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Zum Thema Arbeitsrecht
- Dokumentation durch Arbeitgeber: Fristlose Kündigung nach sexueller Belästigung einer Auszubildenden rechtmäßig
- Fiktive Beförderung: Nicht freigestelltes Betriebsratsmitglied bekommt mehr Gehalt zugesprochen
- Mindestlohn im Ashram: Rückwirkende Zahlung von 42.000 EUR an Volljuristin für dreijährigen Sevadienst
- Wegfall eines Arbeitsplatzes: Aufteilung von Restaufgaben muss konkret dargestellt werden
- Wenn, dann richtig: Urlaub muss als solcher eindeutig gewährt werden, um entsprechend anrechenbar zu sein
Arbeitgeber sind verpflichtet, ihre Arbeitnehmer vor sexuellen Belästigungen zu beschützen. Im folgenden Fall vor dem Arbeitsgericht Solingen (ArbG) ist der Arbeitgeber dieser Verpflichtung dadurch nachgekommen, dass er die fristlose Kündigung seines Arbeitnehmers auf ein stabiles Fundament aufgrund der lückenlosen Dokumentation stellen konnte.
Ein Arbeitnehmer war zunächst als Leiharbeiter im Bereich Lagerlogistik tätig und wurde im Jahr 2022 vom Entleiher unbefristet in ein Arbeitsverhältnis übernommen. Mehrere Arbeitskolleginnen informierten am 28.08.2023 den direkten Vorgesetzten darüber, dass eben jener Arbeitnehmer eine Auszubildende mehrfach sexuell belästigt habe. Der Arbeitgeber leitete Ermittlungen ein und hörte die Auszubildende und den Arbeitnehmer an. Die Auszubildende schilderte, dass sie mehrfach von dem Arbeitnehmer am Bein, Hintern, der Brust und im Schritt berührt worden sei. Zudem habe er auch ihre Hand an seinen Schritt gelegt. Sie habe zwar andere Kolleginnen gewarnt, sich selbst jedoch nicht getraut, den Arbeitnehmer bei Vorgesetzten zu melden. An einem anderen Tag habe der Arbeitnehmer sich an ihr gerieben und sie zum Oralverkehr aufgefordert. Aus Angst habe sie mitgemacht. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich sowohl als Tat- als auch als Verdachtskündigung. Der Arbeitnehmer klagte hiergegen und bestritt sämtliche Anschuldigungen. Diese seien frei erfunden und strafbare Verleumdungen.
Das ArbG wies die Klage ab - die fristlose Kündigung war wirksam. Der Arbeitgeber habe den Sachverhalt umfassend ermittelt und Protokolle der Gespräche mit der Auszubildenden, weiteren Kollegen sowie WhatsApp-Chat-Protokolle vorgelegt. Aus diesen hätten sich nachvollziehbar und glaubhaft mehrere sexuelle Belästigungen durch den Arbeitnehmer ergeben. Dieser habe die Angst und Unsicherheit der Auszubildenden sowie seine Machtposition ausgenutzt. Anderslautende Erklärungen oder Darstellungen des Arbeitnehmers seien nicht glaubhaft und bloße Schutzbehauptungen. Er habe sogar versucht, sich als Opfer darzustellen. Eine Einsicht in Fehlverhalten und eine Entschuldigung seien nicht erfolgt.
Hinweis: Liegt nach langjähriger Tätigkeit im Betrieb ein erstmaliges geringeres Fehlverhalten vor, ist eine Kündigung ohne Abmahnung nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt. Zu welchen Mitteln ein Arbeitgeber greifen sollte, hängt auch vom sogenannten Nachtatverhalten ab.
Quelle: ArbG Solingen, Urt. v. 11.04.2024 - 2 Ca 1497/23
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 10/2024)
Die Vergütung von freigestellten Betriebsräten führt immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Betriebsräten und Arbeitgebern. Hier ging es um ein nichtfreigestelltes Mitglied, das folglich zwei Aufgabenbereiche gleichzeitig zu bewerkstelligen hatte: seine Arbeit und die Betriebsratstätigkeit. Ob sich diese Doppelbelastung auf die übliche Beförderungspraxis zum Nachteil des Mitarbeiters niederschlagen darf, entschied das Landesarbeitsgericht Hessen (LAG).
Der Arbeitnehmer, ein Unternehmensberater bei einer großen Beratungsfirma, arbeitete im Projektgeschäft und war gleichzeitig nicht freigestelltes Mitglied im Betriebsrat. Seine Betriebsratstätigkeit hatte zur Folge, dass er in der internen Projektzuteilung immer häufiger leer ausging. Die Folge war, dass der Arbeitnehmer in den jährlich stattfindenden Beförderungsrunden keine Berücksichtigung fand. In seiner Klage berief sich der Beschäftigte auf den Entgeltschutz für Betriebsräte nach § 37 Abs. 4 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) - er verlangte eine höhere Bezahlung und stellte sich auf den Standpunkt, dass er entsprechend seiner Vergleichsgruppe höher eingestuft werden müsse. Das begründete er damit, dass seine vergleichbaren Kollegen wesentlich kürzer auf den jeweiligen Stellen arbeiteten, bevor sie befördert wurden.
Das LAG entschied in der Tat zugunsten des Arbeitnehmers. Denn das Gericht war davon überzeugt, dass der Arbeitnehmer nur wegen seiner Betriebsratstätigkeit nicht in den Genuss eines weiteren beruflichen Aufstiegs gekommen sei. Für den Beschäftigten bestehe deshalb ein Anspruch auf eine fiktive Beförderung nach § 78 Satz 2 BetrVG.
Hinweis: Die Reform der Betriebsratsvergütung ist Ende Juli 2024 in Kraft getreten. Seitdem ist das Benachteiligungsverbot durch einen Mindestvergütungsanspruch ergänzt worden. So darf das Arbeitsentgelt von Betriebsräten nicht geringer bemessen werden als das Entgelt vergleichbarer Kollegen mit betriebsüblicher Entwicklung.
Quelle: LAG Hessen, Urt. v. 17.03.2024 - 10 Sa 923/22
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(aus: Ausgabe 10/2024)
An das Landesarbeitsgericht Hamm (LAG) wurde folgender Fall zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Einem Yoga-Ashram-Verein wurde zuvor die Ausnahme für eine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft verweigert. Außerhalb des damit verbundenen Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrechts musste das LAG nun entscheiden, was eine einstige Ashramjüngerin rückwirkend für ihre dortigen Dienste erwarten dürfe.
Der gemeinnützige und eingetragene Verein betrieb mehrere Zentren und Seminarhäuser. Es ging letztendlich um Yoga-Ashrams. Dort waren Mitarbeiter als sogenannte Sevakas (Aspiranten, Lernende, Yoga-Schüler, Übende) tätig. Diese lebten für einige Zeit in einem Ashram des Vereins und verrichteten entsprechende Sevadienste in der Küche, im Haushalt, im Garten, in der Gebäudeunterhaltung, in der Werbung und in der Buchhaltung. Auch der Yoga-Unterricht und die Leitung von Seminaren gehörten zu ihren Aufgaben. Eine der Mitarbeiterinnen war ursprünglich als Volljuristin tätig, bevor sie sich als Sevaka verdingte. Nach dem Austritt aus dem Verein machte sie nun geltend, es hätte sich bei ihrem Sevadienst um ein Arbeitsverhältnis gehandelt, und daher müsse sie rückwirkend auch eine Vergütung erhalten, die über das vom Verein gezahlte "Taschengeld" hinausginge.
Das LAG entschied in der Tat, dass der Verein für dreieinhalb Jahre insgesamt rund 42.000 EUR brutto nachzuzahlen habe. Maßgeblich seien die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden sowie weitere Zeiten mit Vergütungspflicht. Hierfür falle der gesetzliche Mindestlohn an. Der Verein könne sich nicht darauf berufen, dass der Dienst für eine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft erbracht worden sei. Diese Ausnahme sei hier nicht gegeben, vielmehr bestehe daher ein Arbeitsverhältnis. Auch die Vereinsautonomie stehe dem Zahlungsanspruch nicht entgegen.
