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Zum Thema Arbeitsrecht
- Handynutzender Busfahrer: Lebenslanges Fahrverbot durch marktbeherrschendes Unternehmen ist unverhältnismäßig
- Unmobiles Mobilgerät? Arbeitgeber darf nicht auf feste Montage des Betriebsratslaptops bestehen
- Verletzung der Aufsichtspflicht: Beschaffenheit eines Einkaufswagens verbietet es, Fünfjährige allein damit rangieren zu lassen
- Weisungsrecht des Arbeitgebers: Bei der Bestimmung von Arbeitsbekleidung bleibt der Betriebsrat außen vor
- Zustimmung des Betriebsrats ersetzt: Über Teilzeitverkäuferinnen, Wunsch nach Mehrarbeit und Neueinstellung auf 20-Stunden-Basis
Dass Betriebsräte ein Stein im Schuh der Arbeitgeber sein können, nicken sicher auch Arbeitnehmer ab. Denn die Interessen von Arbeitgebern und -nehmern laufen naturgemäß oft zuwider. Deshalb aber zu versuchen, dem Betriebsrat das (Arbeits-)Leben schikanös zu erschweren, fällt oft auf die Arbeitgeber selbst zurück. So wie im Fall des Landesarbeitsgerichts Köln (LAG): Der zugrundeliegende Streit war nicht nur bereits im Kern unsinnig - er führte auch dazu, dass der Arbeitgeber letztlich das gesamte Verfahren zu zahlen hatte.
Der Betriebsrat hatte in einem Verfahren einen Beschluss des Arbeitsgerichts (ArbG) erwirkt, wonach ihm ein funktionsfähiger Laptop zur Verfügung zu stellen ist. Die Filialdirektorin der Arbeitgeberin erklärte daraufhin dem Betriebsratsvorsitzenden, sie händige den Laptop nur unter der Voraussetzung aus, dass man ihr sage, wo sie diesen befestigen könne. Die Arbeitgeberin meinte nämlich, mit der Verpflichtung zur Überlassung eines Laptops sei nicht der standortunabhängige Einsatz verbunden. Zudem habe sie ein Interesse daran, den Laptop durch die Befestigung vor Verlust oder Beschädigung zu sichern. Der Betriebsrat wollte daraufhin die Entscheidung des ArbG durch eine Zwangsvollstreckung umsetzen. Dagegen wiederum zog die Arbeitgeberin vor die Gerichte.
Das LAG entschied, dass die Überlassung eines Laptops unter der Bedingung, diesen im Betriebsratsbüro zu befestigen, den Anspruch des Betriebsrats nicht erfülle. Ein Laptop ist per Definition nämlich ein Mobilgerät - und damit eben auch standortunabhängig verwendbar. Eine Befestigung würde damit der definitionsgemäßen Verwendungsmöglichkeit entgegenstehen. Und schließlich gehöre der pflegsame Umgang mit überlassenen Sachmitteln zu den Rücksichtnahmepflichten des Betriebsrats nach dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit. Anhaltspunkte dafür, dass die Besorgnis berechtigt sei, der Betriebsrat würde dem nicht entsprechen, bestanden nicht.
Hinweis: Ein Arbeitgeber, der verpflichtet ist, seinem Betriebsrat ein Laptop zur Verfügung zu stellen, kommt dieser Verpflichtung nicht nach, wenn er auf der festen Montage des Geräts besteht. Anhand dieses Falls ist gut erkennbar, dass Streitigkeiten zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat auch übertrieben werden können.
Quelle: LAG Köln, Beschl. v. 05.06.2023 - 5 Ta 26/23
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 10/2023)
Vor dem Arbeitsgericht Suhl (ArbG) standen sich ein Arbeitgeber und dessen Betriebsrat gegenüber. Grund war eine Anordnung des Arbeitgebers über Arbeitskleidung. Dabei wurde hier noch nicht einmal vorgeschrieben, welche Bekleidung genau zu tragen sei, sondern vielmehr, welche nicht.
Nach Übernahme durch einen Konkurrenten hing der Arbeitgeber im Betrieb ein Schreiben aus, dass das Tragen der alten Arbeitskleidung mit dem Logo des vorigen Unternehmens oder mit Logos anderer Arbeitgeber nicht mehr gestattet sei. Dagegen beantragte der Betriebsrat den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Er war der Ansicht, dass die Aushänge ein Eingriff in sein Mitbestimmungsrecht seien. Das Tragen von Arbeitskleidung unterfiele schließlich der Mitbestimmungspflicht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 Betriebsverfassungsgesetz. Die Ordnung und das Verhalten im Betrieb seien betroffen.
Das sah das ArbG allerdings anders. Dem Betriebsrat stand weder ein Verfügungsanspruch noch ein Verfügungsgrund zur Seite. Zudem waren keine wesentlichen Nachteile erkennbar, die eine Eilentscheidung gerechtfertigt hätten. Zunächst hatte der Betriebsrat nicht schnell genug reagiert. Er hatte einen Monat abgewartet - und das ist für ein einstweiliges Verfahren in aller Regel zu lang. Und auch inhaltlich sah das Gericht es anders als der Betriebsrat. Der Arbeitgeber ist berechtigt, Regelungen zu erlassen, die das Verhalten der Beschäftigten im Betrieb beeinflussen und koordinieren sollen. Das ergibt sich aus dem sogenannten Weisungsrecht aus § 106 Gewerbeordnung. Die Anweisung, Arbeitsbekleidung mit firmenfremdem Logo nicht tragen zu dürfen, betrifft nicht das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer und ist deshalb nicht mitbestimmungspflichtig. Das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer ist nur dann berührt, wenn die Maßnahme des Arbeitgebers auf die Gestaltung des kollektiven Miteinanders oder die Gewährung und Aufrechterhaltung der vorgegebenen Ordnung des Betriebs zielt.
Hinweis: Arbeitgeber dürfen das Tragen von Arbeitskleidung mit Logos anderer Arbeitgeber auf dem Betriebsgelände ohne Beteiligung des Betriebsrats verbieten.
Quelle: ArbG Suhl, Beschl. v. 27.07.2023 - 4 BVGa 2/23
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(aus: Ausgabe 10/2023)
Dieser Fall hat natürlich auch seine Relevanz im Verkehrsrecht. Dennoch ist der arbeitsrechtliche Aspekt hier auschlaggebend. Denn es war eine Verkehrsgesellschaft, die einem Busfahrer, der durch einen Subunternehmer angestellt war, eine lebenslange Sperre erteilt hat, die natürlich eine Kündigung nach sich zog. Nun war es am Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG), diese weitreichenden Folgen mit der Ordnungswidrigkeit der Handynutzung am Steuer abzuwägen.
Der Busfahrer war bei einem privaten Busunternehmen angestellt, das seinerseits wiederum als Subunternehmerin für eine GmbH tätig war, die ihrerseits von einer städtischen Verkehrsgesellschaft beauftragt worden war. Der Busfahrer war auf einer der Linien der Verkehrsgesellschaft gefahren. Ein Fahrgast hatte ihn bei der Handynutzung während der Fahrt gefilmt und die Verkehrsgesellschaft darüber informiert. Diese sperrte den Busfahrer für die Zukunft auf allen ihren Linien. Das als Subunternehmen tätige Busunternehmen kündigte daraufhin dem Busfahrer aufgrund der Sperre fristlos das Arbeitsverhältnis. Gegen die lebenslange Sperre klagte nun der Busfahrer: Die Verkehrsgesellschaft missbrauche durch die zeitlich unbefristete Sperre ihre Marktmacht. Er würde in erreichbarer Entfernung von seinem Wohnort keine Anstellung mehr als Busfahrer im Liniennahverkehr finden. Die Verkehrsgesellschaft würde als marktbeherrschendes Unternehmen fast das gesamte Nahverkehrsbusnetz betreiben. Und selbst die Straßenverkehrsordnung sähe allenfalls ein Fahrverbot im schlimmsten Fall von maximal drei Monaten vor.
Auch das OLG ging von einem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung aus und sah die lebenslange Sperre als nicht gerechtfertigt an. Auch, wenn die Benutzung eines Handys während der Fahrt einen erheblichen Verkehrs- und Pflichtenverstoß darstellt, war die Sperre unverhältnismäßig - und damit unzulässig.
Hinweis: Natürlich dürfen gerade Busfahrer am Steuer kein Handy benutzen. Trotzdem hat der Arbeitgeber auch auf solche Vorfälle mit der gebotenen Verhältnismäßigkeit zu reagieren.
