das Arbeitsgericht Berlin (ArbG) griff bei aller Ungläubigkeit zur Tat und befragte die behandelnde Ärztin als Zeugin, ob es sich nicht vielleicht um ein Gefälligkeitsattest handelte.
Es ging um eine seit dem Jahr 2021 beschäftigte Hauswirtschafts- und Reinigungskraft. Diese hatte das Arbeitsverhältnis am 12.05.2023 zum 15.06.2023 gekündigt. Gleichzeitig bat sie den Arbeitgeber darum, ihr zum Ende des Arbeitsverhältnisses Urlaub zu gewähren, da sie ihre Familie besuchen wolle. Dies lehnte der Arbeitgeber unter Hinweis auf entgegenstehende betriebliche Gründe ab. Noch am selben Tag teilte die Arbeitnehmerin dann telefonisch mit, dass sie erkrankt sei, und legte in der Folge eine unterzeichnete ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum vom 22.05. bis 15.06.2023 vor. Der Arbeitgeber zweifelte die Arbeitsunfähigkeit aufgrund der zeitlichen Nähe von Kündigung und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und dem zuvor bekundeten Urlaubswunsch natürlich an und zahlte kein Geld. Daraufhin klagte die Arbeitnehmerin.
Das ArbG verpflichtete den Arbeitgeber dennoch zur Entgeltfortzahlung. Es lagen durchaus Umstände vor, die Zweifel an einer Erkrankung der Arbeitnehmerin haben wecken können. Daher reichte es auch dem Gericht nicht aus, dass die Arbeitnehmerin ärztliche Bescheinigungen vorgelegt hatte. Als jedoch die Ärztin als Zeugin vernommen wurde, bestätigte diese, dass sehr wohl eine ärztliche Untersuchung von sogar rund 15 bis 20 Minuten durchgeführt worden sei, bei der eine Erschöpfungsdepression diagnostiziert wurde, womit folglich eben kein sogenanntes Gefälligkeitsattest vorgelegen habe. Die Arbeitnehmerin sei infolge von Krankheit an ihrer Arbeitsleistung verhindert gewesen, ohne dass sie ein Verschulden getroffen hätte.
Hinweis: Gelingt es also einem Arbeitgeber im Prozess um Leistungen aus dem Entgeltfortzahlungsgesetz, den Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeit zu erschüttern, kann die Vernehmung des behandelnden Arztes als sachverständiger Zeuge erfolgen.
Quelle: ArbG Berlin, Urt. v. 19.03.2024 - 22 Ca 8667/23
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 02/2025)
Zum Thema Erbrecht
- 600-EUR-Grenze: Auskunftsanspruch bei geringem Beschwerdewert nicht abzuwehren
- Formerfordernis bei Testamentserrichtung: Abschluss durch eigenhändige Unterschrift soll verhindern, dass spätere Zusätze vorgenommen werden
- Insolvenzanfechtung: Vermächtniserfüllung ist keine unentgeltliche Verpflichtung
- Schriftsachverständigengutachten: Keine Vermutung für die Echtheit einer Unterschrift unter einem Testament
- Vergütung von Nachlasspflegern: Stundensätze den Lebenshaltungskosten und Inflationsraten angepasst
Viele Erbstreitigkeiten beginnen mit einer Auskunft über den Bestand des Nachlasses. Wird ein Erbe durch das Gericht zur Auskunft verpflichtet, kann er sich häufig gegen eine solche Entscheidung nicht zur Wehr setzen, da für eine Beschwerde der hierfür geltende Grenzwert von 600 EUR in der Regel nur selten überschritten wird. Dies hat kürzlich der Bundesgerichtshof (BGH) in einer Entscheidung erneut bestätigt.
Als die pflichtteilsberechtigte Klägerin von der Erbin eine Auskunft über den Bestand des Nachlasses einschließlich aller relevanten Schenkungen erhalten wollte und das Landgericht die Erbin zur Auskunft verpflichtet hatte, scheiterte die Erbin mit der Beschwerde vor dem Oberlandesgericht (OLG). Denn dieses war der Ansicht, dass der erforderliche Beschwerdewert von mehr als 600 EUR nicht erreicht werde. Abzustellen sei dabei auf den Zeit- und Arbeitsaufwand, der für die sorgfältige Erteilung der geschuldeten Auskunft anfalle.
Der BGH bestätigte die zurückweisende Entscheidung des OLG, wonach die Erstellung des Verzeichnisses keinen hohen Aufwand erfordere. Zurückgegriffen werden könne auf die Stundensätze, die ein Zeuge in einem Zivilprozess erhalten würde. Trotz eines beträchtlichen Erblasservermögens war für das Gericht hier nicht ersichtlich, dass ein Aufwand von mehr als 40 Stunden anfallen würde. Auch sah der BGH keine Notwendigkeit für die Erbin, einen Steuerberater oder einen anderen Experten hierfür hinzuzuziehen, der den Beschwerdewert in die Höhe treiben würde. Die Erbin konnte jedenfalls keine plausiblen Gründe dafür vortragen, dass (und wenn ja, warum) sie selbst nicht dazu in der Lage sei, ein solches Verzeichnis zu erstellen.
Hinweis: Ist ein Erbe zur Auskunft über Unternehmensbeteiligungen des Erblassers verpflichtet, und existieren solche in einem außergewöhnlichen Umfang, kann die Hinzuziehung eines sachkundigen Dritten ausnahmsweise erforderlich sein. Aufgrund der hierfür voraussichtlich anfallenden Kosten dürfte dann der Beschwerdewert von 600 EUR überschritten werden (BGH, Beschl. v. 14.01.2009 - XII ZB 146/08).
Quelle: BGH, Beschl. v. 02.10.2024 - IV ZB 29/23
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 02/2025)
Das Oberlandesgericht München (OLG) musste sich mit den Formerfordernissen zur Erstellung eines privatschriftlichen Testaments befassen. Dabei ging es aber nicht allein um die Bausteine, aus denen das gültige Testament zu bestehen hat, sondern vor allem um ihre Positionierung. Wenn diese nicht stimmt, kann das Testament rechtsunwirksam sein.
Der Erblasser, ein britischer Staatsangehöriger, hatte ein Schriftstück hinterlassen, das maschinenschriftlich als "Last Will and Testament" überschrieben war. Darunter befand sich eine handschriftliche Liste mit Namen und Prozentangaben. Rechts neben der Auflistung der einzelnen Namen befand sich auch sein Namenszug. Nachdem das Nachlassgericht ein europäisches Nachlasszeugnis zugunsten der in dem Schriftstück benannten Personen ausgestellt hatte, hatte die dahingehend gerichtete Beschwerde des Sohns als gesetzlicher Erbe Erfolg.
