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Zum Thema Arbeitsrecht
- Einseitig empfangsbedürftige Willenserklärung: Eine Kündigungsrücknahme ist in den seltensten Fällen durchsetzbar
- Folgen der Freistellung: Wer Mitarbeitern vertragsmäßige Beschäftigung verweigert, muss sie zur Konkurrenz ziehen lassen
- Folgenreiches "Späßchen": Entblößte Genitalien und angedeutetes Ins-Auto-Pinkeln führen auch auf dem Bau zur Kündigung
- Verstoß gegen AGG: Stellenabsage wegen Bevorzugung "flinker Frauenhände" wird teuer
- Widersprüchlicher Arbeitgeber: Wer fristlos kündigt, darf nicht gleichzeitig eine Weiterbeschäftigung anbieten
Ein Arbeitnehmer hatte sein Arbeitsverhältnis gekündigt und es sich dann jedoch wieder anders überlegt. Ob er seine Kündigung einfach so einseitig wieder zurückziehen und weitermachen durfte wie bisher, musste im Folgenden das Landesarbeitsgericht Thüringen (LAG) beantworten.
Ein langjährig beschäftigter Arbeitnehmer kündigte sein Arbeitsverhältnis mit den folgenden Worten: "Hiermit kündige ich zum nächstmöglichen Zeitpunkt unter Einhaltung der vertraglich festgelegten Frist meine Anstellung in Ihrem Unternehmen (...)." Elf Tage später wandte er sich per E-Mail an die Personalabteilung des Arbeitgebers: "Ich ziehe hiermit meine Kündigung (...) zurück (...). Sag mir bitte Bescheid, ob es okay ist für die Geschäftsleitung und sie die Rücknahme akzeptieren." Wenige Tage später schrieb er nochmals. Auf beide E-Mails antwortete der Arbeitgeber nicht. Wenige Tage vor dem Beendigungstermin bestätigte der Arbeitgeber dann die Kündigung. Der Arbeitnehmer klagte auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis fortbesteht.
Seine Klage hatte vor dem LAG jedoch wenig Erfolg. Denn das Arbeitsverhältnis war durch die Arbeitnehmerkündigung beendet worden. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses darüber hinaus wurde nicht vereinbart. Auch die Rücknahme der Kündigung ändert daran nichts, da diese als einseitig empfangsbedürftige Willenserklärung nicht einseitig zurückgenommen werden kann.
Hinweis: Arbeitnehmer sollten sich also vor dem Ausspruch einer Kündigung genau überlegen, ob das wirklich der richtige Schritt ist. Ein Zurück gibt es in den seltensten Fällen.
Quelle: LAG Thüringen, Urt. v. 17.01.2023 - 5 Sa 243/22
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 06/2023)
Wer Mitarbeiter möglichst schnell per Freistellung loswerden möchte, sollte sich auch damit abfinden, dass die entsprechenden Arbeitnehmer zur direkten Konkurrenz wechseln könnten. Dass das eine nicht ohne das andere geht, musste im Folgenden das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) klarstellen.
Ein Unternehmen bekam eine neue Geschäftsführerin. Diese entband quasi über Nacht ihre Stellvertreterin von ihren Aufgaben und untersagte ihr die Kommunikation mit Mitarbeitern und Geschäftspartnern. Als Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag erfolglos blieben, verlangte die kaltgestellte Arbeitnehmerin durch ihren Anwalt, vertragsgemäß beschäftigt zu werden. Der Arbeitgeber hatte jedoch bereits seine Geschäftspartner und Mitarbeiter informiert, dass die ehemals stellvertretende Geschäftsführerin von ihren Aufgaben entbunden sei. Diese kündigte deshalb außerordentlich fristlos und wechselte zur Konkurrenz. Das wiederum wollte der Arbeitgeber ihr bis zum Ablauf der hier maßgeblichen Kündigungsfrist von sechs Monaten per Gericht untersagen.
Damit kam der Arbeitgeber jedoch nicht durch. Ein sofortiger Wechsel war in Augen des LAG durchaus zulässig. Der Arbeitgeber hatte seine arbeitsvertraglichen Pflichten grob verletzt, indem er sich weigerte, die Mitarbeiterin vertragsgemäß zu beschäftigen. Deren außerordentliche Kündigung war deshalb wirksam. Und sobald ein Arbeitsverhältnis beendet ist, sind Konkurrenztätigkeiten grundsätzlich erlaubt.