Quelle: OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.08.2023 - VI-6 U 1/23 (Kart)
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(aus: Ausgabe 10/2023)
Wann Arbeitgeber Bitten um Aufstockung der Arbeitszeit von Teilzeitkräften zu beachten haben, zeigt dieser Fall des Arbeitsgerichts Mannheim (ArbG). Dabei geht es einmal mehr um ein Anrecht, das in der Praxis viel zu oft scheitert, weil eine geäußerte Bitte zu oft mit einem konkreten Angebot verwechselt wird. Und dass beides auch im Arbeitsrecht eben nicht gleichzusetzen ist, zeigt auch das entsprechend getroffene Urteil.
In einem Einzelhandelsunternehmen gab es verschiedene Teilzeitmodelle. Sechs der Teilzeitverkäuferinnen beantragten beim Arbeitgeber eine Erhöhung ihrer wöchentlichen Arbeitszeit. Das Aufstockungsvolumen sollte bei einer Mitarbeiterin 15 Stunden pro Woche betragen, bei vier Mitarbeiterinnen jeweils zehn Stunden und bei einer Mitarbeiterin fünf Stunden. Statt auch nur einem dieser Wünsche nachzukommen, wollte der Arbeitgeber befristet für ein Jahr eine neue Verkäuferin mit 20 Wochenstunden einstellen. Das rief schließlich den Betriebsrat auf den Plan, der seine Zustimmung zur geplanten Einstellung verweigerte und meinte, der Arbeitgeber hätte zunächst die gewünschten Arbeitszeiterhöhungen vornehmen müssen, bevor er eine neue Teilzeitstelle schafft. Der Arbeitgeber beantragte die Ersetzung der Zustimmung durch das ArbG - und kam damit durch.
Die Einstellung war zulässig, und die Zustimmung des Betriebsrats wurde durch das ArbG ersetzt. Denn bei den Wünschen der Teilzeitmitarbeiterinnen handelte es sich nicht um ein konkretes Vertragsangebot. Es hätte mindestens eine der Mitarbeiterinnen anbieten müssen, auf die neue Stelle zu wechseln oder diese zusätzlich zu ihrem bisherigen Arbeitszeitvolumen zu übernehmen. Weil jedoch keine Mitarbeiterin ein solches Angebot unterbreitet hatte, bestand für den Betriebsrat kein Grund, die Zustimmung zur Neueinstellung zu verweigern.
Hinweis: Wenn eine Teilzeitkraft ihre Arbeitszeit aufstocken möchte, muss der Arbeitgeber den Wunsch mit ihr erörtern, sie über entsprechende freie Arbeitsplätze informieren und bei deren Besetzung bevorzugt berücksichtigen. So steht es in den §§ 7 und 9 Teilzeit- und Befristungsgesetz.
Quelle: ArbG Mannheim, Beschl. v. 28.06.2023 - 2 BV 2/23
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 10/2023)
In diesem Fall, der bis zum Bundesarbeitsgericht (BAG) ging, war das böse Ende seines Arbeitsverhältnisses für den Arbeitnehmer fast absehbar, da dieser schon des Öfteren seinen Lohn zu spät erhielt. Wie es dann für die Ansprüche von Arbeitnehmern gegen die Geschäftsführer persönlich aussieht, wenn das unternehmerische Kind durch Insolvenz endgültig in den Brunnen gefallen ist, lesen Sie hier.
Ein Arbeitnehmer erhielt - teilweise monatelang - verspätet sein Geld. Deshalb machte er in einem Monat von seinem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch. Er arbeitete nicht, wollte aber trotzdem die Bezahlung von insgesamt 176 Stunden erhalten. Der Arbeitgeber - eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) - zahlte jedoch nicht, sondern meldete einige Monate später Insolvenz an. Nun klagte der Arbeitnehmer gegen die Geschäftsführer. Er wollte für den Monat Juni Geld in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns je Stunde erhalten. Er meinte, dass die Geschäftsführer dafür persönlich haften würden. Denn immerhin sei ein Verstoß gegen das Mindestlohngesetz (MiLoG) eine Ordnungswidrigkeit.
Das sah das BAG anders. Geschäftsführer einer GmbH haften nicht gegenüber den Arbeitnehmern auf Schadensersatz. Denn für eine solche Haftung ist ein sogenanntes Schutzgesetz erforderlich. Das sah das Gericht allerdings im MiLoG im Verhältnis zu den Geschäftsführern der Gesellschaft nicht. Nach der gesetzlichen Wertung ist die Haftung von Geschäftsführern einer GmbH grundsätzlich auf das Verhältnis zur Gesellschaft begrenzt. Außenstehenden Dritten gegenüber haften sie grundsätzlich nicht persönlich.
Hinweis: Für Geschäftsführer ist die Entscheidung des BAG wichtig. Sie haften gerade nicht persönlich gegenüber Arbeitnehmern für unterbliebene Zahlungen des Mindestlohns.
Quelle: BAG, Urt. v. 30.03.2023 - 8 AZR 120/22
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 10/2023)
Zum Thema Erbrecht
- Erbschaftsausschlagung wirksam: Ausfertigung notarieller Ausschlagungserklärung erfüllt gesetzliches Formerfordernis
- Sorgfaltspflicht hat Grenzen: Gaststätte muss auf rustikal-mediterraner Terrasse keinen komplett ebenen Untergrund garantieren
- Streichung des Ersatzerben: Offensichtlich bedachte Erbreihenfolge schließt Spielräume bei Testamentsauslegung aus
- Teilungsanordnung: Umdeutung einer letztwilligen Verfügung in wirksames Rechtsgeschäft
- Wirtschaftliche Betrachtungsweise maßgeblich: Irrtum über die Werthaltigkeit eines Nachlasses kann zur Anfechtung der Erbschaftsannahme führen
Oft genug muss gerichtlich geklärt werden, was ein Erblasser womöglich gewollt hatte, als dieser schlichtweg unklare oder stark lückenhafte Formulierungen in seiner letztwilligen Verfügung wählte. Im Fall des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG) verhielt es sich umgekehrt. Hier sahen Nachkommen mehr Raum für eine Testamentsauslegung zu ihren Gunsten, als der Erblasser selbst offengelassen hatte.
Der kinderlose Erblasser hatte eine Schwester und zwei Brüder, die zwar alle vor ihm verstorben waren, aber Nachkommen hinterließen. Der Erblasser verfasste mehrere letztwillige Verfügungen, in denen er insbesondere immer Ersatzerben für den Fall des Wegfalls der benannten Erben einsetzte. 2003 widerrief der Erblasser seine vorherigen Verfügungen und bestimmte einen Bruder zum Alleinerben, dessen Ehefrau zur Ersatzerbin und deren Sohn (also den Neffen des Erblassers) zum Ersatzerben nach der Mutter. In einem weiteren Testament strich der Erblasser nach einem Streit 2020 seinen Neffen als Ersatzerben seiner Mutter. Der als Bruder eingesetzte Alleinerbe war da bereits vorverstorben.
Die Schwägerin des Erblassers schlug die Erbschaft im August 2022 schließlich aus, um keine Grundsicherungsleistungen zu verlieren. Daraufhin beantragte einer der Söhne des als Ersatzerben ausgeschlossenen Neffen die Erteilung eines Erbscheins, der ihn und seine Geschwister als Miterben zu je 1/3-Anteil ausweisen sollte. Er argumentierte, dass die Testamente von 2003 und 2020 dahingehend auszulegen seien, dass der Erblasser nur den Erbenstamm seines Bruders bedenken wollte und der Vater der Geschwister (der einstige Neffe des Erblassers) ja nicht mehr als Ersatzerbe vorgesehen war. Es müsse also im Sinne des Erblassers gewesen sein, dass die in seinem Eigentum stehende Immobilie an die Geschwister - als Enkel des vorverstorbenen Bruders - weitergegeben werde.
Das Amtsgericht lehnte ebenso wie das OLG eine ergänzende Testamentsauslegung ab und wies den Erbscheinantrag zurück. Das Gericht konnte nicht feststellen, dass es dem Willen des Erblassers entsprochen hätte, dass die Großneffen bei Wegfall der Schwägerin als Erbin zu deren Ersatzerben bestimmt werden sollten. Schließlich sei dem Erblasser aufgrund der vorherigen Verfügungen das Konstrukt der Benennung von Ersatzerben bekannt gewesen. Ihm war also offensichtlich bewusst, dass die Streichung seines Neffen als Ersatzerben (Vater der Antragsteller) entsprechende Konsequenzen nach sich ziehen würde, wenn die Schwägerin nicht zur Erbin wird. Auch aus dem Umstand, dass der Erblasser zunächst seine Schwägerin als Erbin und deren Sohn als Ersatzerben benannt hatte, kann nicht gefolgert werden, dass hierdurch beim Wegfall eines Erben der nächste im Stamm zur Erbfolge berufen sein sollte. Aufgrund des Umstands, dass der Erblasser seinen Neffen von der Erbfolge ausgeschlossen hatte, sei für eine derartige Testamentsauslegung kein Raum mehr.