Das OLG stellte fest, dass es sich bei dem Schriftstück um kein gültiges Testament gehandelt hat. Es fehlte die gesetzlich vorgeschriebene eigenhändige Unterschrift des Verfügenden. Eine Unterschrift soll den räumlichen Abschluss einer Urkunde darstellen und sicherstellen, dass keine späteren Zusätze vorgenommen werden. Die Unterschrift muss sich daher in einem räumlichen Verhältnis und Zusammenhang mit dem Text befinden, so dass hieraus klar wird, dass die Erklärung damit auch abgeschlossen ist. Dieses Erfordernis war nach Ansicht des Gerichts nicht erfüllt. Darüber hinaus ließ sich aus dem Schriftstück auch kein Testierwille feststellen. Ohne die maschinenschriftliche Überschrift ließe sich aus der Liste nicht mehr entnehmen, dass der Erblasser überhaupt ein Testament habe errichten wollen. Die formunwirksame Überschrift könne deshalb für die Ermittlung des Willens des Erblassers nicht herangezogen werden. Das Nachlassgericht wurde angewiesen, ein europäisches Nachlasszeugnis zugunsten des gesetzlichen Erben zu erteilen.
Hinweis: Das Schriftstück war im Übrigen selbst nach dem Recht des Heimatlands des Erblassers formunwirksam, da es an der dort geforderten gleichzeitigen Anwesenheit von zwei Zeugen bei der Errichtung des Testaments und deren Unterschriften fehlte. Eine maschinenschriftlich erstellte Überschrift kann hierzulande jedoch dann unschädlich sein, wenn sich ansonsten aus dem Text der Verfügung ergibt, dass der Erblasser eine letztwillige Verfügung von Todes wegen erstellen wollte - und sich die abschließende Unterschrift am Ende des Schriftstücks befindet.
Quelle: OLG München, Beschl. v. 09.08.2024 - 33 Wx 115/24 e
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 02/2025)
Stellt sich nach der Annahme einer Erbschaft heraus, dass der Nachlass überschuldet ist, kann ein Nachlassinsolvenzverfahren in Betracht gezogen werden, um dem Nachlass zuvor ausgesondertes Vermögen wieder zurückzuführen. Das ist meist der Fall, wenn die Aussonderung aus dem Nachlass unentgeltlich - also ohne Gegenleistung - erfolgt ist. Mit einem solchen Anfechtungsfall musste sich das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) auseinandersetzen.
Nach dem Tod der Erblasserin eröffnete das Insolvenzgericht ein Nachlassinsolvenzverfahren auf Antrag der zuvor bestellten Nachlasspflegerin. Die Erblasserin hatte im Jahr 2018 ein Testament errichtet und ihren Sohn, den Nachlassinsolvenzschuldner, zum Alleinerben bestimmt. Gleichzeitig vermachte sie ihren Enkeln Miteigentumsanteile an einer Immobilie. Nach dem Tod der Mutter erfüllte der Sohn als Erbe das Vermächtnis und übertrug die vermachten Miteigentumsanteile an die Enkel der Erblasserin. Der Insolvenzverwalter war der Ansicht, die Übertragung der Miteigentumsanteile sei eine unentgeltliche Leistung gewesen, weshalb er als Insolvenzverwalter zur Anfechtung dieses Rechtsgeschäfts berechtigt war.
Diese Einschätzung teilte das OLG nicht. Eine Rechtshandlung sei nur dann als unentgeltlich anzusehen, wenn ihr keine Leistung gegenüberstehe. Hier erfülle der Erbe mit dem Vermächtnis aber eine Verpflichtung, die ihm durch die Erblasserin auferlegt wurde. Die Übertragung der Miteigentumsanteile war daher eine entgeltliche Leistung, da der Insolvenzschuldner erst durch die Erfüllung des Vermächtnisses von seiner gesetzlichen Leistungspflicht befreit wurde.
Hinweis: Der Antrag auf Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens ist beim zuständigen Nachlassgericht einzureichen. Örtlich zuständig ist dann das Insolvenzgericht des Orts, an dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen allgemeinen Gerichtsstand hatte.
Quelle: OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.11.2024 - 12 U 14/24
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 02/2025)
Um formwirksam zu sein, ist ein privatschriftliches Testament vom Erblasser eigenhändig zu unterschreiben. Das Oberlandesgericht München (OLG) hat klargestellt, dass man nicht automatisch davon ausgehen muss, dass ein Schriftstück, das den Namenszug des Erblassers trägt, auch tatsächlich von diesem stammt. Fehlen zur Beurteilung der Echtheit Beweise und Zeugen, bleibt die Klärung einem Schriftsachverständigen vorbehalten.
Der verheiratete Erblasser war 2021 an den Folgen eines bösartigen Hirntumors verstorben. In seinem Testament, das er wenige Monate nach der Diagnose erstellt hatte, setzte er seine Schwester zur Alleinerbin ein. Die Witwe sowie die Tochter des Erblassers aus erster Ehe zweifelten jedoch die Eigenhändigkeit des vorgelegten Testaments sowie die Testierfähigkeit des Erblassers an. Nachdem das Nachlassgericht deshalb in Sachen Eigenhändigkeit ein Gutachten eines Schriftsachverständigen eingeholt hatte, wurde durch den Senat des OLG zudem ein Gutachten zur Frage der Testierfähigkeit des Erblassers erstellt. Der Schriftsachverständige kam zu dem Ergebnis, dass die Wahrscheinlichkeit für die Urheberschaft des Erblassers als hoch angenommen werden könne.
Dies reiche nach Ansicht des OLG aus. Es bedarf keiner absoluten Gewissheit darüber, dass der Erblasser das Schriftstück erstellt habe. Hinsichtlich der Testierfähigkeit ist grundsätzlich davon auszugehen, dass Personen mit Erreichen des 16. Lebensjahrs testierfähig sind. Da die Störung der Geistestätigkeit die Ausnahme bildet, ist ein Erblasser bis zum Beweis des Gegenteils auch als testierfähig anzusehen. Das Gericht folgte den Ausführungen des Sachverständigen, dass bei dem Erblasser zwar eine Erkrankung vorlag, die mit einer Störung der Geistestätigkeit einhergehen könne. Dies müsse aber nicht zwingend zum Ausschluss der freien Willensbildung geführt haben. Insofern verbleibe es bei der Grundannahme, dass der Erblasser als testierfähig angesehen werden müsse.
Hinweis: Die Beurteilung der Testierfähigkeit erfolgt regelmäßig durch Psychiater, gegebenenfalls auch durch Neurologen.