Hinweis: Falls Ihnen der Fall bekannt vorkommt, könnte das daran liegen, dass sich bereits das BAG damit auseinandersetzen musste. Dieses hatte entschieden, dass in dieser Sache keine Ausnahme für eine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft gemacht werden durfte, und sie daher an das LAG zurückverwiesen.
Quelle: LAG Hamm, Urt. v. 14.05.2024 - 6 Sa 1128/23
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(aus: Ausgabe 10/2024)
Mit diesem Urteil wird deutlich, welche Argumente Arbeitgeber vortragen müssen, um bei einer Einsparung von Personal vor den Arbeitsgerichten erfolgreich zu sein. Das Arbeitsgericht Erfurt (ArbG) musste davon überzeugt werden, dass die betriebsbedingte Kündigung eines Hauswarts unvermeidlich war. Und so viel sei gesagt: Es ist dem Arbeitgeber nicht gelungen.
Ein 61-jähriger Arbeitnehmer war in einem Hotel als einziger Hausmeister beschäftigt. Dann kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis betriebsbedingt unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist. Durch den Geschäftsführer sei eine Unternehmensentscheidung zur Kostenreduzierung getroffen worden - insbesondere zur Reduzierung der Personalkosten. In Umsetzung dieser Kostenreduzierung sei der Beschäftigungsbedarf des Arbeitnehmers weggefallen. Einige Tätigkeiten des Arbeitnehmers seien eingestellt oder ausgelagert worden. Die verbliebenen Arbeiten könnten unproblematisch auf die anderen Mitarbeiter verteilt werden - diese hätten immer Freiräume zur Übernahme zusätzlicher Arbeiten. Das wollte sich der Arbeitnehmer so nicht gefallen lassen und legte erwartungsgemäß eine Kündigungsschutzklage ein. Insbesondere behauptete er, die von ihm erledigten Tätigkeiten könnten nicht ohne weiteres auf andere Arbeitnehmer übertragen werden. Dabei würden Überstunden bei anderen Arbeitnehmern anfallen.
Das ArbG gab dem Arbeitnehmer Recht und meinte ebenfalls, dass die Kündigung sozialwidrig sei. Erschöpfe sich die unternehmerische Entscheidung im Wesentlichen darin, Personal einzusparen, sei diese vom Kündigungsentschluss selbst kaum zu unterscheiden. Der Arbeitgeber hätte seine Entscheidung hinsichtlich der organisatorischen Durchführbarkeit und zeitlichen Nachhaltigkeit der Arbeitsaufteilung verdeutlichen müssen. Nur so könne ein Gericht überhaupt erst prüfen, ob der Arbeitsplatz wirklich weggefallen sei. Hier habe der Arbeitgeber nicht einmal konkret dargelegt, mit welchen Zeitanteilen der Arbeitnehmer seine jeweiligen Aufgaben wahrgenommen hat. Der Vortrag hierzu war viel zu pauschal und für das ArbG nicht nachprüfbar gewesen. Auch fehlte es an konkretem Vortrag, welche der bisherigen Aufgaben von anderen Mitarbeitern in welchem Umfang bereits übernommen wurden.
Hinweis: Es hätte das Arbeitsvolumen der bisherigen Mitarbeiter dargestellt werden müssen, um zu prüfen, ob die anfallenden Arbeiten von ihnen ohne überobligationsmäßige Leistungen erledigt werden könnten. Der Arbeitgeber hatte hier entweder gar nichts dazu vorgetragen oder nur pauschal behauptet, die Tätigkeiten seien von den übrigen Mitarbeitern ohne obligatorische Arbeit zu erledigen gewesen. So konnte der Arbeitgeber die Kündigungsschutzklage nicht gewinnen.
Quelle: ArbG Erfurt, Urt. v. 23.04.2024 - 6 Ca 40/24
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 10/2024)
Mal ein paar Tage hintereinander frei zu haben, klingt wie Urlaub. Jedoch ist es rechtlich gesehen noch lange kein Urlaub, wenn ein Arbeitnehmer an mehreren (Arbeits-)Tagen im Jahr frei hat. Dass der Arbeitgeber dafür also entsprechende Urlaubstage anrechnen darf, ist nicht rechtens, wie der Arbeitgeber in einem Barbershop kürzlich vor dem Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (LAG) lernen musste.
Sein Arbeitnehmer war in Teilzeit in einem Barbershop beschäftigt und arbeitete dort sehr unregelmäßig. An einzelnen Tagen kam er auf viele Überstunden, ein anderes Mal hatte er mehrere Arbeitstage hintereinander frei. Eine nachvollziehbare Aufstellung über seinen Einsatz führte weder er noch sein Arbeitgeber. Dann wurde das Arbeitsverhältnis beendet, und der Arbeitnehmer verlangte - wie so häufig - daraufhin auch die Ausbezahlung seines Urlaubs, die sogenannte Urlaubsabgeltung. Er war nämlich der Auffassung, dass er noch seinen vollen Urlaubsanspruch in Höhe von 30 Tagen habe, da ihm zu keinem Zeitpunkt Urlaub gewährt worden sei. Schließlich klagte er die Abgeltung der 30 Tage ein. Der Arbeitgeber meinte hingegen, dass der Arbeitnehmer immer wieder freie Arbeitstage gehabt habe und damit seinen Urlaub in Anspruch genommen hatte.
Die LAG-Richter stellten sich jedoch hinter den Arbeitnehmer - der Arbeitgeber wurde zur finanziellen Abgeltung von 30 Urlaubstagen verurteilt. Eine Urlaubsgewährung setze nämlich stets voraus, dass der Arbeitnehmer auch erkennen kann, dass seine Freistellung der Erfüllung des Urlaubsanspruchs diene und nicht etwa als Freizeitausgleich für Überstunden. Der Arbeitgeber hatte hier aber nie eindeutig Urlaub gewährt, so dass der Urlaubsanspruch noch in voller Höhe bestand.
Hinweis: Das Bundesurlaubsgesetz geht davon aus, dass der Arbeitnehmer den Urlaub beantragt und der Arbeitgeber ihm den Urlaub genehmigt - sofern keine dringenden betrieblichen Gründe oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer bestehen.
Quelle: LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 19.03.2024 - 5 Sa 68/23
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 10/2024)
Zum Thema Erbrecht
- Erbfeststellungsklage vorrangig: Vor einer Verfassungsbeschwerde sind alle Rechtsschutzmöglichkeiten auszuschöpfen
- Erbschaftsausschlagung: Anfechtung bei relevantem Irrtum über die Zusammensetzung des Nachlasses
- Grundstücksverkauf rechtens? Über die Nutzung der Vorerbschaft als freies Vermögen des Vorerben
- Unfreiwillig in Polen: Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts nach der EU-Erbrechtsverordnung
- Vergütung eines Nachlasspflegers: Wer der Vergütungsgruppe 1 zugerechnet werden will, muss entsprechende Kriterien erfüllen
Mit der Erhebung einer Verfassungsbeschwerde kann die Verletzung von Grundrechten geltend gemacht werden. Bevor der Weg zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eröffnet ist, müssen zunächst aber auch alle verfügbaren rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um eine Korrektur der vermeintlichen Grundrechtsverletzung zu erreichen.
In dem kürzlich entschiedenen Fall wandte sich ein vermeintlicher Erbe an das BVerfG, um gegen eine gerichtliche Entscheidung in einem abgeschlossenen Erbscheinsverfahren vorzugehen. Seine Begründung war, dass seine Grundrechte aufgrund von Verfahrensfehlern im Erbscheinsverfahren verletzt worden seien.
Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen und darauf verwiesen, dass der Beschwerdeführer noch nicht alle Rechtsschutzmöglichkeiten ausgeschöpft habe. Ein vermeintlicher Erbe, der sogenannte Erbprätendent, könne neben der Durchführung eines Erbscheinsverfahrens vor den Fachgerichten eine Erbenfeststellungsklage erheben, um auf diesem Weg die Feststellung zu erreichen, Erbe geworden zu sein. Das Prozessgericht ist hierbei nicht gehindert, von den Feststellungen des Nachlassgerichts abzuweichen. Das BVerfG hat auf diesem Wege klargestellt, dass der Vorrang der Erbenfeststellungsklage nicht nur in den Fällen gilt, in denen es um eine inhaltliche Überprüfung des Ergebnisses des Erbscheinsverfahrens geht, sondern auch in den Fällen, in denen ein Verfahrensfehler im Erbscheinsverfahren geltend gemacht wird.