Hinweis: Eine ergänzende Auslegung kommt nur dann in Betracht, wenn im Rahmen einer einfachen Auslegung der Erblasserwille nicht ermittelt werden kann. Sie dient dazu, vom Erblasser eigentlich unbeabsichtigte Lücken im Testament zu schließen.
Quelle: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.07.2023 - 3 Wx 76/23
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 10/2023)
Die Ausschlagung einer Erbschaft erfolgt durch Erklärung zur Niederschrift beim Nachlassgericht oder in öffentlich beglaubigter Form, in der Regel durch notarielle Beurkundung. Darüber hinaus ist die Ausschlagung fristgebunden, wobei für den Beginn der Frist auf die Kenntnis des Ausschlagenden von der Erbschaft abgestellt wird. Mit den Besonderheiten dieses Form- und Fristerfordernisses musste sich das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) beschäftigen.
Eheleute hatten im Jahr 2007 ein gemeinschaftliches eigenhändiges Testament errichtet und sich gegenseitig zu alleinigen Erben eingesetzt. Nach dem Tod des Letztversterbenden sollten die Töchter aus erster Ehe Erbinnen werden. Der überlebende Ehegatte sollte zu Lebzeiten über den Nachlass frei verfügen dürfen - nicht jedoch durch eine neue letztwillige Verfügung. Nach dem Tod der Ehefrau erklärte der überlebende Ehemann durch notarielle Urkunde die Ausschlagung der Erbschaft. Der Notar beantragte unter Bezugnahme auf die Erbschaftsausschlagung sowie das gemeinschaftliche Testament einen gemeinschaftlichen Erbschein zugunsten der Töchter der Eheleute. Die erklärte Ausschlagung übersandte der Notar jedoch nicht im Original, sondern als Ausfertigung an das Nachlassgericht. Dieses war der Ansicht, dass die Erbschaftsausschlagung immer im Original nachgewiesen werden müsse. Die Ausschlagung sei auch nicht fristgerecht erfolgt, da davon auszugehen sei, dass bereits mit dem Tod der Erblasserin festgestanden haben muss, dass der Ehemann Erbe geworden ist. Aus diesem Grund könne dieser sich nicht darauf berufen, dass die Erbfolge regelmäßig erst nach Bekanntmachung der Verfügung von Todes wegen durch das Nachlassgericht feststehe. Das Nachlassgericht wies daher den Antrag auf einen gemeinschaftlichen Erbschein der Töchter zurück.
Diese Entscheidung hat das OLG aufgehoben und festgestellt, dass der beantragte Erbschein zugunsten der Töchter zu erteilen war, da der Ehemann die Erbschaft wirksam ausgeschlagen hatte. Das Gericht hat in diesem Zusammenhang klargestellt, dass für die Ausschlagungserklärung nicht die Vorlage der Erklärung im Original notwendig ist. Die Ausfertigung der notariellen Ausschlagungserklärung erfüllt bereits das gesetzliche Formerfordernis. Darüber hinaus gibt es keinen Erfahrungssatz, der den Rückschluss zulässt, dass bei einer gewillkürten Erbfolge die Frist zur Ausschlagung bereits vor Bekanntgabe der Verfügung von Todes wegen beginnt.
Hinweis: Fehlt in einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament eine Ersatzerbenregelung und schlägt der testamentarische Alleinerbe die Erbschaft aus, führt die ergänzende Auslegung regelmäßig dazu, dass mit einer bindenden Schlusserbeneinsetzung der Kinder diese gleichzeitig auch Ersatzerben werden sollten.
Quelle: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.07.2023 - 3 Wx 91/23
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 10/2023)
Die Auslegung von Testamenten und Erbverträgen gehört zum Regelfall, wenn es um die Ermittlung des letzten Willens eines Erblassers geht. Welche Folgen es haben kann, wenn das Rechtsgeschäft, das der Erblasser gewollt hat, unzulässig ist, war Gegenstand dieser Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG).
Die Eheleute hatten sich aufgrund eines notariellen gemeinschaftlichen Testaments gegenseitig zu Erben zu 6/7 eingesetzt. Der Erstversterbende setzte darüber hinaus einen Sohn zu 1/7 zum Vorerben ein. Die Ausnahme zu dieser Regelung sollte ein Grundstück bilden, als dessen Alleinerbe ausdrücklich der überlebende Ehegatte vorgesehen war. Als das OLG dann über eine Zwischenverfügung des Grundbuchamts zum Grundstück zu entscheiden hatte und die Sache wegen einer rechtswidrigen Zwischenverfügung zurück an das Amtsgericht verwies, fiel ihm etwas auf: Die testamentarische Regelung war ihrem Wortlaut nach unzulässig. Die Erbeinsetzungen in dem Testament verstoßen gegen die zwingende Regelung des Erbrechts über eine Gesamtrechtsnachfolge - eine Rechtsnachfolge bezüglich einzelner Vermögensgegenstände ist gesetzlich nicht vorgesehen. Die Eheleute seien hier aber offensichtlich davon ausgegangen, dass neben dem überlebenden Ehegatten auch der Sohn als Überlebender zu 1/7 als Vorerbe des Erstversterbenden eingesetzt werden sollte.
Ist das Rechtsgeschäft unwirksam und daher auch für eine Auslegung nicht mehr zugänglich, kommt nach Ansicht des OLG eine Umdeutung in ein wirksames Rechtsgeschäft in Betracht. Die Zuwendung des Miteigentumsanteils an den Überlebenden entspräche einer sogenannten Teilungsanordnung, die im Rahmen eines Testaments auch getroffen werden kann. Bei einer solchen Teilungsanordnung wird festgelegt, wie die Nachlassverteilung unter bestimmten Miterben mit feststehenden Erbteilen erfolgen soll. Das AG ist bei seiner erneuten Entscheidung nun angehalten, diese rechtlichen Hinweise bei einer Entscheidung über die Grundbuchberichtigung zu berücksichtigen.
Hinweis: Die Einhaltung einer Teilungsanordnung ist für jeden Miterben rechtlich durchsetzbar. Bei Einigkeit unter allen Miterben kann von einer Teilungsanordnung abgewichen werden.
Quelle: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.08.2023 - 3 Wx 105/23
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 10/2023)
Wird eine Erbschaft unter falscher Annahme über die Werthaltigkeit angenommen, kann dies in Ausnahmefällen zu einer Anfechtung der Erbschaftsannahme führen. Im Fall des Oberlandesgerichts Karlsruhe (OLG) spielten sogar gleich zwei Insolvenzverfahren eine entscheidende Rolle.
Noch zu Lebzeiten führte die Erblasserin einen Rechtsstreit gegen ein Universitätsklinikum aufgrund eines vermeintlichen ärztlichen Behandlungsfehlers. Über das Vermögen der Erblasserin wurde im Jahr 2015 ein Insolvenzverfahren eröffnet. Dann verstarb die Erblasserin im Jahr 2018 und hinterließ einen Sohn als alleinigen gesetzlichen Erben. Das Insolvenzverfahren wurde als Nachlassinsolvenzverfahren fortgeführt. Nach dem Tod der Mutter beantragte der Sohn, über dessen eigenes Vermögen inzwischen auch ein Insolvenzverfahren eröffnet worden war, als Alleinerbe die Erteilung eines Erbscheins - in der Annahme, dass der Nachlass überschuldet sei.
Bezüglich des medizinrechtlichen Haftungsfalls wurde nach dem Tod der Frau jedoch ein gerichtlicher Vergleich abgeschlossen, mit dem sich das Universitätsklinikum zur Schadensersatzzahlung von 1,5 Mio. EUR verpflichtete. Während der erbende Sohn bei der Vermögensaufstellung des Insolvenzverwalters bei Annahme der Erbschaft also noch davon ausging, dass die Verbindlichkeiten der Mutter in etwa 2 Mio. EUR betrugen, stellte sich im Laufe des Insolvenzverfahrens nun heraus, dass diese nur noch rund 1 Mio. EUR betrugen. Nachdem der Erbe Kenntnis hiervon erhalten hat, erklärte er die Anfechtung der Annahme der Erbschaft. Hätte er gewusst, dass der Nachlass werthaltig war, hätte er die Erbschaft ausgeschlagen. Warum das? Ganz einfach: Somit wäre seinen eigenen Kindern ein positives Vermögen zugutegekommen.