Quelle: OLG München, Beschl. v. 12.08.2024 - 33 Wx 294/23 e
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 02/2025)
Nachlasspfleger erhalten für ihre Tätigkeit eine Vergütung, die grundsätzlich aus dem Nachlass zu tragen ist. Für berufsmäßig tätige Nachlasspfleger hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) nun höhere Stundensätze zur Abrechnung bewilligt. Nur die Frage des Schwierigkeitsgrads könnte ein Streitpunkt sein und bleibt häufig offen, bis sie vor Gericht geklärt wird.
Nach dem Tod der Erblasserin hatte das Nachlassgericht im Jahr 2021 eine Nachlasspflegschaft angeordnet. Das Nachlassvermögen wurde mit 7.000 EUR mitgeteilt. Der Nachlasspfleger beantragte die Festsetzung seiner Vergütung von 3.200 EUR auf der Basis eines Stundensatzes von 90 EUR. Er hatte geltend gemacht, dass es sich aufgrund der vermüllten Wohnung der Erblasserin und einer Beiziehung einer Lebensversicherung um eine schwierige Nachlassabwicklung gehandelt habe.
Nachdem das Nachlassgericht zunächst nur eine reduzierte Vergütung festgesetzt hatte, konnte der Nachlasspfleger vor dem OLG zumindest einen teilweisen Erfolg erzielen. Das Gericht hat die Vergütung von berufsmäßigen Nachlasspflegern ab dem 01.01.2023 angepasst, um gestiegene Lebenshaltungskosten und Inflationsraten zu berücksichtigen. Abhängig vom Schwierigkeitsgrad der Nachlassabwicklung werden für einen einfach gelagerten Fall 60 EUR pro Stunde, für einen mittleren Schwierigkeitsgrad - den Normalfall - 95 EUR pro Stunde und in einem schweren Fall 130 EUR pro Stunde anerkannt. Das Gericht stufte die Abwicklung des konkreten Nachlasses hier entgegen der Ansicht des Nachlasspflegers als einen Normalfall ein, da aus Sicht des Gerichts keine außergewöhnlichen Schwierigkeiten bei der Nachlassabwicklung vorlagen.
Hinweis: Die regionale Lage des Büros des Nachlasspflegers spielt bei der Festsetzung von Stundensätzen eine Rolle. Da die Vergütung des Nachlasspflegers auch dessen Kosten abdecken soll, fallen in und außerhalb von Ballungsräumen unterschiedlich hohe Mieten an, was eine entsprechende Differenzierung rechtfertigt.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 22.08.2024 - 21 W 61/24
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 02/2025)
Zum Thema Familienrecht
- Bedürftige Eltern: Was einem Kind bei Elternunterhalt zum Leben verbleiben muss
- Diskriminierung von Ehen: Sachliche Differenzierungsgründe bei sächsischem Kirchgeld nicht erkennbar
- Kredit der Schwiegereltern: 250.000 EUR sind keine Gefälligkeitsleistung des täglichen Lebens
- Sorgerecht: Gefahrenprognose entscheidet über Schutzanspruch des Kindes
- Stiefkindadoption: Genetische Mutter wird durch Adoption des eigenen Kindes nicht diskriminiert
Im Alter sind Eltern mehr und mehr auf die Fürsorge ihrer Kinder angewiesen, in manchen Fällen auch auf deren finanzielle Hilfe. Dieser Unterhalt ist jedoch nur zu leisten, soweit die Kinder überhaupt leistungsfähig sind. Im folgenden Fall war der Bundesgerichtshof (BGH) gefragt, ob ein Sohn mit rund 5.500 EUR im Monat als nicht leistungsfähig genug gilt, um einen Sozialhilfeträger zu entlasten.
Ein Sozialhilfeträger nahm einen Sohn aus übergegangenem Recht für den Zeitraum von Juli bis Dezember 2020 auf Elternunterhalt in Anspruch. Die Mutter des Sohns lebte in der vollstationären Pflegeeinrichtung. Der Sozialhilfeträger erbrachte im genannten Zeitraum Sozialhilfeleistungen von ca. 1.500 EUR monatlich. Der verheiratete Sohn hat zwei volljährige Kinder und wohnt im Eigenheim, sein Jahresbruttoeinkommen belief sich im Jahr 2020 auf gut 133.000 EUR. In erster und zweiter Instanz gewann der Sohn. Sein Bruttoeinkommen wurde um Steuern und Sozialabgaben, Unterhaltspflichten für eines der volljährigen Kinder, berufsbedingte Aufwendungen, Versicherungen sowie Altersvorsorgeaufwendungen bereinigt. So kam man auf ein Monatsnetto zwischen 5.500 EUR und 6.200 EUR. Damit sei der Sohn nach § 94 Abs. 1a Satz 1 und 2 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch nicht leistungsfähig.
Vor dem BGH wendete sich jedoch das Blatt. Das Angehörigen-Entlastungsgesetz hat die Einkommensgrenze, ab der Kinder für den Unterhalt ihrer pflegebedürftigen Eltern herangezogen werden können, zwar auf 100.000 EUR Jahreseinkommen angehoben. Diese sozialhilferechtliche Einkommensgrenze kann aber nicht ohne weiteres auf das Unterhaltsrecht übertragen werden. Denn sie dient vor allem dem Schutz der öffentlichen Haushalte und soll weniger gut verdienende Kinder von ihrer Unterhaltspflicht befreien. Der Selbstbehalt im Elternunterhalt ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Dabei ist dem Unterhaltspflichtigen ein individueller Betrag zu belassen, der sich aus einem Mindestselbstbehalt und einem Bruchteil des diesen Freibetrag übersteigenden Einkommens zusammensetzt. Und dabei ist von einem Mindestselbstbehalt von 2.000 EUR auszugehen, darüber hinausgehend soll dem Unterhaltspflichtigen ein angemessener Anteil seines Einkommens verbleiben.
Hinweis: Da wir in einer überalterten Gesellschaft leben, ist die Feststellung des BGH wichtig, dass Kinder mit hohem Einkommen ihrer Unterhaltspflicht nachkommen müssen. Dabei ist der Selbstbehalt im Elternunterhalt anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu ermitteln.
Quelle: BGH, Beschl. v. 23.10.2024 - XII ZB 6/24
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 02/2025)
Eine Regelung des Sächsischen Kirchensteuergesetzes, die bis Ende 2015 in Kraft war, war verfassungswidrig. Das hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) festgestellt. Diese Regelung muss nun rückwirkend korrigiert werden, nachdem das sogenannte Kirchgeld von einer Klägerin erfolgreich auf den Prüfstand gestellt wurde.