Hinweis: Verfahren vor dem BVerfG sind grundsätzlich kostenfrei. Bei offensichtlich aussichtslosen Anträgen kann eine Missbrauchsgebühr erhoben werden.
Quelle: BVerfG, Beschl. v. 13.07.2024 - 1 BvR 1929/23
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 10/2024)
Wer einen überschuldeten Nachlass zu erben droht, kann diese drohende Last rechtzeitig ablehnen und das Erbe ausschlagen. Was aber passiert, wenn man erst danach von Vermögenswerten des Erblassers erfährt, und welche Bedingungen erfüllt werden müssen, um doch noch in den Genuss der Erbschaft zu kommen, zeigt die folgende Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG).
Die im Jahr 2021 verstorbene Erblasserin verstarb, ohne ein Testament zu hinterlassen. Nach dem Tod ihrer Mutter schlug die Tochter das Erbe aus, da sie annahm, dass es keine Vermögenswerte gebe und nur Schulden im Nachlass seien. Diese Annahme beruhte auf den chaotischen Lebensumständen ihrer Mutter, die Zeit ihres Lebens an einer Alkoholerkrankung litt und mit der die Tochter seit ihrem elften Lebensjahr keinen Kontakt mehr hatte. Schließlich schlug auch der Bruder der Erblasserin die Erbschaft aus, ebenso wie dessen Töchter. Das Nachlassgericht setzte daraufhin einen Nachlasspfleger ein, um sich um den Nachlass zu kümmern. Im Februar 2022 erhielt die Tochter ein Schreiben des Nachlasspflegers, in dem sie erfuhr, dass es ein Guthaben von über 72.000 EUR auf einem Konto und einem Sparbuch der Erblasserin gäbe. Die Tochter erklärte daraufhin die Anfechtung der Erbausschlagung, da sie über den tatsächlichen Wert des Nachlasses im Irrtum gewesen sei, und beantragte einen Alleinerbschein. Der Großneffe der Erblasserin widersprach dem Antrag der Tochter und argumentierte, dass die Ausschlagung bewusst erfolgt sei und kein rechtlich relevanter Irrtum vorliege. Zudem habe die Tochter kein Interesse an der Erblasserin gehabt und sich weder um sie noch um den Nachlass gekümmert.
Nachdem zunächst das Nachlassgericht entschieden hat, dass es sich nicht um einen relevanten Irrtum der Tochter gehandelt habe und diese daher nicht berechtigt sei, die Erbschaftsausschlagung anzufechten, hob das OLG diese Entscheidung auf. Es befand, dass die Tochter irrtümlich falsche Vorstellungen über die Zusammensetzung des Nachlasses gehabt habe und daher berechtigt gewesen sei, die Ausschlagung anzufechten. Die Tochter habe ausreichende Nachforschungen über die Werthaltigkeit des Nachlasses angestellt. Auf der Grundlage der Aussage der Polizei über die Todesumstände der Mutter und die Recherchen über den schlechten Zustand der Wohnung sowie der Lebensumstände der Erblasserin sei sie als Erbin zunächst zu dem Schluss gekommen, dass es keine wertvollen Vermögensgegenstände gegeben habe. Der Irrtum über die Existenz des Guthabens auf dem Konto war entscheidend für die Ausschlagung, und die Tochter hätte das Erbe nicht ausgeschlagen, wenn sie davon gewusst hätte.
Hinweis: Unternimmt ein potentieller Erbe hingegen keinerlei Nachforschungen über die Zusammensetzung des Nachlasses und beruhen seine Fehlvorstellungen ausschließlich auf zeitfernen Informationen, liegt wiederum die Annahme eines unbeachtlichen Irrtums nahe.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 24.07.2024 - 21 W 146/23
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 10/2024)
Ein Vorerbe ist nach dem Eintritt der Nacherbfolge verpflichtet, dem Nacherben die Erbschaft in dem Zustand herauszugeben, der sich bei einer bis zur Herausgabe fortgesetzten ordnungsgemäßen Verwaltung ergibt. Wie eine solche ordnungsgemäße Verwaltung zu verstehen ist und welche Pflichten und Rechte sich daraus ergeben, klärte der Bundesgerichtshof (BGH) im Folgenden.
Der im Jahr 2006 verstorbene Erblasser hinterließ seine Ehefrau als Vorerbin aufgrund eines Erbvertrags aus dem Jahr 1970. Die Eheleute hatten seinerzeit bestimmt, dass die Abkömmlinge Nacherben sein sollten. Darüber hinaus wurde zwischen den Eheleuten eine Gütergemeinschaft vereinbart, zu der im Wesentlichen drei Grundstücke als sogenanntes Gesamtgut gehörten. Nach dem Tod des Erblassers beliefen sich die Verbindlichkeiten auf etwa 330.000 EUR. Die Mieteinnahmen aus den Immobilien bezog die Witwe, die im Jahr 2012 zwei dieser Grundstücke veräußerte und die Verbindlichkeiten damit auf etwa 120.000 EUR reduzierte. Der Sohn verlangte als Nacherbe von seiner Mutter eine Sicherheitsleistung in Höhe von mindestens 150.000 EUR mit der Begründung, dass der Nachlass durch die Grundstücksverkäufe geschmälert worden sei und ihm deshalb möglicherweise Schadensersatzansprüche zustünden, da die Mutter die Vorerbschaft nicht ordnungsgemäß verwaltet habe.
Nachdem zunächst das Landgericht und auch das Oberlandesgericht (OLG) die Witwe zu einer solchen Sicherheitsleistung verpflichteten, hob der BGH die Entscheidungen auf und verwies die Angelegenheit an das OLG zurück. Nach Ansicht des BGH sei das OLG voreilig von einem Schadensersatzanspruch des Nacherben ausgegangen. Ein Anspruch auf Sicherheitsleistung könne aber nur bestehen, wenn ein tatsächlicher Schadensersatzanspruch vorgelegen hätte. Die Vorerbin sei aufgrund des Erbvertrags berechtigt gewesen, über das Gesamtgut der Gütergemeinschaft auch ohne Zustimmung der Nacherben zu verfügen. Ein Schadensersatzanspruch könne bestehen, wenn die Verkäufe der Grundstücke nicht der ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses entsprochen hätten. Diese Frage müsse nun das Berufungsgericht umfassend klären. Ein Schadensersatzanspruch könne aber nicht mit dem Verkauf der Grundstücke begründet werden, da die Witwe hierüber frei verfügen durfte. Darüber hinaus könne ein möglicher Schadensersatzanspruch auch nicht mit den entgangenen Mieteinnahmen nach dem Verkauf der Grundstücke begründet werden, da diese Mieteinnahmen der Vorerbin zur freien Verfügung zugestanden haben.
Hinweis: Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Verfügungen zur ordnungsgemäßen Verwaltung erforderlich waren, trägt der Vorerbe.
Quelle: BGH, Urt. v. 26.06.2024 - IV ZR 288/22
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 10/2024)
Das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) musste sich in einem Rechtsstreit mit der Frage beschäftigen, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit von einem gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne der europäischen Erbrechtsverordnung gesprochen werden kann.
Der Erblasser, ein deutscher Staatsangehöriger, verstarb im Oktober 2023 in einem polnischen Pflegeheim. Vor seinem Tod hatte er in Deutschland gelebt und war aufgrund einer Demenzerkrankung im April 2023 gegen bzw. zumindest ohne seinen Willen von der Ehefrau in einem Pflegeheim in Polen untergebracht worden. Eine familiäre oder soziale Beziehung nach Polen bestand nicht. Nach seinem Tod beantragte seine Witwe beim Amtsgericht Singen (AG) die Ausstellung eines Erbscheins, der sie als Alleinerbin ausweisen sollte. Das AG wies den Antrag jedoch zurück, da es sich für international unzuständig erklärte. Es argumentierte, dass der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Polen gehabt habe, was gemäß der europäischen Erbrechtsverordnung die Zuständigkeit der polnischen Gerichte begründe. Gegen diesen Beschluss legte die Frau erfolgreich Beschwerde ein.