Diese Argumentation ließ im Ergebnis auch das OLG gelten. Der Bestand der im Insolvenzverfahren eines Erblassers angemeldeten Forderungen stellt eine Eigenschaft des Nachlasses dar. Erfolgt die Annahme der Erbschaft in der falschen Vorstellung, der Nachlass sei überschuldet, könne dies eine Anfechtung wegen eines Irrtums rechtfertigen. Auch für den Erben gelte, dass im Wesentlichen eine wirtschaftliche Betrachtungsweise maßgeblich ist. Es sei nicht anzunehmen, dass der Schuldner im Fall der Werthaltigkeit eines Nachlasses in erster Linie anstrebt, seine eigenen Verbindlichkeiten zu bedienen.
Hinweis: Stellen Erben nach der Annahme einer Erbschaft fest, dass ein Nachlass überschuldet ist, besteht die Möglichkeit, einen Antrag auf Einleitung einer Nachlassinsolvenz zu stellen. Wird das Verfahren eröffnet, verlieren die Erben aber den Zugriff auf den Nachlass.
Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 23.08.2023 - 14 W 144/21
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 10/2023)
Hat ein Testamentsvollstrecker auch einen Anspruch auf seine Vergütung, obwohl er durch das Nachlassgericht aus dem Amt entfernt wurde? Diese Frage musste das Saarländische Oberlandesgericht (OLG) beantworten.
Der aufgrund einer testamentarischen Verfügung der Erblasserin eingesetzte Testamentsvollstrecker wurde vom Nachlassgericht aus seinem Amt entfernt, da zum Zeitpunkt der Entscheidung die Befürchtung bestand, dass er seine persönlichen Interessen über die der Erblasserin gestellt hatte. Nach der Übergabe des Amts an den neuen Testamentsvollstrecker machte er Vergütungsansprüche für seine bisherige Tätigkeit gegenüber dem Nachlassgericht geltend.
Das OLG kam ebenso wie das Landgericht zuvor zu dem Ergebnis, dass nicht jede Verfehlung eines Testamentsvollstreckers auch die Verwirkung seiner Vergütungsansprüche zur Folge hat. Insbesondere sei für eine Beurteilung der Verwirkung auf den Zeitpunkt des Rechtsstreits über die Vergütung und nicht auf den Zeitpunkt der Entscheidung durch das Nachlassgericht abzustellen. Die Befürchtungen, der Testamentsvollstrecker hätte nicht im Interesse der Erblasserin gehandelt, konnten später nicht bestätigt werden.
Hinweis: Ein Anspruch auf eine Vergütung kann verwirkt werden, wenn der Testamentsvollstrecker in besonders grober Weise gegen seine Pflichten verstoßen hat. Eine nur zögerliche Bearbeitung von Auskünften, die man dem Testamentsvollstrecker hier vorwerfen konnte, reicht hierfür nicht aus.
Quelle: Saarländisches OLG, Urt. v. 26.07.2023 - 5 U 98/22
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 10/2023)
Zum Thema Familienrecht
- 3.000 EUR Entschädigung: Folgen der Fremdunterbringung dürfen nicht gravierender sein als der Verbleib bei einem Elternteil
- Haftung für Mindestlohn? Außenstehenden Dritten haften GmbH-Geschäftsführer grundsätzlich nicht persönlich
- Kein Elterngrundrecht für Pflegeeltern: Berechtigter Wechsel der Pflegestelle zum Zweck der besseren Förderung des Kindes
- Rücknahme des Scheidungsantrags: Bei Mutwilligkeit kann Verfahrenskostenhilfe nur noch einschränkend bewilligt werden
- Zunächst wird der Bedarf des Kindes ermittelt. Dabei kommt es auf die Einkommensverhältnisse beider Eltern an: Je mehr die Eltern eines Kindes zusammen verdienen, desto höher ist auch der Unterhaltsbedarf des Kindes.
- In einem nächsten Schritt wird ein pauschaler Abschlag vom Unterhaltsbedarf des Kindes vorgenommen. Dadurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der mitbetreuende Elternteil in der Mitbetreuungszeit einen Teil des Unterhaltsbedarfs abdeckt.
- Dann wird die relative finanzielle Situation der Eltern betrachtet: Es wird berechnet, inwieweit der mitbetreuende Elternteil für den Unterhaltsbedarf des Kindes verantwortlich wäre, wenn man die Unterhaltslasten allein mit Blick auf die relative Einkommenssituation der Eltern verteilen würde.
- Der im vorigen Schritt ermittelte Wert wird nun angepasst und trägt der Tatsache Rechnung, dass der mitbetreuende Elternteil im asymmetrischen Wechselmodell substantielle Betreuungsleistungen erbringt. Dabei kommt erneut ein pauschalierender (verallgemeinernder) Ansatz zum Tragen. Streit über die exakte Höhe der Betreuungsanteile wird so vermieden.
- Abschließend wird das Kindergeld zwischen den Eltern verrechnet. Das Rechenmodell stellt sicher: Je mehr der mitbetreuende Elternteil im Verhältnis zum hauptbetreuenden Elternteil verdient, desto mehr Unterhalt muss er zahlen. Doch Elternteile, die substantielle Mitbetreuung leisten, müssen im Regelfall weniger zahlen als solche, die nur Freizeitumgang pflegen.
- Vier Jahre lang: Bei verschwiegener Einkommenserhöhung drohen Widerruf von Verfahrenskostenhilfe und Strafsanktionen
Nimmt man einen Scheidungsantrag zurück, womit man das Verfahren beendet (weil der andere Ehegatte selbst keinen Antrag gestellt hatte), und stellt kurz darauf erneut einen Scheidungsantrag, entstehen sowohl bei Gericht als auch beim Rechtsanwalt doppelte Kosten. Wer dabei auf staatliche Verfahrenskostenhilfe (VKH) angewiesen ist, muss gute Gründe haben. Und diese hatte die Frau im Fall des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG) nicht, als sie den Scheidungsantrag im März zurücknahm und im Mai neu beantragte.
Für das erste Verfahren hatte die Frau noch VKH bewilligt bekommen, so dass sie sich für das zweite Verfahren selbiges erhoffte. Dabei machte sie weder eine zwischenzeitliche Versöhnung geltend noch andere gute Gründe für den doppelten Aufwand. Sie hatte ihren Anwalt schriftlich zur Rücknahme des Antrags angewiesen und erst im zweiten Verfahren offengelegt, was ihr Motiv gewesen war: Das Verfahren habe ihr zu lang gedauert, weil ihr Mann trotz Zwangsgeld keine Angaben zum Versorgungsausgleich machte. Dass der Start eines neuen Verfahrens dagegen keine Abhilfe schuf, sei ihr nicht klar gewesen.
Das Amtsgericht wollte ihr daraufhin gar keine VKH bewilligen, weil sie mutwillig Kosten verursacht hatte. Das OLG modifizierte dies zugunsten der Scheidungswilligen und hat die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen: Lediglich auf die erneute Erstattung der Gebühren, die im ersten Verfahren bereits angefallen waren, muss die Frau verzichten. Denn selbst bei Mutwilligkeit darf die VKH nicht vollständig verweigert werden. Sie müsse dann - lediglich mit Ausnahme der bereits entstandenen und aus der Staatskasse verauslagten Rechtsanwaltsgebühren sowie der bereits entstandenen allgemeinen Verfahrensgebühr des Gerichts - der bedürftigen Antragstellerin bewilligt werden.
Hinweis: Es kann taktische Gründe geben, ein bereits laufendes Scheidungsverfahren durch Antragsrücknahme zu beenden und ein neues Verfahren einzuleiten - solange der Gegner keinen eigenen Scheidungsantrag stellt. Eine solche Rücknahme (gepaart mit neuem Antrag) hat in der Regel mit dem güterrechtlichen Endstichtag zu tun, weil der andere zum Beispiel zwischenzeitlich einen Lottogewinn gemacht hat. Falls sich abzeichnet, dass die Ehe demnächst durch Tod endet, kann auch das ein wirtschaftliches Argument sein (Witwenversorgung, Erbrecht). Aber auch eine Rücknahme, durch die sich die örtliche Zuständigkeit ändert, kann erwünscht sein.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 19.07.2023 - 6 WF 86/23
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 10/2023)
Wer "arm im Sinne des Gesetzes" ist, kann Verfahrenskostenhilfe (VKH) bewilligt bekommen. Dazu gehört auch eine Überprüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse, und das bis vier Jahre nach Verfahrensabschluss. Wem VKH (auch Prozesskostenhilfe) bewilligt wurde, muss in dieser Zeit unaufgefordert mitteilen, wenn sich die wirtschaftliche Situation verbessert hat. Ein Unterlassen kann zur Aufhebung der Bewilligung und Rückforderung führen - wo wir beim Kernpunkt des folgenden Falls sind, den das Oberlandesgericht Dresden (OLG) zu entscheiden hatte.