Hinweis: Arbeitgeber sind in aller Regel zu einer Freistellung von der Arbeitsleistung berechtigt, wenn das Arbeitsverhältnis gekündigt ist. Andernfalls gibt es nicht nur ein Recht auf Beschäftigung für Arbeitnehmer, sondern auch die Pflicht zur Beschäftigung für den Arbeitgeber.
Quelle: LAG Köln, Urt. v. 24.01.2023 - 4 SaGa 16/22
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 06/2023)
Dass manche Berufsbranchen eine derbe Sprache und einen noch derberen Humor für sich beanspruchen, gehört zu einer eher überholten Tradition. Dass heutzutage auch auf dem Bau "Späße" am Arbeitsplatz mehr als nur unpassend sein und entsprechend eine Kündigung nach sich ziehen können, beweist dieser Fall, der vor dem Arbeitsgericht Weiden (ArbG) landete.
Ein Maurer hatte erst eine Tür des Autos eines Arbeitskollegen und dann seine Hose geöffnet, um im Fahrzeug offensichtlich seine Notdurft zu verrichten. Als er bemerkte, dass er dabei beobachtet wurde, brach er sein Vorhaben ab. Als sein Arbeitgeber von dem Vorfall erfuhr, kündigte er dem Mitarbeiter außerordentlich fristlos. Dagegen wehrt sich der Maurer mit einer Kündigungsschutzklage. Er habe sich zwar tatsächlich an das Auto gestellt, die Tür vorher geöffnet und so getan, als ob er die Hose öffnen und reinpinkeln wollte. Dies sei aber nur eine Gaudi bzw. einfach ein "derber Spaß" gewesen. Der Maurer habe weder seine Hose geöffnet noch vorgehabt, sie zu öffnen, und er habe natürlich auch nicht in das Fahrzeug pinkeln wollen.
Die Richter sahen das anders. Zwar war die fristlose Kündigung unwirksam, die fristgemäße Kündigung beendete jedoch das Arbeitsverhältnis rechtmäßig. Es lag grundsätzlich in dem Verhalten des Maurers ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung. Aber im Rahmen der Interessenabwägung kamen die Richter zu dem Urteil, dass eine fristgemäße Kündigung in diesem Fall angemessen gewesen wäre. Das Entblößen der Genitalien und das Berühren der Fahrerinnentür des Pkw bewerteten die Richter als sexuelle Belästigung. Zugunsten des Maurers war zu bewerten, dass er nicht heimlich vorging und sein eigentliches Vorhaben nicht umsetzen wollte.
Hinweis: Was für den einen ein Spaß ist, stellt für den anderen eine Beleidigung oder manchmal sogar eine sexuelle Belästigung dar. Das dürfen Arbeitgeber nicht tolerieren und müssen einschreiten. Deshalb sollten sich Arbeitnehmer ganz genau überlegen, wie weit sie mit ihren "Späßen" am Arbeitsplatz gehen.
Quelle: ArbG Weiden, Urt. v. 13.03.2023 - 3 Ca 556/22
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 06/2023)
Nicht nur Stellenanzeigen sollten geschlechtsneutral sein. Auch bei der Absage von Bewerbern müssen Arbeitgeber aufpassen, sich nicht der Benachteiligung von Bewerbern im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes verdächtig zu machen. Im folgenden Fall sah das Landesarbeitsgericht Nürnberg (LAG) ein solches gesetzeswidriges Verhalten gegeben. Denn die Sachlage war entsprechend klar, da es sich der Arbeitgeber nicht nehmen ließ, den Ablehnungsgrund deutlich auszuformulieren.
Ein Mann hatte sich auf eine Stelle als Bestücker für Digitaldruckmaschinen beworben. In der schriftlichen Absage wurde ihm dann von dem Arbeitgeber mitgeteilt, dass "die sehr kleinen, filigranen Teile (...) eher etwas für flinke Frauenhände" wären. Der Mann fühlte sich wegen seines Geschlechts benachteiligt und legte eine Klage auf eine Entschädigungszahlung in Höhe von drei Bruttomonatsgehältern ein.