Die zentrale Frage des Beschwerdeverfahrens war, wo sich der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers befand. Die europäische Erbrechtsverordnung legt fest, dass die Gerichtsbarkeit des Mitgliedstaats zuständig ist, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Dieser gewöhnliche Aufenthalt wird durch eine Gesamtbeurteilung der Umstände bestimmt - darunter die Dauer des Aufenthalts, familiäre Bindungen, sprachliche und soziale Verbindungen sowie die Absicht des Erblassers, an einem Ort zu bleiben. Bei pflegebedürftigen Personen ist der Wille zur Begründung eines dauerhaften Aufenthalts besonders wichtig.
Das OLG kam zu dem Ergebnis, dass der Erblasser trotz seines Aufenthalts in einem polnischen Pflegeheim seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte. Der Erblasser sprach kein Polnisch, hatte keine sozialen Kontakte in Polen und war gegen seinen Willen in das Pflegeheim gebracht worden. Auch sein gesamtes Vermögen sowie seine familiären Bindungen lagen in Deutschland. Daher sei der Erblasser in Polen nicht dauerhaft ansässig gewesen. Die Verlegung in das polnische Pflegeheim erfolgte nur aus finanziellen Gründen, da die Pflegekosten in Polen günstiger waren als in Deutschland. Da der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers weiterhin in Deutschland lag, war die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte gegeben. Das AG wurde somit für die Erteilung des Erbscheins als zuständig erklärt und die Sache zur weiteren Entscheidung dorthin zurückverwiesen.
Hinweis: Zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts ist in objektiver Hinsicht der tatsächliche Aufenthalt im Sinne einer körperlichen Anwesenheit erforderlich. Unschädlich ist eine vorübergehende Abwesenheit, wenn der Wille bestand, an den Ort des Aufenthalts zurückzukehren.
Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 22.07.2024 - 14 W 50/24
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 10/2024)
Das Oberlandesgericht Köln (OLG) musste sich im Folgenden mit einem Vergütungsantrag eines Nachlasspflegers auseinandersetzen, der zur Sicherung, zur Verwaltung sowie zur Erbenermittlung nach dem Tod des Erblassers eingesetzt wurde. Man ahnt zu Recht: Hier gab es unterschiedliche Auffassungen über die Vergütungshöhe.
Im Februar 2024 stellte der Nachlasspfleger einen Antrag auf eine Vergütung in Höhe von etwa 9.300 EUR und begründete den Stundensatz von 120 EUR mit seiner Qualifikation, dem Abschluss des ersten juristischen Staatsexamens, einer abgeschlossenen Referendarzeit sowie seiner Zusatzqualifikation als Nachlasspfleger. Darüber hinaus machte er aufgrund der seit Juli 2021 anhaltenden hohen Inflation einen Aufschlag von 10 % geltend. Das Nachlassgericht setzte jedoch lediglich eine Vergütung von 7.600 EUR fest und hielt hierbei einen Stundensatz von 100 EUR für ausreichend und angemessen.
Dem schloss sich im Ergebnis auch das OLG nach einer eingelegten Beschwerde des Nachlasspflegers an. Es stellte fest, dass die vom Nachlasspfleger angeführten Qualifikationen - wie das erste Staatsexamen und die Referendariatszeit - nicht mit denen von Berufsgruppen in der "Vergütungsgruppe 1" (beispielsweise Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer) vergleichbar seien. Zwar habe der Nachlasspfleger das erste Staatsexamen abgelegt und zwei Jahre als Referendar gearbeitet, jedoch sei dies nicht gleichwertig mit dem zweiten Staatsexamen oder anderen beruflichen Abschlüssen in der "Vergütungsgruppe 1". Daher sei die Einstufung in die "Vergütungsgruppe 2" korrekt gewesen. Der Schwierigkeitsgrad der Pflegschaft wurde hier auch nicht als hoch eingestuft. Richtig sei zwar, dass die Lebenshaltungskosten seit 2021 gestiegen seien. Dieser Umstand wurde aber bereits bei der Erhöhung des Stundensatzes auf 100 EUR vom Nachlassgericht ausreichend berücksichtigt.
Hinweis: Aspekte für den Vergütungsanspruch eines Nachlasspflegers sind dessen fachliche Qualifikationen sowie die Frage, mit welchem Aufwand bzw. Schwierigkeitsgrad die Bearbeitung der Pflegschaft verbunden ist.
Quelle: OLG Köln, Beschl. v. 26.06.2024 - 2 Wx 94/24
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(aus: Ausgabe 10/2024)
Zum Thema Familienrecht
- Amtseinsetzung ohne Handschlag: Telefonische Bestallung des Vormunds während Corona-Pandemie wirksam
- Kindesunterhalt: Auch Erziehende im Wechselmodell können ihre Kinder vertreten
- Kontinuität und Stabilität: Allein das Kindeswohl ist bei Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts zu berücksichtigen
- Umgangsrecht von Rauchern: Aus Passivrauchen folgt noch keine Kindeswohlgefährdung durch den Vater
- Zuweisung nach Trennung: Wer die Kinder erzieht, bleibt in der Ehewohnung
Bis zum 31.12.2022 sollte die Bestallung eines Vormunds mittels Handschlags bei persönlicher Anwesenheit des Vormunds erfolgen. Die Einsetzung in das Amt konnte jedoch auch ohne Handschlag per Telefon wirksam erfolgen, wenn es für ein Abweichen vom Regelfall nachvollziehbare Gründe wie eine Pandemie gab. Genau so war es in dem Fall vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG).
Im April 2020 wurde eine Frau zur Vormundin über zwei Kinder bestellt. Den Eltern war das Sorgerecht entzogen worden. Die Vormundschaft sollte berufsmäßig geführt werden. Die Verpflichtung der Vormundin fand aufgrund der Corona-Pandemie allerdings nur telefonisch statt. Auf eine Verpflichtung "mittels Handschlags an Eides statt" verzichtete man wegen der damaligen pandemischen Lage. Über das Telefonat wurde allerdings ein ausführlicher Bericht geschrieben. Als die Vormundin dann ihren Vergütungsantrag bei der Staatskasse einreichte, wurde er abgelehnt. Das Argument war, dass keine ordnungsgemäße Bestallung stattgefunden habe. Die Vormundin klagte ihren Vergütungsanspruch ein - und gewann.
Schließlich sei die Vormundin in Augen des OLG telefonisch über ihre Aufgaben und Pflichten unterrichtet und zu treuer und gewissenhafter Führung des Amts verpflichtet worden. Dass nur ein Telefonat stattgefunden habe, stehe einer wirksamen Bestallung nicht entgegen. Schließlich handele es sich bei der alten Gesetzesfassung nur um eine Sollvorschrift - damit seien sowohl Handschlag als auch persönliche Anwesenheit nicht gänzlich unverzichtbar.
Hinweis: Sollen heißt nicht müssen. Auch eine telefonische Bestallung ist grundsätzlich wirksam und steht dem Vergütungsanspruch nicht entgegen. Für alle ab dem 01.01.2023 bestallten Vormunde gilt das Handschlagsprinzip durch Gesetzesänderung nicht mehr - hier stellt die telefonische Bestallung kein Problem dar.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 08.08.2024 - 7 WF 74/23
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 10/2024)
Trennen sich Eltern, sind verschiedene Umgangsmodelle denkbar. Manche Eltern entscheiden sich für das Wechselmodell, bei dem die Kinder mit beiden Elternteilen in engem Kontakt bleiben. Die Kinder wechseln jeweils den Wohnort und leben mal bei dem einen oder mal bei dem anderen Elternteil. Allerdings stellt sich in diesem Modell die Frage, ob die Eltern die Kinder vor Gericht vertreten können. Das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) war zu diesem Thema gefragt.