Einer Mutter, deren einziges Einkommen Elterngeld war und die in einen Umgangsstreit vor Gericht verwickelt war, wurde VKH zugestanden. Nach dem Verfahren war sie dann auch wieder berufstätig geworden und bezog dadurch deutlich höhere Einkünfte als das Elterngeld - allerdings immer noch so wenig, dass sie weiterhin "arm" war. Dennoch entzog das Amtsgericht ihr die bewilligte VKH und forderte über 3.000 EUR - und zwar als Sanktion dafür, dass sie die Einkommenserhöhung nicht unaufgefordert mitgeteilt hatte.
Das Gericht kann die Bewilligung der VKH aufheben, wenn der Beteiligte dem Gericht wesentliche Verbesserungen seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtig oder nicht unverzüglich mitgeteilt hat. Bezieht er ein laufendes monatliches Einkommen, ist eine Einkommensverbesserung nur wesentlich, wenn die Differenz zu dem bisher zugrunde gelegten Bruttoeinkommen nicht nur einmalig 100 EUR übersteigt. Dies gilt entsprechend, wenn abzugsfähige Belastungen entfallen. Es stand daher die Frage im Raum, ob durch die Einkommenserhöhung von "100 EUR monatlich mehr" die Bedürftigkeitsvoraussetzungen entfallen. Das OLG erläuterte, dass diese Rechtsfrage durchaus uneinheitlich beantwortet wird, und stellte sich daraufhin auf die Seite der Frau. In den Augen des OLG könnten vom Gesetzgeber nur verschwiegene Einkommenserhöhungen, mit denen man aus der Armutsgrenze herauskommt, gemeint gewesen sein. Und über diese Schwelle ist die Frau hier leider noch nicht gegangen.
Hinweis: Die Mitteilungspflichten gehen aus dem Kleingedruckten im Formular hervor, das der VKH-Antragsteller ausfüllen und unterschreiben muss. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass diese Hinweise selten gelesen werden. In den meisten Bewilligungsbeschlüssen zur VKH wird der Hinweis auf diese Pflicht auch nicht wiederholt.
Quelle: OLG Dresden, Urt. v. 14.08.2023 - 18 WF 203/23
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 10/2023)
Im Fall des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG) ging es um einen Sechsjährigen, der Opfer des Trennungsstreits seiner Eltern wurde. Der Vater bezichtigte die Mutter der Kindesmisshandlung, das Jugendamt brachte den Jungen ins Heim, von wo aus er vier Monate später zurück zur Mutter kam und später durch Entscheidung des Familiengerichts zum Vater wechselte. Hatte das Jugendamt ein Kind zu Unrecht aus dem Haushalt seiner Eltern in Obhut genommen, und kann dem Kind Schmerzensgeld zugesprochen werden? Lesen Sie selbst.
Das OLG stellte zunächst fest, dass das Jugendamt erst einmal korrekt auf die Informationen durch den Vater reagiert habe, die dieser durch ein ärztliches Attest belegen konnte. Die anfängliche Inobhutnahme habe keine schuldhafte Amtspflichtverletzung dargestellt, sondern diente der Klärung und Beruhigung der Situation. Insbesondere sei nicht feststellbar, dass das Jugendamt den Sachverhalt unzureichend ermittelt oder durch eine fehlerhafte Antragstellung die gerichtliche Entscheidung maßgeblich beeinflusst habe. Obwohl es bis hierhin nichts zu beanstanden gab, kommt hier das große und entscheidende "Aber!": Das Jugendamt hätte den Jungen nicht so lange im Heim belassen dürfen.
Kindern, die in einen hochkonflikthaften Streit zwischen den Elternteilen hineingezogen werden, sei nicht damit gedient, dass sie außerhalb der Familie untergebracht würden. Die ursprüngliche Herausnahme aus der Familie wäre lediglich als kurzfristige Maßnahme veranlasst gewesen, in deren Verlauf eine Beruhigung eintreten sollte. Eine monatelange Trennung von beiden Eltern habe das Kind dagegen nicht als Entlastung von dem elterlichen Konflikt erleben können, sondern als ungerechtfertigte Folge dessen, dass er sich beim Vater über die Schläge seiner Mutter beschwert habe. Der Gefahr befürchteter Misshandlungen durch die Mutter hätte alternativ dadurch begegnet werden können, dass das Kind bis zur endgültigen Entscheidung über das Sorgerecht bei seinem Vater lebt und dort mit sozialpädagogischer Familienhilfe begleitet wird. Dem Kind wurde daher wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eine Entschädigung von 3.000 EUR zugesprochen. Zudem muss der Jugendamtsträger für künftige Schäden einstehen.
Hinweis: Die Fremdunterbringung eines Kindes aus Anlass eines tiefgreifenden Elternkonflikts ist nur dann gerechtfertigt, wenn der permanente Elternkonflikt das Kindeswohl in hohem Maße und mit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet, während das Kind bei einem der beiden Elternteile wohnt. Zu berücksichtigen ist dabei stets der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Die Folgen der Fremdunterbringung dürfen für das Kind nicht gravierender sein als die Folgen eines Verbleibs bei einem Elternteil.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 27.07.2023 - 1 U 6/21
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 10/2023)
Das Bundesjustizministerium hat im August 2023 ein Eckpunktepapier zur Reform des Unterhaltsrechts vorgelegt. Reformbedarf besteht, weil die bisherige "Düsseldorfer Tabelle" als Normalfall vor Augen hat, dass nach einer Trennung ein Elternteil den Lebensmittelpunkt für die Kinder bietet (bisher klassisch: die Mutter) und der andere nur ein Umgangsrecht ausübt (bisher klassich: der Vater). In den letzten Jahren mehrten sich aber die Fälle, in denen auch nach der Trennung beide Elternteile die Alltagsbetreuung ausüben - sogar bis hin zu einer hälftigen Teilung. Da die Lösungen der Rechtsprechung in diesem sogenannten "asymmetrischen Wechselmodell" uneinheitlich und oft ungerecht sind, will die Politik mit der Reform eine partnerschaftliche Betreuung minderjähriger Kinder fördern und die Betreuungsleistungen beider Eltern angemessen berücksichtigen. Das nun vorliegende Eckpunktepapier soll ein Anfang der Debatte sein.
Mit einem pauschalierenden objektiven Ansatz (Anzahl der Übernachtungen des Kindes beim jeweiligen Elternteil pro Jahr) soll der jeweilige Betreuungsbeitrag berücksichtigt werden. Die vorgeschlagene Berechnungsmethode umfasst mehrere Schritte:
Die vorgeschlagene Reform würde einen Anreiz für Väter setzen, sich mehr in der Betreuung von Kindern zu engagieren. Ein solches stärkeres Engagement von Vätern kann auch für Mütter vorteilhaft sein: Sie sparen dadurch eigene Aufwendungen und haben unter Umständen mehr Freiraum für eigene Erwerbstätigkeit. Als unangenehmer Nebeneffekt wird allerdings erwartet, dass mit jeder weiteren Übernachtung beim Vater Streitigkeiten über die finanziellen Auswirkungen für beide Seiten folgen könnten.
Der neue Gesetzesvorschlag soll ab einem 29%igen Mitbetreuungsanteil greifen. Ab dieser Schwelle (und bis zu einer Betreuungsleistung von knapp unter 50 %) soll von einer Betreuung im asymmetrischen Wechselmodell ausgegangen werden.
Für die anderen Betreuungskonstellationen (Residenz- und Wechselmodell) soll sich an der Verteilung der Unterhaltslasten nichts ändern. Für das symmetrische Wechselmodell wird allerdings eine neue Vertretungsregel vorgeschlagen: Jeder Elternteil soll das Kind im Verfahren vertreten können. Das bisher erforderliche vorgeschaltete Sorgerechtsverfahren würde dann nicht mehr erforderlich sein.