Der Klage wurde stattgegeben, allerdings erhielt der Mann lediglich 1,5 Bruttomonatsentgelte als Entschädigung. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt vor, wenn einem männlichen Bewerber um eine Stelle abgesagt wird mit der Begründung, "unsere sehr kleinen, filigranen Teile sind eher etwas für flinke Frauenhände". Die unterschiedliche Behandlung war auch nicht wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit zulässig. Folglich trug der Arbeitgeber die volle Darlegungs- und Beweislast dafür, dass keine Benachteiligung wegen des Geschlechts stattgefunden hat. Doch das konnte er naturgemäß nicht beweisen. In der Höhe war eine Entschädigung in Höhe des 1,5-fachen des Bruttomonatsentgelts für die LAG-Richter ausreichend. Denn die Benachteiligung war weder strukturell verfestigt noch von längerer Dauer.
Hinweis: Auch bei der Absage von Bewerbern ist für Arbeitgeber höchste Vorsicht geboten. Es kann nur geraten werden, möglichst keinen Grund für die Absage zu nennen.
Quelle: LAG Nürnberg, Urt. v. 13.12.2022 - 7 Sa 168/22
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 06/2023)
Spricht der Arbeitgeber eine Kündigung aus, kann er auch danach viele Fehler machen - so wie in diesem Fall, der bis vor das Bundesarbeitsgericht (BAG) ging. Hier wusste der Arbeitgeber offensichtlich nicht, dass eine außerordentliche Kündigung nicht ohne den Verzicht auf die entsprechende Arbeitskraft während des Kündigungsschutzprozesses möglich ist.
Ein Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis mit einem Technischen Leiter per Änderungskündigung fristlos. Stattdessen sollte der Arbeitnehmer fortan als Softwareentwickler mit einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von 3.750 EUR statt der ursprünglichen 5.250 EUR beschäftigt werden. Das Kündigungsschreiben regelte zudem, dass der Arbeitgeber den Beschäftigten sowohl im Fall der Ablehnung der außerordentlichen Kündigung als auch im Fall der Annahme des Angebots zum Arbeitsantritt erwartet. Der Beschäftigte lehnte aber zum einen das Änderungsangebot ab und erschien zum anderen auch nicht zum vorgesehenen Termin zur Arbeit. Das nahm der Arbeitgeber zum Anlass, dem Arbeitnehmer erneut zu kündigen. Darauf reagierte der Arbeitnehmer nicht. Stattdessen zog er bis vor das BAG.
Grund dafür war vor allem, dass er zu diesem Zeitpunkt noch keine neue Arbeit gefunden hatte und sein Arbeitgeber ihm lediglich einen kleinen Teil seines Gehalts weiterzahlte. Damit war der Beschäftigte nicht einverstanden. Er machte geltend, dass sein Arbeitgeber ihm bis zur Aufnahme eines neuen Beschäftigungsverhältnisses sein Gehalt schulde. Darüber hinaus berief sich der Arbeitnehmer darauf, dass eine Weiterbeschäftigung nicht zumutbar sei. Schließlich habe der Arbeitgeber ihm zur Begründung der fristlosen Kündigung in umfangreichen Ausführungen zu Unrecht mannigfaltiges Fehlverhalten vorgeworfen und seine Person herabgewürdigt. Es müsse deshalb davon ausgegangen werden, dass der Arbeitgeber das mit der Änderungskündigung verbundene Angebot nicht ernst gemeint habe.
Das BAG sah das ähnlich und hielt die Kündigungen für unwirksam. Kündigt ein Arbeitgeber ein Arbeitsverhältnis fristlos mit der Begründung, dass ihm die Weiterbeschäftigung bis zum Ende der Kündigungsfrist nicht mehr zuzumuten sei, verhält er sich widersprüchlich, wenn er den Arbeitnehmer während des Kündigungsschutzprozesses gleichzeitig zu unveränderten Bedingungen weiterbeschäftigt. Denn in einem solchen Fall lässt sich vermuten, dass der Arbeitgeber es mit der Kündigung nicht ernst meinte.