Die Eltern von vier Kindern trennten sich, und eines der Kinder war noch minderjährig. Die Eltern betreuten das Kind nun im hälftigen Wechselmodell. Als die Mutter für sich und die Tochter Unterhalt einklagte, wurde der Antrag für die minderjährige Tochter abgewiesen. Die Richter des Familiengerichts (FamG) gingen nämlich davon aus, dass die Mutter die Tochter gar nicht vertreten könne - ihr Argument war die Erziehung im hälftigen Wechselmodell. Gegen diese Entscheidung legte die Mutter erfolgreich Beschwerde ein.
Die Richter des OLG wendeten § 1629 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch analog an. Grundsätzlich mache der Elternteil demnach den Unterhalt im Namen des Kindes geltend, der das Kind auch in Obhut habe. Im hälftigen Wechselmodell hat aber keines der Elternteile das Kind in seiner alleinigen Obhut. Und da es in diesem Modell schlichtweg keinen Betreuungsschwerpunkt gebe, könne das Gesetz folglich auch nicht direkt angewendet werden. Damit würden Gerichte jedoch die Kinder im Wechselmodell schlechter stellen als jene, die hauptsächlich von einem Elternteil betreut werden. Das OLG hob den Beschluss der Vorinstanz daher auf, so dass das FamG nun über den Antrag der Mutter in einer erneuten Verhandlung entscheiden muss.
Hinweis: Unkonventionelle Modelle wie das Wechselmodell hatte der Gesetzgeber bei Schaffung der Umgangsregelungen und Unterhaltsregelungen nicht vor Augen. Bedenken Sie dies bei Ihren Anträgen, wenn Sie in einem solchen Modell leben, und nehmen Sie Rücksprache mit Ihrem Rechtsbeistand.
Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.07.2024 - 5 UF 33/24
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 10/2024)
Lassen sich Eltern scheiden und können sich diese nicht über das Aufenthaltsbestimmungsrecht über die Kinder verständigen, muss ein Gericht entscheiden. Bei der Entscheidungsfindung hat das Kindeswohl für das Gericht als Entscheidungskriterium oberste Priorität - so auch für das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG).
Die Eltern eines vierjährigen Jungen stritten sich um dessen Aufenthaltsbestimmungsrecht. Das Kind lebte bei der in Vollzeit arbeitenden Mutter und deren Großeltern und wurde zu Hause betreut. Der Kindesvater lebte mit seiner Schwester in einer anderen Stadt, in der auch seine Mutter sowie seine aktuelle Lebensgefährtin wohnten. Als die Mutter nun ebenso einen neuen Lebensgefährten kennenlernte, wollte sie mit dem Sohn zu diesem in eine fremde Stadt ziehen. Der Vater stellte daraufhin gerichtlich einen Antrag auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf ihn. Der Sohn sei bei ihm "zu Hause" und habe eine starke Bindung zum Vater. Die Kindesmutter beantragte ihrerseits die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich.
Die Kindesmutter verlor sowohl vor dem Amtsgericht als auch mit ihrer Beschwerde vor dem OLG. Entschieden wurde nach Anhörung der Eltern, des Kindes, der Stellungnahmen von Verfahrensbeiständin und des Jugendamts - und zwar auf Basis der dem Wohl des Kindes am besten entsprechenden Entscheidung (§ 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Bürgerliches Gesetzbuch). Ausschlaggebend waren Erwägungen der Kontinuität und Stabilität der kindlichen Lebensbedingungen. Nur bei einem Verbleib beim Vater - in dessen vertrauten Haushalt mit vertrauten Bezugspersonen - könne beides gewährleistet werden. Die Mutter war bislang zwar Hauptbezugsperson, aber mit dem Umzug wäre das Kind in eine neue Umgebung gezogen und hätte ihm wichtige Bezugspersonen verloren.
Hinweis: Soll eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts erreicht werden, muss sorgfältig dargelegt werden, warum der Antrag dem Kindeswohl entspricht. Wie für Kontinuität für das Kind gesorgt wird und wie für dessen optimale Förderung, muss vorher gut abgewogen werden.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 01.08.2024 - 6 UF 117/24
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(aus: Ausgabe 10/2024)
Paare trennen sich nicht zuletzt aufgrund der unterschiedlichen Auffassung von richtiger Kindererziehung und richtigem Verhalten vor den Kindern. So kann nach einer Scheidung Streit darüber entstehen, ob einem umgangsberechtigten Elternteil das Rauchen im Beisein der Kinder verboten werden darf. Das Oberlandesgericht Bamberg (OLG) musste in einem solchen Fall Recht sprechen.
Die Eltern zweier Kinder lebten nach ihrer Scheidung getrennt. Die Kinder lebten bei der Mutter, die allein sorgeberechtigt war. Der Vater hatte ein Umgangsrecht. Vom Amtsgericht (AG) wurde ihm die Auflage gemacht, während des Umgangs nicht in den Wohnräumen im Beisein der Kinder zu rauchen. Zudem sollte er die Wohnräume vor dem Umgang ausreichend lüften. Der Vater legte gegen diese Auflage Rechtsmittel ein.
Der Vater gewann vor dem OLG, denn nach dessen Ansicht hatte das AG mit seiner Auflage seine Kompetenzen überschritten. Gerichte können das Umgangsrecht näher regeln (§ 1684 Abs. 3 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch). Dies bezieht sich aber in erster Linie auf das Bestimmen von Art, Zeit und Ort des Umgangs. Eine Befugnis, in sonstige Rechte der Eltern einzugreifen, gibt es nicht. Eltern haben nur das zu unterlassen, was die Erziehung erschwert oder das Verhältnis zum anderen Elternteil stören kann. Das Rauchen oder Passivrauchen gehört nicht in diese Kategorie. Sicher ist der Nichtraucher ein besseres Vorbild, und ebenso sicher sind sowohl das Aktiv- als auch das Passivrauchen gesundheitsschädlich - aber eben nicht erziehungsfeindlich.
Hinweis: Gerichte müssen sich bei ihren Entscheidungen im Rahmen der Gesetze bewegen! Sollen einem Elternteil Auflagen gemacht werden, die stark in das Privatleben und die Entscheidungsfreiheit eingreifen, ist stets zu prüfen, ob diese Auflagen noch von familienrechtlichen Vorschriften gedeckt sind. Übergriffige gerichtliche Anordnungen und Auflagen müssen nicht geduldet bzw. befolgt werden. Hier sollten immer Rechtsmittel eingelegt werden.
Quelle: OLG Bamberg, Beschl. v. 07.08.2024 - 7 UF 80/24
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(aus: Ausgabe 10/2024)
Trennen sich Ehepaare, folgen jede Menge Auseinandersetzungen - vom Versorgungsausgleich bis hin zu der Frage, wer in der Ehewohnung bleiben darf. Oft hängt die Entscheidung über diese Frage daran, wer sich nach der Trennung hauptsächlich um die Kinder kümmern wird. So war es auch in diesem Fall des Amtsgerichts Sigmaringen (AG).
Eine Familie lebte zusammen in einem größeren Haus, das dem Familienvater gehörte. Dieser kümmerte sich auch hauptsächlich um die Kinder. Die Mutter arbeitete in Vollzeit. Als sich die Eltern trennten, blieb die Mutter mit den Kindern im Haus. Der Vater zog zu seinen Eltern, die im selben Ort wohnten. Doch sowohl Vater als auch Mutter beantragten nun vor Gericht, in der Ehewohnung bleiben zu dürfen.
Schlussendlich wurde der Mutter vom AG das Bleiberecht zugesprochen. Zwar hatte sich bislang der Vater hauptsächlich um die Kinder gekümmert, nun jedoch tat es die Mutter. Und grundsätzlich ist eine Wohnung vorzugsweise dem Elternteil zuzuweisen, der die gemeinsamen Kinder hauptsächlich betreut (§ 1361b Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch). Kinder haben ein großes Bedürfnis nach einer geordneten, ruhigen und möglichst entspannten Familiensituation ohne örtliche Veränderungen. Dieses Bedürfnis steht über dem Interesse des nicht betreuenden Elternteils am Verbleib in der Wohnung. Eine Wohnung dem nicht betreuenden Elternteil zuzuweisen, würde bedeuten, dass die Kinder sich entweder von der Hauptbezugsperson trennen oder aber mit der Hauptbezugsperson in eine andere Wohnung ziehen müssten. Und ebendies widerspreche eindeutig dem Kindeswohlinteresse.