In Sachsen wird Kirchgeld erhoben. Es basiert auf dem gemeinsamen Einkommen von Ehegatten, wenn einer der Partner keiner kirchensteuererhebenden Kirche angehört. Auf Lebenspartnerschaften wird diese Regelung nicht angewendet. Eingetragene Lebenspartner müssen also kein Kirchgeld entrichten. Demnach wird hier die Ehe schlechter gestellt, da Eheleute zur Zahlung herangezogen werden. 2001 wurde bundesgesetzlich das Institut der Lebenspartnerschaft eingeführt. Im Jahr 2013 wurden Ehegatten und Lebenspartner verfassungsrechtlich gleichgestellt. Die meisten Bundesländer änderten daraufhin ihre Kirchensteuergesetze, Sachsen aber erst ab September 2015. Eine Frau, die im Jahr 2014 und 2015 Kirchgeld zahlen musste, klagte dagegen und bekam Recht.
Die Ungleichbehandlung ist laut BVerfG nicht gerechtfertigt, da sowohl Ehe als auch Lebenspartnerschaft rechtlich verbindliche Lebensgemeinschaften darstellen. Sachliche Differenzierungsgründe liegen nicht vor, da keine hinreichenden Gründe für eine Schlechterstellung der Ehe erkennbar sind. Der Landesgesetzgeber muss nun die festgestellte Verfassungswidrigkeit für die Jahre 2014 und 2015 bis zum 30.06.2025 rückwirkend korrigieren. Bis 31.12.2023 dürfe es hingegen bei der Altregelung verbleiben, da die Lebenspartner erst ab diesem Zeitpunkt das Ehegattensplitting wählen konnten.
Hinweis: Die Frau kann sich freuen, das Kirchgeld muss ihr nun zurückerstattet werden. Sachsens Kirchengesetzgeber ist nun in der Handlungspflicht.
Quelle: BVerfG, Beschl. v. 15.10.2024 - 2 BvL 6/19
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(aus: Ausgabe 02/2025)
Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft - das gilt auch im Verhältnis Schwiegereltern zu Schwiegerkindern. Über die Definition von Zuwendungen und Geschenken lässt sich aber trefflich streiten, vor allem im Ernstfall nach der Trennung von Kind und Schwiegerkind. Und genau das geschah im folgenden Fall, der vor dem Landgericht Frankfurt am Main (LG) landete.
Ein Schwiegersohn konnte sein geerbtes Wohnhaus aus eigenen Mitteln nicht halten. Die Bank hatte ihm bereits einen Kredit gekündigt. Die Schwiegereltern griffen ein, nahmen einen Kredit von 250.000 EUR auf und lösten damit die Restschuld ihres Schwiegersohns ab. Dieser sollte folglich Zinsen und Tilgung tragen. Nach einigen Jahren wurde die Ehe des Schwiegersohns mit der Tochter der Kreditgeber jedoch geschieden, und der Schwiegersohn stellte einige Zeit später seine Zahlungen ein: Wegen der Unterhaltszahlungen an seine Exfrau könne er die Tilgung und Zinsen nicht mehr schultern. Die Schwiegereltern verlangten trotzdem die Zahlung des noch offenen Betrags von 190.000 EUR. Der Fall ging vor Gericht. Der Schwiegersohn war der Ansicht, dass er nicht zahlen müsse, da es sich um ein freiwilliges Vermögensopfer der Schwiegereltern gehandelt habe. Schließlich hatten sie im familiären Raum wegen der schwierigen Lage der jungen Eheleute den Kredit aufgenommen.
Mit dieser Argumentation drang er aber vor dem LG nicht durch. Man habe mündlich einen Darlehensvertrag geschlossen. Im Familienverhältnis können natürlich durchaus Gefälligkeiten erfolgen. Bei der Gewährung eines derart hohen Betrags handelt es sich aber keinesfalls um eine Gefälligkeit des täglichen Lebens. Das finanzielle Risiko für die Schwiegereltern war ganz erheblich. Nachdem diese den mündlich mit ihrem ehemaligen Schwiegersohn geschlossenen rechtsverbindlichen Darlehensvertrag gekündigt hatten, stünde ihnen ein Rückzahlungsanspruch zu.
Hinweis: Bei Geld hört die Freundschaft auf - auch in der Familie. Bewahren lässt sich das gute Verhältnis am besten, wenn man Geldgeschäfte auch in der Familie in einem schriftlichen detaillierten Vertrag niederlegt. Dann wissen alle Parteien, woran sie sind.
Quelle: LG Frankfurt am Main, Urt. v. 28.11.2024 - 2-23 O 701/23
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 02/2025)
Können Eltern ihrer Pflege- und Erziehungsverantwortung nicht gerecht werden, haben Kinder einen Anspruch auf den Schutz durch den Staat. Dieser Schutz durch den Staat endet laut einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) jedoch, sobald den Eltern eine positive Zukunftsprognose gestellt werden kann - und dies selbst bei einem verbleibenden Restrisiko.
Die Eltern waren mit ihrem vier Wochen alten Kind in einem Krankenhaus. Dort wurden Verletzungen festgestellt, die ein Schütteltrauma als Ursache vermuten ließen. Folglich wurde ein Sorgerechtsverfahren nach Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz eingeleitet. Das Familiengericht kam über ein Sachverständigengutachten zu der Überzeugung, dass das Kind zwei jeweils durch einen Elternteil verursachte, potentiell lebensgefährliche Schütteltraumata erlitten hat. Den Eltern wurden daher weite Teile des Sorgerechts entzogen - doch diese legten erfolgreich Beschwerde beim Oberlandesgericht (OLG) ein.
Das OLG hob den Beschluss des Familiengerichts gegen Auflagen auf. Das Gericht konnte zwar das Risiko erneuter Verletzungen nicht ausschließen, kam aber trotzdem zu dem Schluss, dass eine dauerhafte Fremdunterbringung nicht erforderlich sei. Durch die Auflagen könne das Eintreten einer Überforderungssituation vermieden werden.
Der Verfahrensbeistand des Kindes richtete sich gegen diese Entscheidung mit einer Verfassungsbeschwerde an das BVerfG - und scheiterte. Kommt ein Gericht zu dem Schluss, dass eine Rückführung trotz anhaltender Gefahr stattzufinden hat, ist diese Entscheidung dann hinzunehmen, wenn eine vollständige Abwägung der widerstreitenden Interessen stattgefunden habe und die Entscheidung nachvollziehbar begründet werden könne.
Hinweis: Möchten Sie einen Rückführungsbeschluss angreifen, müssen Sie deutliche Wertungsfehler des rückführenden Gerichts herausarbeiten bzw. darlegen, dass das Kind einer erheblichen körperlichen und/oder seelischen Gefahr ausgesetzt ist.