Quelle: www.bmj.de
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(aus: Ausgabe 10/2023)
Wenn ein Pflegekind aus der bestehenden Bindung zur Pflegefamilie herausgerissen wird, stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten die ehemaligen Pflegeeltern haben, diese Entscheidung rückgängig zu machen. Das Ehepaar im folgenden Fall wusste sich nicht mehr weiterzuhelfen, als beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Verfassungsbeschwerde einzureichen.
Für mehr als vier Jahre waren Eheleute die Dauerpflegeeltern des Kindes gewesen, nachdem dieses im Alter von sechs Monaten zu ihnen gekommen war. Bei dem Kind zeigten sich Entwicklungsverzögerungen, die auf einen Drogenkonsum seiner leiblichen Mutter während der Schwangerschaft zurückzuführen waren. Sowohl im Kindergarten, wo dem Kind eine 1:1-Betreuung zur Seite gestellt worden war, als auch mit den Pflegeeltern gab es zunehmend Konflikte. Die Vormundin des Kindes und das Jugendamt befürchteten eine Überforderung der Pflegeeltern und brachten das Kind daher bei anderen Pflegeeltern unter, die aufgrund ihrer jeweiligen beruflichen Tätigkeit mit den Störungsbildern solcher Kinder gut vertraut sind. Die Pflegeeltern wehrten sich hiergegen vor den Familiengerichten - letztlich erfolglos. Denn die Gerichte wogen den Bindungsabbruch gegen die fehlende Qualifikation miteinder ab.
Weil diese Abwägungen nachvollziehbar und begründet waren, konnte auch das BVerfG nicht helfen. Auf das Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz können sich Pflegeeltern hierbei nämlich nicht stützen. Das BVerfG hat die Beschwerde daher nicht zur Entscheidung angenommen.
Hinweis: Bei einem Wechsel von einer Pflegefamilie in eine andere kommt es maßgeblich auf das Wohl des Kindes an, nicht auf die Interessen seiner vormaligen Pflegeeltern an ihrer gewachsenen Bindung zum Kind. Dem ließe sich nur durch eine frühzeitige Adoption abhelfen.
Quelle: BVerfG, Urt. v. 28.08.2023 - 1 BvR 1088/23
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(aus: Ausgabe 10/2023)
Zum Thema Mietrecht
- Aus Amt entfernt: Vergütunganspruch eines Testamentsvollstreckers nur nach besonders groben Pflichtverstößen verwirkt
- Beschlussfreudige WEG: Beschluss darf Verwalter nicht zum Herrn der Gemeinschaft und Eigentümer zu Knechten machen
- Besichtigungsrecht des Vermieters: Eigentümerinteressen müssen gegenüber Gesundheitsgefahren auf Mieterseite zurückstehen
- Straftat dem Vermieter gegenüber: Todesdrohung führt zu außerordentlicher Kündigung
- Umgehung des Mieterschutzes: Kündigung wegen künstlich herbeigeführten Eigenbedarfs unwirksam
In einer Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) ist die Installation eines Verwaltungsbeirats gerade in größeren Anlagen sehr sinnvoll. Ein solcher Verwaltungsbeirat unterstützt und überwacht letztendlich den Verwalter. Ob eine Beirätin dafür mit einer fest definierten Summe entschädigt werden darf, war im Folgenden eine von zwei Fragen zum Verwaltungsrat. Die andere, gegen die Miteigentümer ebenfalls vor das Amtsgericht Charlottenburg (AG) zogen, war sicherlich die schwerwiegendere, wenn man sich die Folgen des angefochtenen Beschlusses zu Gemüte zieht.
In einer Eigentümerversammlung wurde beschlossen, dass eine Beirätin eine jährliche Aufwandsentschädigung von 1.000 EUR erhalten soll. Zudem wurde der Verwalter ermächtigt, nach vorheriger Abstimmung mit dem Verwaltungsbeirat Wartungs-, Lieferanten, Versicherungs-, Versorgungs- und Dienstleistungsverträge im Namen der Eigentümergemeinschaft zu kündigen, zu ändern, zu verlängern, zu erweitern und neu abzuschließen. Gegen diese beiden Beschlüsse zogen Miteigentümer der WEG vor das Gericht.
Das AG gab den klagenden Eigentümern Recht. Wird ein Verwaltungsbeirat bestellt, ist er grundsätzlich unentgeltlich tätig und kann lediglich den Ersatz seiner ihm tatsächlich entstandenen Aufwendungen verlangen. Ein nicht zweckgebundener freier Beitrag darf ihm hingegen nicht zugewandt werden.
Ebenso rechtswidrig war der Beschluss zu den erweiterten Kompetenzen des Verwalters. Denn seine Kompetenzen wären damit schier uferlos geworden. Er könne Verträge mit unbeschränkter Summe und undefiniertem Gegenstand mit Dienstleistern aller Art abschließen - also auch Verträge in mehrfacher Millionenhöhe mit Baufirmen und Planern. Diese dürften dann selbst Gemeinschaftseigentum erheblich umgestalten, obwohl die Gemeinschaft diese baulichen Veränderungen nicht durch Beschluss gestattet hat und die Bausumme die finanzielle Leistungsfähigkeit der Gemeinschaft übersteigen könnte. Ein Beschluss, der den Verwalter zum Herrn der Gemeinschaft macht und die Eigentümer zu Knechten, die seinen Willen auszuführen haben, ist rechtswidrig und für ungültig zu erklären.
Hinweis: Keine WEG sollte sich die originären Rechte aus der Hand nehmen lassen. Es geht um Eigentum, das eben auch Rechte und Pflichten mit sich bringt.
Quelle: AG Charlottenburg, Urt. v. 12.05.2023 - 73 C 62/22
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 10/2023)
Unser Grundgesetz regelt in Art. 13 die sogenannte Unverletzlichkeit der Wohnung. Selbstverständlich gibt es Voraussetzungen, die auch dieses Grundrecht außer Kraft setzen - dennoch zeigt dieses Grundrecht, was die Wohnung uns Menschen bedeutet. Sie ist ein sicherer Rückzugsort, die dem Einzelnen einen elementaren Lebensraum zusichert. Da eine Mietwohnung jedoch einen anderen Eigentümer als die Bewohner hat, steht außer Frage, dass es dem Eigentümer unter bestimmten Voraussetzungen auch möglich sein muss, dieses Eigentum zu betreten. Wann dieses Recht nicht einfach durchzusetzen ist, zeigt dieser Fall, der bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) ging.
In einem Mietvertrag hatte der Vermieter mit seiner Mieterin vereinbart, dass die Besichtigung der Mieträume zu verkehrsüblicher Tageszeit nach vorheriger rechtzeitiger Ankündigung aus besonderem Anlass möglich sein soll - insbesondere im Fall der Beendigung des Mietverhältnisses zwecks anderweitiger Vermietung oder bei beabsichtigtem Verkauf der Wohnung. Zwei Jahre nach Abschluss des Mietvertrags wollte der Vermieter die Wohnung verkaufen und forderte seine Mieterin auf, ihm und Interessenten in Begleitung von Immobilienmaklern den Zutritt zur Wohnung zu gestatten. Die Mieterin lehnte dies unter Verweis auf eine schwerwiegende psychische Erkrankung ab.
Das erstinstanzliche Amtsgericht bot einen (abgelehnten) Kompromiss an, bei dem maximal zwei Personen für maximal 45 Minuten die Wohnung zur Besichtigung betreten dürften. Doch ein später vom Landgericht (LG) beauftragter Psychiater bestätigte, dass die Mieterin schon lange an einer komplexen psychischen Störung leide. Ihre Wohnung sei nach mehreren Suizidversuchen ihr einziger Schutzraum, den "Fremde" nun bedrohen würden, wenn sie die Wohnung betreten. Ein erneuter Suizidversuch sei nicht unwahrscheinlich. Auf Basis dieses Gutachtens lehnte das LG die Klage der Vermieter als "derzeit unbegründet" ab.