Hinweis: Keine Regel ohne Ausnahme! Elternteile, die die Kinder nicht betreuen, können in der Ehewohnung bleiben - und zwar dann, wennn sie daran ein besonderes Interesse haben. Ein solches kann vorliegen, wenn durch den Auszug der Umgang mit den Kindern unmöglich gemacht würde. Wer als nicht betreuender Elternteil in der Ehewohnung bleiben möchte, müsste also so ein Interesse vortragen.
Quelle: AG Sigmaringen, Beschl. v. 29.07.2024 - 2 F 189/24 eA
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 10/2024)
Zum Thema Mietrecht
- Auch Gewinner zahlen: BGH urteilt über Prozesskostenumlage nach Klage gegen Wohnungseigentumsbeschluss
- Auto lädt Allgemeinstrom: Geringer Schadenswert und Wille zu Schadenswiedergutmachung stehen fristloser Kündigung entgegen
- Betriebs- und Heizkostenabrechnung: Mieter müssen keine Reise in Kauf nehmen, um entsprechende Belege einsehen zu können
- Das bayerische Fensterrecht: 80 % der betroffenen Fenster und Balkontür blickdicht zu verlangen, stellt unbillige Härte dar
- Eigenbedarfskündigung: Entfernte Familienangehörige gehören nicht zum privilegierten Personenkreis
Wenn eine Wohnungseigentumsgemeinschaft beschließt, Verwaltungskosten zu gleichen Teilen auf alle Wohneinheiten umzulegen, stellt sich die Frage, was mit Prozesskosten geschieht, die nach einer Klage gegen einen durch die Gemeinschaft gefassten Beschluss anfallen. Das diesbezügliche Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) wird sicherlich nicht allen gefallen.
Hier ging es um eine Wohnungseigentumsgemeinschaft mit insgesamt acht Wohnungseigentumseinheiten. In der Gemeinschaftsordnung war geregelt, dass die Verwaltungskosten zu gleichen Teilen auf diese Wohneinheiten umgelegt werden. Als dann drei Parteien gegen einen gefassten Beschluss klagten und gewannen, wurde die gesamte Gemeinschaft der Wohnungseigentümer verurteilt, die Kosten des Vorprozesses zu tragen. Schließlich beschlossen die Eigentümer, diese Kosten durch eine Sonderumlage zu finanzieren, für den dann für jede Wohnungseigentumseinheit ein Betrag in Höhe von 800 EUR gezahlt werden sollte. Demnach sollten also auch jene Kläger zahlen, die das Verfahren ja eigentlich gewonnen hatten. Und da sie ja nun nachweislich wussten, wie es geht, zogen eben jene Kläger gegen diesen Beschluss erneut vor Gericht - dieses Mal jedoch ohne Erfolg.
Auch die zuvor vor Gericht Erfolgreichen mussten die anteiligen Kosten tragen, obwohl sie die diesbezügliche Klage gewonnen hatten. Der BGH hat entschieden, dass Prozesskosten, die der unterlegenen Gemeinschaft der Wohnungseigentümer in einem Beschlussklageverfahren auferlegt worden sind, zu den Kosten der Verwaltung nach § 16 Abs. 2 Satz 1 Wohnungseigentumsgesetz gehören. Daher sind sie nach dem allgemeinen Kostenverteilungsschlüssel umzulegen, sofern keine abweichende Regelung getroffen worden ist. Dies führt dazu, dass auch drei Parteien die Prozesskosten der unterlegenen Gemeinschaft der Wohnungseigentümer anteilig mitfinanzieren mussten.
Hinweis: Spannend bleibt die Frage, ob vor der Vereinbarung einer Sonderumlage auch eine Beschlussfassung zur Änderung der Kostenverteilung für Gerichtsverfahren möglich ist. Vieles spricht dafür.
Quelle: BGH, Urt. v. 19.07.2024 - V ZR 139/23
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(aus: Ausgabe 10/2024)
Stromdiebstahl stellt unbestritten eine Straftat dar. Ob ein solcher Diebstahl aber auch gleich zur fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses führen kann, sobald ein Mieter sein Elektroauto ohne Befugnis mit dem Strom des Vermieters auflädt, klärte im Folgenden das Amtsgericht Leverkusen (AG).
Hier ging es um eine dreiköpfige Familie als Mieterin einer Wohnung im ersten Obergeschoss nebst dazugehörigem Kellerraum und Parkplatz neben dem Haus. Die Familie hatte ihr Elektroauto mindestens zehnmal über eine Allgemeinstromsteckdose des Hauses aufgeladen. Hierauf wurde der Vermieter durch E-Mails mehrerer Mieter aufmerksam gemacht. Dadurch sind Mehrkosten für den verbrauchten Strom entstanden, der über die Position Allgemeinstrom in den Betriebskosten auf alle Mieter umgelegt werde. Daraufhin kündigte der Vermieter das Mietverhältnis fristlos. Die Familie bedauerte ihr Verhalten ausdrücklich und bot dem Vermieter an, die Mehrkosten für den Allgemeinstrom zu übernehmen, auch um den Hausfrieden wiederherzustellen. Sie boten ihm konkret eine Schadensersatzzahlung von 600 EUR an. Der Vermieter erhob trotzdem Räumungsklage, die jedoch abgewiesen wurde.
Der Schaden für die Hausgemeinschaft belief sich auf einen Betrag von unter 50 EUR. Deshalb konnte der Vermieter laut AG nicht einfach fristlos kündigen. Das galt insbesondere deshalb, weil die Mieter eine Schadenswiedergutmachung angeboten hatten. Eine Unversöhnlichkeit stelle keinen Kündigungsgrund für den Vermieter dar. Das Kündigungsrecht diene schließlich nicht der Bestrafung des Mieters. Für eine solche wären andere Instanzen zuständig.
Hinweis: Anhand dieses Falls zeigt sich wieder einmal, dass Strafrecht und Zivilrecht auseinanderfallen können. Nicht alles, was eine Straftat darstellt, wird auch gleich zu einem Kündigungsgrund.
Quelle: AG Leverkusen, Urt. v. 17.05.2024 - 22 C 157/23
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(aus: Ausgabe 10/2024)
Mieter haben das Recht, Belege für die Nebenkosten einzusehen. Was dabei zu berücksichtigen ist, wenn eine längere Strecke den Vermieter vom Mieter trennt, so dass eine Belegeinsicht vor Ort nicht ohne größere Umstände erfolgen kann, musste das Amtsgericht Hamburg (AG) im folgenden Fall klären.
Eine Mieterin aus Hamburg und ihre in Leipzig ansässige Vermieterin stritten sich hier um viele Dinge, insbesondere aber ging es um eine Betriebs- und Heizkostenabrechnung mit einer Nachforderung von 1.560 EUR. Die Mieterin forderte schließlich eine vollständige Belegeinsicht. Diese wollte ihr die Vermieterin aber nicht gewähren. Sie war der Auffassung, dass die Abrechnung formal rechtmäßig sei. Außerdem handele es sich nicht um eine Bringschuld der Vermieterseite.
Da war das AG allerdings anderer Auffassung. Bei einer Mietwohnung in Hamburg besteht keine Verpflichtung für die Mieterseite, zu einer Belegeinsicht bis nach Leipzig zu fahren. Vielmehr ist es Aufgabe der Vermieterin, eine etwaige Belegeinsicht in Hamburg zu ermöglichen.
Hinweis: Belege müssen Mieter beim Vermieter einsehen können. Wohnt der Vermieter allerdings zu weit weg, sind Mieter natürlich nicht verpflichtet, erst eine lange Anreise auf sich zu nehmen. Vielmehr hat der Vermieter dafür zu sorgen, dass die Mieter vor Ort Einsicht nehmen können. Viele Vermieter übersenden dann Kopien der Belege.
Quelle: AG Hamburg, Urt. v. 11.07.2024 - 49 C 410/23
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(aus: Ausgabe 10/2024)
Nachbarschaftsrecht ist Ländersache, und so kommt es im Süden der Bundesrepublik zu einem Anspruch im wohnlichen Nebeneinander, das sich "Bayerisches Fensterrecht" nennt. Im folgenden Fall, der vor dem Oberlandesgericht Nürnberg (OLG) landete, ging es um die Frage, ob dieser Anspruch bei dafür gegebenen Voraussetzungen immer durchsetzbar ist.