Quelle: BVerfG, Beschl. v. 20.11.2024 - 1 BvR 1404/24
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(aus: Ausgabe 02/2025)
Lesbische Partnerinnen erfüllen sich den Kinderwunsch oft über eine anonyme Samenspende und eine Spende eines Eis der einen Frau, das wiederum ihrer Partnerin eingesetzt wird. In Deutschland muss bei einer solchen Konstellation die genetische Mutter ihr eigenes Kind adoptieren. Hiergegen klagten einige genetische Mütter wegen Diskriminierung bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR).
Ein lesbisches Paar aus Deutschland lebt seit 2010 in einer eingetragenen Partnerschaft. Im Jahr 2013 brachte eine der Frauen einen Sohn zur Welt. Verwendet wurden eine anonyme Samenspende und die Eizelle ihrer Partnerin. Da diese Form der künstlichen Befruchtung in Deutschland nicht erlaubt war, reiste das Paar zur Befruchtung nach Belgien. Schließlich wurde nur die austragende Mutter in die Geburtsurkunde eingetragen - die genetische Mutter musste das Kind adoptieren, um rechtlich als Elternteil anerkannt zu werden. Dies hielt das Paar für diskriminierend. Die genetische Mutter muss trotz eines fast vollständigen DNA-Matches ihr eigenes Kind adoptieren, was ihrer Ansicht nach eine Verletzung des Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention darstelle.
Der EGMR sah dies allerdings anders. Die Adoption durch die genetische Mutter sei keine wesentliche Beeinträchtigung des Privat- und Familienlebens. Die Notwendigkeit der Adoption erschwere den Alltag der Familien nicht erheblich. Unterschiede zwischen gleichgeschlechtlichen und heterosexuellen Elternpaaren sind nicht automatisch Diskriminierungen.
Hinweis: Der EGMR billigt den Staaten einen breiten Gestaltungsspielraum bei familienrechtlichen Fragen zu. Deshalb ist es folgerichtig, dass die Adoptionsnotwendigkeit nicht als diskriminierend eingestuft wird. Mittlerweile gibt es einen Gesetzesentwurf zur Reform des Abstammungsrechts, der das Adoptionserfordernis unnötig machen soll. Das Gesetzgebungsverfahren ist jedoch noch nicht abgeschlossen.
Quelle: EGMR, Urt. v. 12.11.2024 - 46808/16
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(aus: Ausgabe 02/2025)
Zum Thema Mietrecht
- Anpassungsstörung: Schmerzensgeldanspruch nach mehreren vorsätzlichen Sachbeschädigungen durch Nachbarn
- Diskriminierende Gemeinschaftsordnung? Berliner KG sieht kein Problem im Vermietungsverbot an das Berliner LAGESO
- Mietrückstand: Schonfristzahlung beseitigt zwar die fristlose, nicht aber die fristgemäße Kündigung
- Nordrhein-westfälisches Nachbarschaftsgesetz: Trompetenbaum muss dank seiner Wuchshöhe nur 2 m Abstand zur Grundstücksgrenze einhalten
- Platznot durch Sammelwut: AG Köln verneint eheliche Streitigkeiten als Grund für Eigenbedarfskündigung
Dass aus Sachbeschädigungen nicht nur ein Anspruch auf Schadensersatz, sondern auch einer auf Schmerzensgeld entstehen kann, wird klar, wenn man sich diesen Fall vor Augen führt. Denn wo man sich besonders sicher fühlen können sollte, können Sachbeschädigungen laut Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) durchaus zu psychischen Störungen führen - im eigenen Zuhause.
Ein Mann hatte im Briefkasten und in der Mülltonne seines Nachbarn Feuer gelegt. Einige Wochen später hatte er eine Flasche gegen das Terrassenfenster geworfen und noch am selben Tag mit einem Stein die Windschutzscheibe und die Fahrerfensterscheibe des Nachbarn zerstört. Das wollte sich der Nachbar nicht gefallen lassen und forderte unter anderem ein Schmerzensgeld von 2.000 EUR. Schließlich litt der Mann durch die Vorfälle unter Konzentrationsschwierigkeiten, Angstzuständen und Panikattacken.
Das OLG sprach dem Mann 700 EUR Schmerzensgeld zu. Denn die Entwicklung einer Anpassungsstörung nach mehreren vorsätzlichen Sachbeschädigungen durch einen in der Nachbarschaft wohnenden Dritten kann einen Anspruch auf Schmerzensgeld auslösen. Der vor dem Vorfall psychisch gesunde Mann hatte die Taten des Beklagten als Anschläge gegen seine Wohnung und damit gegen sich selbst erlebt. Diese Beeinträchtigung ist dem Täter auch zuzurechnen, da es sich weder um eine Bagatelle noch um eine psychische Überreaktion handelte.
Hinweis: In Deutschland sind Schmerzensgeldbeträge eher gering. Trotzdem sollten sie auch eine abschreckende Wirkung gegenüber Tätern haben. Denn eins ist klar: Durch Einbrüche, Sachbeschädigungen, Überfälle und andere Straftaten wird auch die Psyche der Opfer häufig stark beeinträchtigt.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 27.09.2024 - 3 U 179/23
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(aus: Ausgabe 02/2025)
Die spannende Frage, die hier zu entschieden war: Spricht das in einer Gemeinschaftsordnung einstimmig verabschiedete Verbot, Wohnraum an eine für die Unterbringung von Asylbewerbern zuständige Landesbehörde zu vermieten, gegen § 19 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)? Das Berliner Kammergericht (KG) brachte Licht in den Streit zwischen Wohnungseigentümern und dem Grundbuchamt.
In einer Wohnungseigentumsanlage mit 39 Einheiten sollte die Gemeinschaftsordnung geändert werden. Die neue Bestimmung sollte den Eigentümern die Vermietung ihres Sondereigentums an die für die Unterbringung von Asylbewerbern zuständige Behörde, dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGESO), untersagen. Der beauftragte Notar beantragte den entsprechenden Vollzug in den Grundbüchern. Das Grundbuchamt weigerte sich jedoch und erließ stattdessen eine Zwischenverfügung, weil die neue Bestimmung gegen § 19 AGG verstoßen würde.
Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde hat das KG die Zwischenverfügung aufgehoben. Grundsätzlich kann jeder Wohnungseigentümer mit seinem Sondereigentum nach Belieben verfahren, es insbesondere vermieten. Durch eine - einstimmige - Vereinbarung könne das Recht auf Vermietung des Sondereigentums jedoch auch beschränkt oder für bestimmte Fälle gänzlich ausgeschlossen werden. In diesem Zusammenhang wird vertreten, dass solche Vereinbarungen den in § 19 AGG aufgestellten Grundsätzen standzuhalten hätten. Diskriminierende Vermietungsverbote seien unwirksam. Beispielhaft werden dazu Regelungen genannt, die es generell verbieten, eine Eigentumswohnung an Asylbewerber oder sonstige Ausländer zu vermieten. Um eine solche Regelung ging es hier aber nicht. Vorliegend käme allenfalls eine Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft in Betracht, weil es sich bei Asylbewerbern schließlich immer um Ausländer handelt (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Asylgesetz). Aber die von dem Grundbuchamt beanstandete Regelung verbietet es den Eigentümern nicht, ihr Sondereigentum unmittelbar an Asylbewerber zu vermieten, "sonstige Ausländer" werden erst gar nicht genannt. Tatsächlich werden nur Vermietungen an das beispielhaft bezeichnete LAGESO untersagt.