Schließlich ging der Rechtsstreit bis zum BGH. Zunächst bestätigte dieser, dass es grundsätzlich eine vertragliche, aus § 242 Bürgerliches Gesetzbuch herzuleitende Nebenpflicht des Wohnraummieters ist, dem Vermieter nach entsprechender Vorankündigung den Zutritt zu seiner Wohnung zu gewähren, wenn es hierfür einen konkreten sachlichen Grund gebe. Eine solche Pflicht kann sich (wie hier vorliegend) zudem aus einer entsprechenden Vereinbarung im Mietvertrag ergeben. Dennoch gilt, dass das Besichtigungsrecht der Vermieter eingeschränkt werden könne, wenn Gesundheit oder Leben der Mieterin dadurch ernsthaft in Gefahr gebracht würden. Dann müssten die Eigentümerinteressen zurückstehen. Hier muss die Vorinstanz jedoch nochmals prüfen, ob sich die gesundheitlichen Folgen für die Mieterin durch entsprechende Einschränkungen des Besuchsrechts reduzieren lassen. Der BGH verwies die Angelegenheit deshalb an das Berufungsgericht zurück. Das LG hatte in Augen des BGH nämlich die Möglichkeit außer Acht gelassen, die Besichtigung in Abwesenheit der Mieterin durchzuführen. Der Gutachter habe erklärt, dass sich die Gesundheitsrisiken reduzieren ließen, wenn eine Vertrauensperson der Mieterin an ihrer statt an der Wohnungsbesichtigung teilnähme.
Hinweis: Mieter sollten stets beachten, dass der Vermieter grundsätzlich nach vorheriger Ankündigung ein Besichtigungsrecht der Wohnung oder des Mietshauses hat. Natürlich dürfen es Vermieter dabei nicht übertreiben. Was möglich ist und was nicht, kann im Zweifel der Rechtsanwalt des Vertrauens sagen.
Quelle: BGH, Urt. v. 26.04.2023 - VIII ZR 420/21
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(aus: Ausgabe 10/2023)
Ob der folgende Fall damit zusammenhängt, dass der Umgang in Deutschland rauer geworden ist und viele Nerven blank liegen, bleibt dahingestellt. Fakt ist, dass das Verhältnis zwischen Vermietern und Mietern traditionell spannungsgeladen sein kann. Dennoch gibt es Grenzen, die man im Umgang miteinander besser nie überschreiten sollte. Das Urteil des Amtsgerichts Hanau (AG) ist daher nicht überraschend.
Zwischen einer Vermieterin und einer Mieterin herrschte seit einer langen Zeit bereits Streit, auch über die Räumung und Herausgabe der Mietwohnung. Nun stritten die Parteien auch noch um die Gartennutzung, die eines Abends in eine Auseinandersetzung gipfelte. In diesem zunächst verbalen Streit sei die Vermieterin massiv beleidigt und bedroht worden. Schließlich habe die Mieterin sie sogar mit dem Tode bedroht und ihre Tochter lautstark aufgefordert, ihr ein Messer zu bringen. Mit diesem Messer stach die Mieterin schließlich auf die zwischenzeitlich wieder geschlossene Wohnungstür der Vermieterin. Dass danach die fristlose Kündigung eintrudelte, mag niemanden verwundern. Die für den vorgerichtlichen anwaltlichen Rat angefallenen 1.134 EUR wollte die Vermieterin nun auch von der Mieterin erstattet haben.
Das AG gab der Vermieterin recht und bestätigte ihr den Anspruch der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes. Wegen des Vorfalls im Garten stand der Vermieterin das Recht zur außerordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses zu. Bedroht im Rahmen einer verbalen Auseinandersetzung ein Mieter seinen Vermieter mit dem Tode und fordert in diesem Zug Dritte auf, ihm ein Messer zu bringen, kann der Vermieter das Mietverhältnis fristlos kündigen. Ob und in welchem Umfang es tatsächlich zu Tätlichkeiten gekommen ist, ist dabei ohne Relevanz.
Hinweis: Wenn es zu Straftaten zu Lasten des Vermieters gekommen ist, werden Kündigungen durch die Gerichte häufig abgesegnet. Denn so etwas muss sich kein Vermieter bieten lassen.
Quelle: AG Hanau, Urt. v. 22.05.2023 - 34 C 80/22 (14)
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(aus: Ausgabe 10/2023)
Eine Eigenbedarfskündigung ist ein probates Mittel, um Mieter aus einer Wohnung oder einem Haus zu kündigen. Das ist insoweit auch in Ordnung, da Miete eben kein Eigentum darstellt. Wie der Name es aber bereits sagt: Es muss bei der Eigenbedarfskündigung der entsprechende Bedarf auch bestehen und im Zweifel nachgewiesen werden. In einem der besonders umkämpften Wohngebiete musste das dortige Landgericht Berlin (LG) der wahren Motivlage nach einer solchen Kündigung auf die Spur kommen.
Ein Mann besaß zwei Eigentumswohnungen, die er nicht selbst bewohnte. In der einen wohnte sein Ehemann, die andere - eine Dreizimmerwohnung mit 96 m² - war an den Mann vermietet, der sich nun mit einer Eigenbedarfskündgung konfrontiert sah. Der Ehemann hatte die von ihm bewohnte Wohnung nämlich an seinen Ehemann zurückgegeben - sie sollte zur Rücklagenbildung verkauft werden, und zwar leerstehend. Somit wurde der Ehemann in Augen des Klägers zur Bedarfsperson, die in die 96 m² große Dreizimmerwohnung des Mieters ziehen sollte. Schließlich wurde eine Räumungsklage eingereicht.
Das LG wies die Klage jedoch zurück. Die Eigenbedarfskündigung war wegen eines Rechtsmissbrauchs unwirksam. Der Wohnbedarf war durch die Umgehung des Rechts durch den Umzug des Ehemanns des Mieters erst geschaffen worden. Der Mieter musste also nicht ausziehen.
Hinweis: Die bewusste Umgehung der Mieterschutzregelungen ist ein gefährliches Spiel, das sehr teuer werden kann. Neben strafrechtlich relevantem Verhalten steht hier auch die Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld im Raum.
Quelle: LG Berlin, Urt. v. 02.06.2023 - 66 S 170/22
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(aus: Ausgabe 10/2023)
Gefühlt wird über kaum eine Mietrechtsfrage so häufig vor Gerichten gestritten, wie über Betriebskosten und Mieterhöhungen. Streitigkeiten über die Installation und die Wartung der vorgeschriebenen Rauchwarnmelder waren schon des Öfteren vom Bundesgerichtshof (BGH) zu beurteilen, der auch den folgenden Fall zu bewerten hatte. Hier ging es um knappe 80 Cent - und natürlich, wie so oft, um das Prinzip.
Eine Vermieterin ersetzte die vorhandenen Rauchwarnmelder durch neue, gleichwertige Geräte. Dafür wollte sie eine Mieterhöhung von monatlich 0,79 EUR wegen einer Modernisierungsmaßnahme durchsetzen - schließlich auch gerichtlich. Zwar erhielt sie in den ersten beiden Instanzen Recht. Doch beim BGH war Schluss.
Zwar können Vermieter grundsätzlich nach der Durchführung bestimmter Modernisierungsmaßnahmen die jährliche Miete um 8 % der für die Wohnung aufgewendeten Kosten erhöhen. Richtig ist auch, dass der BGH bereits entschieden hatte, dass die Ausstattung einer Wohnung mit Rauchwarnmeldern durch den Vermieter regelmäßig zu einer Verbesserung der Sicherheit und damit auch zu einer nachhaltigen Erhöhung des Gebrauchswerts der Mietsache führe. Das bezog sich jedoch auf die erstmalige Ausstattung einer Mietwohnung mit Rauchwarnmeldern. Der bloße Austausch durch gleichwertige Geräte sei jedoch keine Modernisierung - und deshalb können die Kosten auch nicht umgelegt werden.
Hinweis: Die Frage, welche Betriebskosten auf Mieter umgelegt werden können oder wann eine Mieterhöhung zu akzeptieren ist, kann im Zweifelsfall der Rechtsanwalt des Vertrauens beantworten. Es gibt zu diesem Problemkreis bereits eine unglaubliche Vielzahl von Entscheidungen der Gerichte; nun ist eine weitere hinzugekommen.
Quelle: BGH, Urt. v. 24.05.2023 - VIII ZR 213/21
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(aus: Ausgabe 10/2023)
Zum Thema Sonstiges
- Beitragslöschung im Social Net: Beleidigende - und somit strafbare - Inhalte müssen nicht wiederhergestellt werden
- Fehlender Reisepass: Reisebüro muss wegen mangelnder Aufklärungspflicht keinen Schadensersatz leisten
- Kein Recht auf absolute Stille: Bewegt sich Lärm von Hundespielplatz im gesetzlichen Rahmen, muss er toleriert werden
- Tatsachenbehauptung statt Meinung: Transportschaden als Grund für schlechte Onlinebewertung muss nachgewiesen werden können
Durch offene Grenzen besonders innerhalb der EU kann einiges in Vergessenheit geraten, was nach wie vor im Großteil der Welt auf Reisen gilt. Und das betrifft nicht nur Stromadapter und Geldumtausch - der Reisepass ist nach wie vor ein großes Must-have, wenn einer eine Reise tut. Ob ein Reisebüro eine Hinweispflicht hat, wenn der Reisende einen Reisepass benötigt, musste nun vom Amtsgericht München (AG) beantwortet werden.