Durch die Teilung eines Grundstücks wurde ein Haus zu einem Grenzbau. Mehrere Fenster sowie eine Balkontür hatten weniger als 60 cm Abstand zur Grundstücksgrenze. Deshalb verlangte der Nachbar, die zu seinem Grundstück zugewandten Wohnraumfenster so umzubauen, dass ein Öffnen und ein Durchblicken bis zur Höhe von 1,80 m über dem Boden nicht möglich ist. Eine Anspruchsgrundlage ergebe sich aus dem bayerischen sogenannten "Fensterrecht".
Eine entsprechende Klage wies das OLG jedoch ab. Die auf das "Fensterrecht" gestützten Anspruchsvoraussetzungen waren zwar grundsätzlich gegeben, die Durchsetzung des Anspruchs im konkreten Einzelfall stellte in der Gesamtwürdigung aber eine unbillige Härte dar. Maßgeblich war, dass bis zu 80 % der Fensterflächen von der blickdichten Gestaltung betroffen wären und damit eine ausreichende Licht- und Luftzufuhr der Wohnung nicht mehr gewährleistet sei. Zudem war zu berücksichtigen, dass bei einem dauerhaften Verschließen der Balkontür auch der notwendige zweite Fluchtweg nicht mehr gegeben wäre. In Gesamtbetrachtung der konkreten Umstände war die Ausübung des Fensterrechts hier daher unzulässig.
Hinweis: Anhand des Falls ist durchaus erkennbar, dass auch Gerichte praxisgerechte Lösungen suchen. Der normale Menschenverstand hilft bei der Rechtsfindung eben häufig auch mit.
Quelle: OLG Nürnberg, Urt. v. 18.06.2024 - 6 U 2481/22
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(aus: Ausgabe 10/2024)
Das Mietrecht kennt die Eigenbedarfskündigung, die zumeist dann vorkommt, wenn der Vermieter selbst oder einer seiner Familienangehörigen in die vermietete Wohnung einziehen möchte. Wer mietrechtlich in den Kreis der Familienangehörigen überhaupt einbezogen werden kann, um durch eine Eigenbedarfskündigung einziehen zu dürfen, definierte kürzlich der Bundesgerichtshof (BGH).
In eine vermietete Wohnung sollte ein Cousin der Eigentümerin einziehen. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) definiert (§ 1589) die verschiedenen Grade der Verwandtschaft, wobei ein Cousin oder eine Cousine - Sohn bzw. Tochter von Onkel und/oder Tante - dem vierten Grad der Verwandtschaft entspricht. Nun ging es um die Frage, ob eine Eigenbedarfskündigung für den Einzug eines Cousins als Angehöriger eben dieses vierten Verwandtschaftsgrads überhaupt ausgesprochen werden könne, als gegen die Mieter eine Räumungsklage erhoben wurde.
Die Räumungsklage wurde abgewiesen. Das Gericht legte die Begriffe "Familie" (§ 577a Abs. 1a Satz 2 BGB) und "Familienangehörige" (§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB) aus. Es werden ausschließlich diejenigen Personen umfasst, denen ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen gemäß § 383 Zivilprozessordnung, § 52 Strafprozessordnung zusteht, die also gemäß diesen Paragrafen eine Aussage vor Gericht verweigern dürfen, weil sie beispielsweise mit dem Angeklagten verwandt sind. Das trifft auf einen Cousin nun aber nicht zu, da er für dieses Recht eine zu ferne Verwandtschaft aufweist. Somit gehört er selbst auch dann nicht zu dem im Mietrecht privilegierten Personenkreis, wenn zwischen ihm und dem Vermieter eine enge persönliche Bindung besteht.
Hinweis: Endlich gibt es Rechtssicherheit durch den BGH, wer unter den Begriff der Familie im Sinne der Eigenbedarfskündigung fällt. Eine lange und überfällige Entscheidung, die Rechtssicherheit mit sich bringt.
Quelle: BGH, Urt. v. 10.07.2024 - VIII ZR 276/23
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(aus: Ausgabe 10/2024)
Zum Thema Sonstiges
- Aus Kanzlei gesperrt: Wer Fristen ausreizt, muss deren Einhaltung durch erhöhte Sorgfalt sicherstellen können
- DSGVO-konforme Weitergabe: Mobilfunkanbieter dürfen gemäß Vertragsvereinbarung Daten an die SCHUFA übermitteln
- Das kratzt: Wer mit gusseiserner Grillpfanne sein Cerankochfeld beschädigt, haftet selbst
- Fotografierte Wohnräume: Kein Schmerzensgeld nach genehmigten Aufnahmen für Online-Expose eines Maklers
- Vor Wolf gewarnt: Durch Jagdpächter im Naturschutzgebiet aufgestellte Hinweisschilder sind unzulässig
Das Einhalten von gesetzlichen Fristen steht bei Rechtsanwälten auf der Liste der Gebote ganz weit oben. Denn nur, wenn ein Anwalt ohne Verschulden verhindert war, eine solche Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag die sogenannte "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" zu gewähren - also quasi eine zweite Chance. Davor muss er laut Bundesgerichtshof (BGH) aber nachweisen, naheliegend und ernsthaft versucht zu haben, die Frist trotz misslicher Lage einhalten zu können.
In eine solche missliche Lage geriet eine Rechtsanwältin, nachdem sie in der ersten Instanz einen Prozess über die Rückzahlung eines Darlehens verloren hatte und dagegen für ihre Mandantschaft in Berufung gehen wollte. Obwohl die hierfür geltende Frist am 02.06. ablief, legte sie die Berufung erst am 05.06. ein und beantragte gleichzeitig die Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist. Als Begründung gab sie an, dass sie wegen eines Schwindelanfalls das Büro vorzeitig habe verlassen müssen und dabei den Schlüssel für die Büroräume in selbigen vergessen hatte. Damit habe sie das Büro nicht wieder betreten können. Zudem habe sie vergeblich versucht, eine Kollegin zu erreichen.
Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und verwarf die Berufung als unzulässig. Und der BGH verwarf nun die dagegen erhobene Rechtsbeschwerde der Rechtsanwältin als unzulässig. Ein Rechtsanwalt, der eine Frist bis zum letzten Tag ausschöpft, hat wegen des damit erfahrungsgemäß verbundenen Risikos eine erhöhte Sorgfalt aufzuwenden, um die Einhaltung der Frist dennoch sicherzustellen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war hier deshalb ausgeschlossen, weil die Rechtsanwältin nicht alle erforderlichen und zumutbaren Schritte unternommen hatte, die unter normalen Umständen zur Fristwahrung geführt hätten. Die Anwältin hatte nicht erklärt, warum sie nicht zu ihrer Kollegin gefahren ist, um den Kanzleischlüssel abzuholen, oder warum sie nicht die Telefonnummern weiterer Kanzleikollegen oder -mitarbeiter erfragt habe. Zu guter Letzt wäre die Beauftragung eines Schlüsseldienstes möglich gewesen. So aber hatte die Rechtsanwältin schlicht und ergreifend die Frist verpasst - und dabei blieb es auch.
Hinweis: Fristen müssen eingehalten werden. Das gilt natürlich erst recht für Rechtsanwälte. Fragen Sie ruhig bei Ihrem Rechtsanwalt nach, ob und welche Fristen es gibt. Kurz vor dem Fristablauf spricht nichts dagegen, ihn an den Ablauf der Frist zu erinnern, wenn Sie noch nichts gehört haben.
Quelle: BGH, Urt. v. 11.07.2024 - IX ZB 31/23
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(aus: Ausgabe 10/2024)
Mit dem Kleingedruckten in Verträgen verhält es sich wie mit Gebrauchsanweisungen: Das Durchlesen nervt, ist aber nützlich und vor Gericht oftmals entscheidend. Im Folgenden warf ein Verbraucher seinem Vertragspartner vor, seine Daten unberechtigt an Dritte weitergeleitet zu haben. Es war schließlich am Landgericht Augsburg (LG), sich die hierzu unterschriebenen Vertragskonditionen mal ganz genau anzusehen.