Hinweis: Kündigt der Arbeitgeber also fristlos, führt ein Angebot auf eine Weiterbeschäftigung während des Prozesses meistens zur Unwirksamkeit der Kündigung. Wer also fristlos kündigt, darf nicht gleichzeitig die Weiterbeschäftigung anbieten. Das sollten Arbeitgeber bedenken.
Quelle: BAG, Urt. v. 29.03.2023 - 5 AZR 255/22
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 06/2023)
Zum Thema Erbrecht
- Ehegüterrecht schlägt Erbrecht: Errungenschaftsgemeinschaft nach kubanischem Recht mindert Ehegattenerbquote
- Erstattung überzahlter Renten: Zulassen eines banküblichen Zahlungsgeschäfts ist nicht immer eine vorwerfbar unterlassene Handlung
- Europäisches Nachlasszeugnis: Erben, Vermächtnisnehmer, Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter sind antragsberechtigt
- Gekündigte Lebensversicherung: Vorsicht vor gleichzeitigem Widerruf der Bezugsberechtigung auf den Todesfall
- Testament aus losen Seiten: Inhaltlicher Zusammenhang und das Gesamtbild eines Ganzen sind entscheidend
Im nächsten Fall wird es ein wenig kompliziert. Nicht, was die bikulturelle Ehe zwischen einem Deutschen und einer Kubanerin angeht, sondern vielmehr wegen der Unterscheidung des Erbrechts von dem Ehegüterrecht. Denn nachdem der deutsche Erblasser verstarb, musste das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) eben beides miteinander abwägen, um festzustellen, welche Erbquote der Witwe nun zuzumessen sei.
Der Erblasser war deutscher Staatsangehöriger, der seit dem Jahr 2010 mit einer Kubanerin verheiratet war. Der Erblasser, der fließend Spanisch sprach, war schon vor der Heirat mit dem Land Kuba eng verbunden und pflegte private Beziehungen dorthin. Sowohl vor als auch nach der Eheschließung hielt er sich in der Regel etwa bis zu sechs Monate jährlich in Kuba auf. Seine Ehefrau sprach hingegen nur geringfügig Deutsch und hat sich während der Ehezeit lediglich zweimal für Urlaube in Deutschland aufgehalten. In den letzten etwa zweieinhalb Jahren seines Lebens lebte der Erblasser aufgrund einer Erkrankung ausschließlich in Deutschland, die Ehefrau lebte in Kuba. Nach dem Tod des Erblassers beantragten dessen Söhne aus erster Ehe einen gemeinschaftlichen Erbschein, der die kubanische Ehefrau als Erbin zu 1/4 und die beiden Söhne zu Erben zu jeweils 3/8 ausweist. Die Ehefrau war hingegen der Ansicht, dass sie Erbin mit einem Erbteil von 1/2 geworden sei, da deutsches Ehegüterrecht auf die Ehe Anwendung finden müsse.
Dieser Ansicht schlossen sich das Nachlassgericht und das OLG jedoch nicht an. Bemerkenswert war die Entscheidung deshalb, weil die Gerichte zu der Ansicht gelangt sind, dass auf den vorliegenden Fall deutsches Erbrecht anzuwenden sei, wohingegen bezüglich der Ehe auf das kubanische Recht abgestellt werden müsse. Anknüpfungspunkt für die Anwendbarkeit deutschen Erbrechts war der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers. Da dieser sich seit etwa 2,5 Jahren aufgrund einer Erkrankung ausschließlich in Deutschland aufgehalten hatte, war deutsches Erbrecht anzuwenden. Wäre auch auf das deutsche eheliche Güterrecht abzustellen gewesen, hätte der Ehefrau neben der Ehegattenerbquote von 1/4 auch die Erbteilserhöhung aus einem pauschalierten Zugewinnausgleich in Höhe eines weiteren Viertels zugestanden.
Das OLG war aber der Ansicht, dass hinsichtlich der Ehe eben nicht auf das deutsche Güterrecht abzustellen war. Zum Zeitpunkt der Eheschließung waren die Eheleute am engsten mit Kuba verbunden. Hieran hatte sich auch während der Ehezeit nichts geändert. Die Ehe unterlag daher als Errungenschaftsgemeinschaft dem kubanischen Recht. Eine Erbteilserhöhung, wie sie bei einer deutschen Zugewinngemeinschaft in Betracht kommt, kennt die kubanische Errungenschaftsgemeinschaft nicht. Aus diesem Grund stand der Ehefrau nur das sogenannte Ehegattenerbrecht mit einer Quote von 1/4 zu.