Hinweis: Unwirksam ist in einer Gemeinschaftsordnung jedenfalls ein generelles Verbot, an Asylbewerber oder ausländische Mitbürger zu vermieten. Das dürfte klar und eindeutig sein.
Quelle: KG Berlin, Urt. v. 19.09.2024 - 1 W 410-448/23
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(aus: Ausgabe 02/2025)
Für Mieter heißt es "Aufgepasst!": Denn wer eine fristlose Kündigung seines Mietraums wegen eines Zahlungsverzugs erhält, kann die Kündigung mit einer schnellen Nachzahlung zwar abwenden. Das gilt aber nach dem Bundesgerichtshof (BGH) tatsächlich nur für die fristlose Kündigung - und nicht für die fristgemäße ordentliche Kündigung.
Seit 2006 bewohnte eine Mieterin eine Wohnung in Berlin. Nachdem sie die Mieten für die Monate Januar und Februar 2022 nicht gezahlt hatte, erhielt sie sowohl eine fristlose als auch hilfsweise die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses wegen Zahlungsverzugs. Am 17.03.2022 glich sie den vorgenannten Mietrückstand vollständig aus. Trotzdem wurde eine Räumungsklage erhoben. Die Mieterin meinte nun, dass sie innerhalb der sogenannten Schonfrist die Mieten nachgezahlt hätte und die Kündigung deshalb unwirksam sei. Damit kam sie allerdings nicht weiter.
Der BGH meinte, dass ein innerhalb der Schonfrist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch von zwei Monaten nach Zustellung der Räumungsklage erfolgter Ausgleich des Mietrückstands lediglich Folgen für die fristlose, nicht jedoch für eine aufgrund desselben Mietrückstands hilfsweise ordentliche Kündigung habe. Somit wurde das Mietverhältnis zwar nicht durch die fristlose, wohl aber durch die ordentliche fristgemäße Kündigung beendet. Die Mieterin musste ausziehen.
Hinweis: Egal, ob Mieter oder Vermieter: Wer eine Kündigung aussprechen oder auch vermeiden möchte, sollte sich vorher informieren. Die Einschaltung eines Rechtsanwalts ist ausgesprochen wichtig, um die möglichen Rechtsfolgen und Ansprüche zu prüfen.
Quelle: BGH, Urt. v. 23.10.2024 - VIII ZR 177/23
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(aus: Ausgabe 02/2025)
Dieser Fall hätte sich eigentlich eine Fanfare verdient - denn schließlich geht es in seinem Kern um Trompetenbäume. Genauer gesagt musste das Landgericht Kleve (LG) entscheiden, wie weit solche Trompetenbäume von der Grundstücksgrenze entfernt stehen müssen. Entscheidend war hierbei ihre Wuchsstärke, bzw. durchschnittliche Maximalhöhe.
Eine Frau hatte im Jahr 2016 auf ihrem Grundstück nahe der Nachbargrenze zwei Trompetenbäume gepflanzt. Der Nachbar beschwerte sich, woraufhin die Frau die beiden Trompetenbäume im November 2017 umsetzte. Damit betrug deren Abstand zur Grundstücksgrenze mehr als 2 m, aber weniger als 4 m. Das reichte dem Nachbarn nicht - er forderte, einen Abstand von mindestens 4 m einzuhalten, und klagte nach einem erfolglosen Schlichtungsverfahren - allerdings ohne Erfolg.
Trompetenbäume sind nach dem LG laut § 41 Abs. 1 Nr. 1a Nordrhein-westfälisches Nachbarschaftsgesetz keine "stark wachsenden Bäume" und müssen daher nur einen Abstand von 2 m zur Grundstücksgrenze einhalten. "Stark wachsend" seien jene Bäume, die besonders groß werden, ohne dass es dabei auf deren Wuchsgeschwindigkeit ankäme. Der gewöhnliche Trompetenbaum erreicht je nach Standort eine maximale Wuchshöhe von 15 bis 18 m, im Gegensatz zu den im Gesetz ausdrücklich genannten Baumarten, die Wuchshöhen von 30 m und mehr erreichen. Damit durften die Trompetenbäume bleiben, wo sie sind, und mussten nicht nochmals umgepflanzt werden.
Hinweis: Bei Anpflanzungen auf einem Grundstück sollten die entsprechenden Grenzabstände eingehalten werden. So lässt sich späterer Streit grundsätzlich vermeiden.
Quelle: LG Kleve, Urt. v. 29.08.2024 - 6 O 204/23
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(aus: Ausgabe 02/2025)
Eigenbedarfskündigungen sind ein Damoklesschwert für Mieter. Viele dieser Kündigungen stehen allerdings auf wackeligen Füßen. Auch der folgende Fall zeigt, dass Mieter diesen Schock nicht regungslos hinnehmen sollten. Das Amtsgericht Köln (AG) musste sich dabei nämlich mit der Frage beschäftigen, ob die Sammelleidenschaft des vermieterseitigen Gatten bereits einen Kündigungsgrund wegen Eigenbedarfs begründen kann.
Es gab Streit im Mietshaus. Dort wohnte die Vermieterin mit ihrem Ehemann in einer 200-m²-Wohnung, in einer anderen Wohnung im selben Haus wohnten seit vielen Jahren ihre Mieter. Zunächst bestand zwischen beiden Parteien ein durchaus freundschaftliches Verhältnis, das sich dann aber änderte. Es kam zu verschiedenen rechtlichen Streitigkeiten, unter anderem wegen Ansprüchen wegen einer Mietminderung. Schließlich kündigte die Vermieterin den Mietern das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs. Der Ehemann der Vermieterin sollte in die noch vermietete Wohnung einziehen, da es in der Ehe zu erheblichen Spannungen gekommen sei. Zudem habe sie seit seinem Einzug zu wenig Platz für ihre Maltätigkeiten. Der Ehemann solle durch den Umzug in die Mietwohnung die Möglichkeit erhalten, dort seinen aufgrund seiner Sammelleidenschaft umfangreichen Hausstand unterzubringen. Ohne Auszug des Ehemanns drohe die Ehe zu scheitern.