Ein Mann hatte für sich und eine Begleiterin beim Reiseunternehmen für 2.200 EUR eine einwöchige Pauschalreise nach Dubai gebucht. Da er keinen gültigen Reisepass besaß, konnte er die Reise nicht antreten. Nun meinte er, das Reisebüro sei daran schuld, weil es ihn nicht darauf hingewiesen hatte, dass er einen gültigen Reisepass benötige. Das Reisebüro hätte ihn nicht über Pass- und Visaerfordernisse oder Fristen zur Erlangung entsprechender Dokumente informiert. Er forderte sein Geld zurück und klagte.
Doch das AG teilte seine Meinung nicht und versagte dem Mann den Anspruch. In Art. 250 § 3 Nr. 6 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB) findet sich zwar die explizite Regelung einer vorvertraglichen Unterrichtungspflicht, wonach der Reiseveranstalter den Reisenden über "allgemeine Pass- und Visumserfordernisse des Bestimmungslandes" einschließlich der ungefähren Fristen für die Erlangung von Visa informieren muss. Der Hinweis auf die allgemeine Notwendigkeit eines gültigen Reisepasses sei von Art. 250 § 3 Nr. 6 EGBGB allerdings nicht umfasst. Denn dabei handelt es sich um eine Selbstverständlichkeit.
Hinweis: Nach Meinung des Richters gibt es also keine Hinweispflicht eines Reisebüros auf die Notwendigkeit eines Reisepasses. Natürlich sollten sich Reisende über die erforderlichen Dokumente im Ausland zuvor informieren. Im Regelfall hilft das Reisebüro dabei - eine Verpflichtung, darauf aktiv hinzuweisen, hat es hingegen nicht.
Quelle: AG München, Urt. v. 12.07.2023 - 171 C 3319/23
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(aus: Ausgabe 10/2023)
So ein Bello kann entzückend sein - wenn er nur so wenig bellt wie möglich. Selbst wer Hunden zugeneigt ist, muss eingestehen, dass mehrere Bellos auf einem Haufen eine Menge (lauten) Spaß haben können, auch auf Kosten zweibeiniger Mitbürger. Wie viel Lärm nun Anwohner durch einen Hundespielplatz genau ertragen müssen, musste das Verwaltungsgericht Berlin (VG) klären.
Ein Bürgerverein betrieb einen Hundespielplatz, den die Stadt eingerichtet, umzäunt und mit einem abschließbaren Tor versehen hatte. Von Montag bis Samstag (8 bis 20 Uhr) sowie an Sonn- und Feiertagen (8 bis 13 sowie 15 bis 20 Uhr) konnten dort Hunde spielen. Eine Tatsache, die eine Anwohnerin als unzumutbar empfand. Sie klagte gegen den Platz und wandte ein, dass die Lärmbelästigung unzumutbar sei. Das Hundegebell verursache Stress und störe ihre Konzentrationsfähigkeit - an Entspannung oder gar Schlaf sei in den nutzungsintensiven Phasen selbst bei geschlossenen Fenstern nicht zu denken.
Das mochte zwar sein, aber das VG sah darin keinen Grund, an den gegebenen Regelungen etwas zu ändern. Der durch einen Hundespielplatz in einem Wohngebiet verursachte Lärm sei von Anwohnern hinzunehmen, sofern er sich im Rahmen geltender Immissionsrichtwerte bewege. Und eben jene Richtwerte wurden eingehalten. Ebenso zu berücksichtigen sei, das es sich hierbei um zwar wiederkehrenden, aber keinesfalls ununterbrochenen Lärm handle.
Hinweis: Gegen das Urteil kann noch Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt werden. Vieles spricht jedoch dafür, dass das Urteil richtig ist. Nachbarn haben eben kein Recht auf absolute Stille. Fragen im Einzelfall klärt der Rechtsanwalt des Vertrauens.
Quelle: VG Berlin, Urt. v. 09.06.2023 - VG 24 K 148.19
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(aus: Ausgabe 10/2023)
Bewertungen in Onlineportalen sind heute deshalb absolut üblich, weil sich Konsumenten für Erfahrungen anderer mit einem Produkt, das sie nicht anfassen können, vor dem Kauf ebenso interessieren wie zu Dienstleistungen, bei denen schon zu Offline-Zeiten immer die "gute Empfehlung" zählte. Umso wichtiger ist es dann auch, dass Empfehlungen oder auch Kritiken auf realen Erfahrungen basieren. Und das bedeutete auch im Fall des Landgerichts Frankenthal (LG): Sie müssen objektiv nachweisbar sein.
Ein Mann hatte ein Umzugsunternehmen beauftragt. Später bewertete er auf einer Online-Bewertungsplattform das Unternehmen mit nur einem von fünf möglichen Sternen. Unter anderem hatte er behauptet, dass ein Möbelstück beim Transport beschädigt worden sei und sich niemand darum gekümmert habe, den Schaden zu beheben. Das wollte das Umzugsunternehmen nicht auf sich sitzen lassen und klagte. Es stritt ab, dass es überhaupt zu einem Schaden gekommen sei, und legte eine Unterlassungsklage ein.
Die negative Äußerung des Kunden in dem Onlinebewertungsportal schade dem Inhaber des Umzugsunternehmens. Dem stünde zwar das Recht des Kunden gegenüber, seine Meinung über den durchgeführten Auftrag in der Bewertung frei äußern zu dürfen. Die im Streit stehende Behauptung, es sei ein Möbelstück beschädigt worden, ist jedoch keine Meinung, sondern eine Tatsachenbehauptung. Eine solche muss aber nur hingenommen werden, wenn der Wahrheitsgehalt der Äußerung feststeht. Deshalb muss derjenige, der in Internetbewertungen eine Tatsache behauptet, im Streitfall beweisen, dass diese auch zutreffend ist. Dies war dem Kunden des Umzugsunternehmens jedoch nicht gelungen. Deshalb gab das LG der Unterlassungsklage statt.
Hinweis: Wer eine negative Bewertung in einem Onlineportal hinterlässt, sollte sich vorher genau überlegen, was er postet. So lässt sich eine Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten sicherlich vermeiden.
Quelle: LG Frankenthal, Urt. v. 22.05.2023 - 6 O 18/23
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(aus: Ausgabe 10/2023)
Ein befriedigendes Sättigungsgefühl reicht schon, um in einen leicht trägen Entspannungsmodus zu verfallen. Wenn man dann noch zu dem ein oder anderen alkoholischen Feierabendgetränk verführt wird, scheint es nur logisch, dass gerade in Gaststätten eine erhöhte Sorgfaltspflicht für die Betreiber besteht. Dass diese aber nicht für alles haftbar gemacht werden können, das Gäste zu Fall bringt, zeigt der Fall des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG).
Eine Gaststätte verfügte über eine Terrasse im Außenbereich, deren Boden mit Natursteinen im Polygonalverfahren ausgestattet war. In den Zwischenräumen der Steine befand sich Beton. Der Steinbelag wies daher gewisse Unebenheiten und Fugen auf. So kam es dann auch, wie es kommen musste, um hier davon zu lesen: Auf dem Rückweg von der Toilette zu seinem Tisch verletzte sich ein Gast. Er nahm daraufhin den Gastwirt auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch und behauptete, sich beim Sturz unter anderem sechs Zähne ausgeschlagen zu haben.
Das Problem war, dass der verunfallte Gast auch gegenüber dem OLG verschwieg, wie es genau zu dem Sturz kam. Hinzu trat die richterliche Auffassung, dass ein Gast nicht mit einer vollständig ebenen Fläche rechnen muss, wenn die betreffende Terrasse einen rustikalen, mediterranen Eindruck vermittelt. Gastwirte sind nicht verpflichtet, einen gänzlich gefahrfreien Zustand der begehbaren Fläche herzustellen. Gäste müssen ihren Gang vielmehr den erkennbaren Bedingungen der Örtlichkeiten anpassen.
Hinweis: Der verletzte Gast hätte hier sicherlich mehr zur Ursache des Sturzes vortragen müssen. Trotzdem zeigt das Urteil sehr gut, welche Grenzen die Sorgfaltspflicht hat.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 18.07.2023 - 11 U 33/23
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(aus: Ausgabe 10/2023)
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