Ein Kunde schloss einen Vertrag über Telekommunikationsdienstleistungen. Im Anschluss erhielt er eine Auskunft der SCHUFA, dass der Vertragsabschluss gemeldet worden sei, sowie kurz darauf Auskunft über die Daten, die das Telekommunikationsunternehmen in diesem Zusammenhang an die SCHUFA weitergegeben hatte. Nun verlangte der Kunde Schadensersatz, Unterlassung und die Feststellung von Verletzungen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sowie der Persönlichkeitsrechte und des Rechts auf informelle Selbstbestimmung. Das Telekommunikationsunternehmen wendete ein, dass es schon bei Vertragsschluss alle seine Kunden über die Weitergabe der Vertragsdaten in einem Datenschutzmerkblatt informiert habe. Der Mann entgegnete, dass das zwar stimmen würde, es sei allerdings nicht über alle Daten gesprochen worden.
Machen wir es kurz: Da es die Datenweitergabe für rechtmäßig hielt, wies das LG die Klage ab. Schließlich habe der Kunde bei Abschluss des Vertrags wirksam eingewilligt, dass Daten über den Abschluss des Telekommunikationsvertrags an die SCHUFA gemeldet werden.
Hinweis: Verbraucher sollten genau durchlesen, was sie bei Kaufverträgen unterschreiben. So lassen sich viele Missverständnisse vermeiden. Das gilt auch und gerade für Einwilligungen an die SCHUFA.
Quelle: LG Augsburg, Urt. v. 05.07.2024 - 041 O 3703/23
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(aus: Ausgabe 10/2024)
Nie nach dem Weg zu fragen oder eine Gebrauchsanweisung zu lesen, ist für so manchen ein Grundprinzip der Eigenständigkeit. Doch mit der hartnäckigen Ansicht, Dinge müssen selbsterklärend anzuwenden sein, kann man schwer danebenliegen - so wie ein Mann, der vor dem Amtsgericht Frankfurt am Main (AG) kürzlich Ersatz für sein beschädigtes Cerankochfeld verlangte.
Der Mann hatte im Rahmen eines Bonusprogramms eine gusseiserne Grillpfanne bestellt. In der Gebrauchsanweisung für die Pfanne stand, dass diese niemals über ein verglastes Kochfeld geschoben werden dürfe, da dieses sonst beschädigt werde. Stattdessen solle die Pfanne immer sanft angehoben und abgestellt werden. Daran hielt sich der Mann jedoch nicht und nutzte die Pfanne auf seinem Glaskeramikkochfeld offensichtlich unsachgemäß, denn das Kochfeld wurde durch die Pfanne stark zerkratzt. Nun forderte der Mann dennoch einen Schadensersatz von 1.800 EUR und klagte das Geld schließlich ein - jedoch vergeblich.
Das AG schüttelte die Köpfe, was die Ansprüche des Bonusbratpfannengeschädigten anging. Denn schließlich hatte der Mann selbst die ausdrückliche Warnung in der Gebrauchsanweisung missachtet und dadurch gravierend gegen seine Sorgfaltspflichten verstoßen. Sein Mitverschuldensanteil war dabei so groß, dass der Anspruch auf Schadensersatz komplett entfiel.
Hinweis: Es ergibt also durchaus Sinn, Gebrauchsanweisungen vor dem Gebrauch aufmerksam zu lesen.
Quelle: AG Frankfurt am Main, Urt. v. 23.05.2024 - 31 C 3103/22 (78)
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(aus: Ausgabe 10/2024)
Darf ein Makler einfach so von einer vermieteten Wohnung Fotos im Internet veröffentlichen? Sie haben bei dieser Frage womöglich ein gutes Bauchgefühl, wenn Sie meinen, dass es darauf ankommt, ob die darin wohnenden Mieter davon wussten und es genehmigten - oder eben nicht. Und so fiel die Antwort des Landgerichts Frankenthal (LG), das sich mit einem solchen Fall beschäftigen musste, recht ähnlich aus.
Eine an ein Ehepaar vermietete Doppelhaushälfte sollte verkauft werden. Das mit der Käufersuche beauftragte Maklerbüro machte Fotos von den Innenräumen und stellte diese in einem Expose online. Daraufhin wurden die Mieter schließlich von mehreren Personen angesprochen. Damit fühlten sie sich unwohl und demaskiert, zudem hatten sie das Gefühl, beobachtet zu werden. Der Makler nahm die Bilder dann zwar wieder aus dem Internet - dennoch machten die Mieter einen immateriellen Schaden für sich geltend und verlangten ein Schmerzensgeld.
Die Klage wurde jedoch vor dem LG abgewiesen, da das Ehepaar den Makler selbst ins Haus gelassen hatte, damit eben jene Bilder gemacht werden können. Allerdings sagten die Richter auch, dass Schmerzensgeldansprüche tatsächlich in Betracht kämen, sobald ein Makler Bilder ohne Einwilligung verwendet. Davon waren die Richter hier aber nicht ausgegangen.
Hinweis: Was im Vorhinein feststeht, führt später nicht zu Streitigkeiten. Deshalb sollte stets vor der Veröffentlichung von Bildern im Internet die Frage der Rechtmäßigkeit der Verbreitung abgeklärt sein. Auch wenn die Einwilligung zur Verwendung von Bildern gegeben wurde, kann diese jederzeit später widerrufen werden.
Quelle: LG Frankenthal (Pfalz), Urt. v. 04.06.2024 - 3 O 300/23
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(aus: Ausgabe 10/2024)
Schilder dürfen in Deutschland nicht einfach so aufgestellt werden - auch wenn es manchmal so wirken mag. Das musste im Folgenden auch ein Jagdpächter erfahren, dem an dieser Stelle einfach mal guter Wille unterstellt werden darf. Denn zumindest dem Wortlaut seiner Schilder zufolge wollte er mit diesen zu Aufmerksamkeit und Vorsichtsmaßnahmen raten. Das war jedoch nicht sein Recht, wie er vor dem Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (OVG) lernen musste.
Der Jagdpächter brachte in einem rheinland-pfälzischen Naturschutzgebiet mehrere Schildtafeln an, auf denen stand: "Wölfe suchen auch in diesem Gebiet nach Beute! Hunde an kurzer Leine führen und Kinder bitte beaufsichtigen! Der Jagdpächter." Daraufhin gab ihm der Westerwaldkreis auf, sämtliche Schrifttafeln innerhalb von zwei Wochen wieder zu entfernen. Denn eine entsprechende Rechtsverordnung würde nur das Aufstellen bestimmter Schilder erlauben, und zwar solcher, die auf den Schutz des Gebiets hinwiesen oder im Zusammenhang mit einem bestimmten Wanderweg oder einem bestimmten Radweg stünden. Dagegen legte der Jagdpächter einen Eilrechtsschutzantrag ein, der jedoch abgewiesen wurde.
Auch die von ihm dagegen gerichtete Beschwerde blieb vor dem OVG erfolglos. Ein Jagdpächter darf schlicht und ergreifend keine eigenen Schilder aufstellen. Das Platzieren der Warnschilder für eine ordnungsgemäße Jagdausübung - worauf hier allein abzustellen war - sei schon deshalb nicht erforderlich, weil der Mann in seiner Funktion als Jagdpächter Wölfe weder jagen dürfe noch zu ihrer Hege und ihrem Schutz verpflichtet sei. Weder eine Befreiung von dem Verbot der Schilderaufstellung nach dem Bundesnaturschutzgesetz habe er beantragt, noch sei ersichtlich, dass die Voraussetzungen für eine solche Befreiung erfüllt seien.
Hinweis: Wer selbst bei amtlich aufgestellten Schilder(wälder)n schon mal den Überblick zu verlieren drohte, kann verstehen, dass man Schilder im öffentlichen Raum nicht auch noch eigeninitiativ installieren darf. Das gilt auch, wenn das Ansinnen noch so nachvollziehbar erscheint.
Quelle: OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 15.08.2024 - 1 B 10738/24.OVG
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(aus: Ausgabe 10/2024)
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