Schließlich wurde eine Räumungsklage eingelegt, die die Vermieterin allerdings verlor. Denn Eheprobleme einer Vermieterin begründen in den Augen des AG nicht zwangsläufig ein Recht auf eine Eigenbedarfskündigung, um in der betreffenden Wohnung den Gatten mit Sammlerleidenschaft unterzubringen, um so die Ehe zu retten. Insbesondere in angespannten Wohnlagen ist Personen mit Sammelleidenschaft zuzumuten, nicht ihre gesamte Kollektion unmittelbar in der Wohnung zur Verfügung zu haben.
Hinweis: Urteile über die Räumung von Wohnraum sind stets auch Ermessenssache. Sowohl Vermieter als auch später das AG müssen eine Interessenabwägung vornehmen. Wie diese ausgeht, lässt sich nicht immer vorhersagen. Wichtig ist jedoch, dass Sie eine erste Einschätzung eines rechtlichen Beistands zu dieser Frage erhalten.
Quelle: AG Köln, Urt. v. 28.08.2024 - 213 C 61/24
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(aus: Ausgabe 02/2025)
Zum Thema Sonstiges
- Arztbewertungen online: Bewertungsportal muss Rüge nachgehen, dass Bewertung kein Behandlungskontakt zugrunde liege
- Kanadas Grenzen dicht: Kein Entschädigungsanpruch für Reiseunternehmen bei befristeten Einreiseverboten
- Kein Rechtsbindungswillen entnehmbar: Grimasse schneidendes Emoji ist keine Zustimmung zu einer Lieferfristverlängerung
- Notfallkater Rocky: Tierhalter müssen Kosten für Behandlung auch tragen, wenn Dritte die Rettung veranlassen
- Scraping bei Facebook: Bundesgerichtshof hält selbst kurzzeitigen Kontrollverlust zu Nutzerdaten für schadensersatzwürdig
Kommentare im Internet abzugeben, ist mehr als einfach. Ebenso verhält es sich für Nutzer mit Bewertungen von Produkten und Dienstleistungen. Dass Bewertungsportale bei ärztlichen Leistungen jedoch eine Prüfpflicht haben, die ein wenig mehr Objektivität in das Geschriebene bringen soll, hat das Oberlandesgericht München (OLG) erneut klargestellt.
In einen Bewertungsportal wurde anonym behauptet, der Arzt habe eine Patientin zweimal an der Nase operiert, die Operationsergebnisse seien aber beide Male alles andere als zufriedenstellend gewesen. Mit dieser Bewertung war der Arzt nicht einverstanden und zog gegen das Bewertungsportal vor das Gericht. Er bestritt, "dass der Verfasser der Bewertung eine irgend geartete tatsächliche Erfahrung" mit seiner Arztpraxis gemacht habe.
Mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung war er erfolgreich. Ein auf einem Bewertungsportal bewerteter Arzt löst grundsätzlich schon mit der Rüge, einer Bewertung liege kein Behandlungskontakt zugrunde, Prüfpflichten des Bewertungsportals aus. Dabei ist er gegenüber dem Bewertungsportal grundsätzlich nicht zu weiteren Darlegungen verpflichtet - insbesondere nicht zu einer näheren Begründung seiner Behauptung zum fehlenden Behandlungskontakt. Dies gilt nicht nur in dem Fall, dass die Bewertung keinerlei tatsächliche, die konkrete Inanspruchnahme der Leistung beschreibende Angaben enthält und dem Bewerteten daher eine weitere Begründung schon gar nicht möglich ist, sondern auch, wenn für einen Behandlungskontakt keine entsprechende Angaben vorliegen. Da das Bewertungsportal eine solche Prüfung nicht durchgeführt hatte, war es zur Unterlassung zu verurteilen.
Hinweis: Wenn ein Arzt also einem Bewertungsportal mitteilt, es habe überhaupt kein Behandlungskontakt vorgelegen, muss das Bewertungsportal dies prüfen.
Quelle: OLG München, Urt. v. 06.08.2024 - 18 U 2631/24 Pre e
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(aus: Ausgabe 02/2025)
Für die meisten Menschen ist die Pandemie Vergangenheit. Die Gerichte werden aber weiterhin mit den rechtlichen Fragen dazu beschäftigt sein, so zum Beispiel, ob es eine Rückzahlung des Reisepreises gibt, wenn ein Einreiseverbot vorliegt. Diese Frage muss schwierig zu beantworten gewesen sein, denn schließlich konnte erst der Bundesgerichtshof (BGH) die Antwort erbringen.
2019 hatte ein Mann für sich und seine Ehefrau eine Flugreise nach Kanada im Sommer 2020 gebucht. Diese sollte knapp 6.400 EUR kosten. Doch im März 2020 gab das Auswärtige Amt zur Eindämmung der Corona-Pandemie eine weltweite Reisewarnung aus. Die kanadischen Behörden ordneten ihrerseits zudem eine Schließung ihrer Landesgrenze für alle Reisenden an - mit Ausnahme kanadischer und US-amerikanischer Staatsangehöriger. Sodann erklärte der Mann ebenfalls im März 2020, er wolle die Reise stornieren, und verlangte das Geld zurück. Das Reiseunternehmen zahlte auch - bis auf 638 EUR. Diesen Restbetrag begehrte der Mann dennoch - und bekam ihn auch mithilfe des BGH.
Das Reiseunternehmen hatte nach Ansicht des BGH gemäß § 651h Abs. 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch seinen Anspruch auf den Reisepreis verloren, weil der Mann schlicht und ergreifend wirksam vom Pauschalreisevertrag zurückgetreten war. Insbesondere hatte das Reiseunternehmen auch keinen Anspruch auf eine Entschädigung. Denn ein solcher Entschädigungsanspruch war hier ausgeschlossen, weil zum Zeitpunkt des Rücktritts die berechtigte Befürchtung bestand, dass die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort wegen der Covid-19-Pandemie und der auf ihr beruhenden Maßnahmen zumindest erheblich beeinträchtigt sein könne.
Hinweis: Auch nach Jahren der überstandenen Pandemie sind noch nicht alle Rechtsstreitigkeiten dazu ausgeurteilt. Daher ist der Überblick über rechtliche Anprüche schwierig. Entschädigungsansprüche bei Reisemängeln prüft am besten der Rechtsanwalt des Vertrauens.
Quelle: BGH, Urt. v. 15.10.2024 - X ZR 79/22
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(aus: Ausgabe 02/2025)
Der Sinn sogenannter Emojis liegt eigentlich darin, dem Leser zu veranschaulichen, wie der Verfasser das Geschriebene gefühlmäßig betont - er ersetzt quasi seine fehlende Mimik mit Icons und Zeichen und verdeutlicht die Aussage seines Texts. Uneigentlich ist die Praxis jedoch oft eine andere: Zwei Menschen mit zwei Meinungen, wie das Geschriebene gemeint war bzw. aufgefasst wurde. Ebendiese unterschiedliche Auffassung führte zum folgenden Fall vor dem Oberlandesgericht München (OLG).
Es ging um den Kauf eines Ferrari SF90 Stradale, bei dem es zu Lieferverzögerungen kam. Die entscheidende Frage hierbei war, ob der Käufer mit einer WhatsApp der Lieferfristverlängerung zugestimmt hatte, als er auf den Hinweis des Verkäufers, dass der Ferrari erst knapp ein Jahr später ausgeliefert werden könne, mit "Ups" und einem Grimasse schneidenden Emoji geantwortet hatte. Als sich die Lieferung immer weiter hinauszog, setzte er eine Lieferfrist und behielt sich das Recht vor, vom Vertrag zurückzutreten - was er dann auch tat. Schließlich wollte er dann seine Anzahlung zurückerhalten und reichte eine Klage ein. Der Verkäufer meinte, dass sich durch das Grimasse schneidende Emoji und den übrigen Wortwechsel eine einvernehmliche Lieferfristverlängerung ableiten lasse.
Das sah das OLG allerdings anders. Der Käufer hatte mit der Verwendung des Grimasse schneidenden Emojis keine Zustimmung zu einer Lieferfristverlängerung erteilt. Zwar könne eine Willenserklärung auch per Zeichen stattfinden. Emojis erfüllten schließlich "im digitalen Diskurs ähnliche Funktionen wie Intonation, Gestik, Mimik und andere körpersprachliche Elemente in realen Gesprächen". Ob der Verwender von Emojis einen Rechtsbindungswillen zum Ausdruck bringen oder lediglich seine Stimmungs- oder Gefühlslage mitteilen möchte, sei aber eine Frage der Auslegung. Das Grimasse schneidende Emoji zusammen mit "Ups" ist jedenfalls nicht als Zustimmung für eine Lieferfristverlängerung auszulegen. Deshalb durfte der Käufer nach einer Fristsetzung zurücktreten und erhielt auch seine Anzahlung wieder.
Hinweis: Willenserklärungen können auch durch Emojis abgegeben werden. Wird jemand auf WhatsApp gefragt, ob er mit einem Geschäft einverstanden ist, und er sendet einen "Daumen hoch" zurück, wird dieses als Abschluss eines Vertrags zu werten sein. Es ist also Vorsicht geboten!
Quelle: OLG München, Urt. v. 11.11.2024 - 19 U 200/24 e
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(aus: Ausgabe 02/2025)
Wer trägt im Fall einer Tierrettung eigentlich die angefallenen Kosten, wenn die Notbehandlung nicht etwa vom Halter, sondern von einem tierlieben fremden Finder des zuvor entlaufenen Tiers beauftragt wurde? Das Amtsgericht München (AG) musste zu dieser interessanten Frage eine Antwort finden.
Kater Rocky war seiner Halterin entlaufen, doch Glück im Unglück: Er wurde gefunden! Der feline Gefährte war allerdings bewusstlos, und daher alarmierte der anonym gebliebene Finder die Münchner Tierrettung. Diese tat das, was eine Rettung auch bei Menschen im Allgemeinen tut: Sie lieferte Rocky als Notfall in ein Krankenhaus ein - in diesem Fall natürlich in eine Tierklinik. Und so kam es schnell zu Kosten in Höhe von fast 600 EUR. Da der Kater ein vorbildlicher Kater war, fand man seine Daten dank Chip im Haustierzentralregister und konnte so auch seine Halterin ausfindig machen. Diese weigerte sich nun jedoch, die Kosten zu übernehmen. Daraufhin wurde sie auf Zahlung verklagt - und zwar erfolgreich.
Denn das AG befand, dass dann, wenn ein erkranktes Tier von Dritten zum Tierarzt gebracht wird, der Tierhalter für die Kosten der Notbehandlung haftet. Der Vortrag der Halterin, sie hätte rechtzeitig über die Einlieferung des Katers informiert werden müssen, blieb hierbei unerheblich.
Hinweis: Tierbesitzer sollten sich auf steigende Kosten bei der Haltung von Tieren einstellen. Denn nach langen Jahren der "Nullrunde" wurde die Gebührenordnung für Tierärzte im Jahr 2023 angepasst.
Quelle: AG München, Urt. v. 30.08.2024 - 161 C 16714/22
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(aus: Ausgabe 02/2025)
Der Bundesgerichtshof (BGH) musste sich mit Ansprüchen im Zusammenhang mit einem Datenschutzvorfall bei Facebook beschäftigen. Die Frage dabei war, ob das Gefühl, selbst nur kurzzeitig auf den Schutz der eigenen Daten verzichten zu müssen, bereits zu Schadensersatzansprüchen führt - oder ob dafür ein konkreter Schaden erfolgt sein müsse.
Bei Facebook tauchte Anfang April 2021 folgendes Datenschutzproblem auf: Es wurden Daten von ca. 533 Millionen Facebooknutzern aus 106 Ländern im Internet öffentlich verbreitet. Unbekannte hatten zuvor ausgenutzt, dass Facebook es in Abhängigkeit von den Suchbarkeitseinstellungen des jeweiligen Nutzers ermöglichte, dass dessen Facebookprofil mithilfe seiner Telefonnummer gefunden werden konnte. Sie ordneten in großem Umfang Telefonnummern den zugehörigen Nutzerkonten zu und griffen die zu diesen Nutzerkonten vorhandenen öffentlichen Daten ab - ein sogenanntes Scraping. Davon war auch ein Mann in Deutschland betroffen. Mit seiner Telefonnummer wurden folgende Daten verknüpft: Nutzer-ID, Vor- und Nachname, Arbeitsstätte und Geschlecht. Deshalb klagte der Mann und meinte, ihm stehe ein immaterieller Schadensersatzanspruch zu, da er einen Kontrollverlust über die Daten erlitten hätte.
Der BGH meinte, dem Mann stünde durchaus ein Schadensersatz zu. Denn selbst der bloße und kurzzeitige Verlust der Kontrolle über eigene personenbezogene Daten durch einen Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung kann ein immaterieller Schaden sein. Weder muss insoweit eine konkrete missbräuchliche Verwendung dieser Daten erfolgt sein, noch bedarf es sonstiger zusätzlicher spürbarer negativer Folgen.
Hinweis: Der BGH hat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Er hat Hinweise erteilt und ausgeführt, dass hier keine Bedenken dagegen bestünden, den Ausgleich für den bloßen Kontrollverlust in einer Größenordnung von 100 EUR zu bemessen.
Quelle: BGH, Urt. v. 18.11.2024 - VI ZR 10/24
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(aus: Ausgabe 02/2025)
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