Hinweis: Eheleute können im Wege einer notariellen Beurkundung eine Wahl treffen, welches Recht für ihre Ehe gelten soll.
Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 26.01.2023 - 3 W 71/22
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 06/2023)
Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) musste sich im folgenden Fall mit der Frage beschäftigen, ob eine erteilte Kontovollmacht des Erblassers eine Grundlage dafür bildet, von dem Vollmachtnehmer die Rückerstattung einer zu viel gezahlten Rente verlangen zu können.
Der am 23.04.2017 verstorbene Erblasser war Empfänger einer Witwen- und Altersrente und hatte zugunsten seiner Tochter eine Kontovollmacht für ein Girokonto eingerichtet. Am 28.04.2017 gingen eben diese Rentenzahlungen auf das Konto des verstorbenen Rentenempfängers ein. Aufgrund von noch zu Lebzeiten erteilten Daueraufträgen sind nach dem Tod des Erblassers noch Abbuchungen von dem Konto erfolgt. Einzahlungen oder Abbuchungen durch die Tochter sind unstreitig nicht erfolgt. Diese hatte nach dem Tod des Vaters die Erbschaft wegen Überschuldung ausgeschlagen. Der Rententräger war nun der Ansicht, dass die Tochter als Kontobevollmächtigte verpflichtet gewesen sei, die Rückzahlung zu veranlassen bzw. Abbuchungen vom Kontoguthaben zu verhindern. Dieses pflichtwidrige Unterlassen sei vorwerfbar, weshalb sie zur Rückerstattung der Renten verpflichtet gewesen sei.
Dieser Ansicht haben sich weder das Sozialgericht Cottbus noch das LSG angeschlossen. Es sei nicht vorwerfbar, dass die Tochter ein bankübliches Zahlungsgeschäft zugelassen habe. Auch sei mit der Erteilung einer Kontovollmacht nicht generell verbunden, dass nach dem Ableben des Kontoinhabers alle vermindernden Verfügungen verhindert werden müssen. Erforderlich sei vielmehr, dass zwischen der Kenntnis vom Tod des Rentenempfängers und den Kontobewegungen ein ausreichender Zeitraum zum Handeln zur Verfügung steht. All dies war vorliegend nicht gegeben, so dass die Tochter nicht zur Rückzahlung der Geldbeträge verpflichtet war.
Hinweis: Nach dem Tod eines Erblassers besteht eine der ersten Aufgaben darin, sich einen Überblick über den Nachlass zu verschaffen und hier insbesondere Kontenbewegungen zu überprüfen. Ein Rückforderungsanspruch jedenfalls gegenüber Sozialversicherungsträgern kann sich grundsätzlich eben auch aus einer Kontovollmacht ergeben, auch wenn die Erbschaft nach dem Tod des Erblassers ausgeschlagen wurde.
Quelle: LSG für das Land Brandenburg, Urt. v. 20.01.2023 - L 33 R 79/20
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 06/2023)
Ein Mittel zur Umsetzung der EU-Erbrechtsverordnung ist das sogenannte europäische Nachlasszeugnis, das von der mit der Erbsache befassten Behörde ausgestellt wird, und mit dem Erben ihren Status in anderen Mitgliedstaaten nachweisen können. Der Bundesgerichtshof (BGH) musste sich mit der Frage beschäftigen, ob eine mit der Nachlasssache betraute Notarin in Polen berechtigt ist, einen Antrag auf Erteilung eines solchen Nachlasszeugnisses zu stellen.
Nach dem Tod der Erblasserin in Deutschland im Jahr 2019 wurde diese unter anderem von ihrer Schwester beerbt. Die Erbin selbst verstarb wenige Monate nach dem Tod der Erblasserin in Polen, wo sie gelebt hat. Ein Neffe der zuletzt verstorbenen Erbin beauftragte eine polnische Notarin mit der Abwicklung des Nachlasses, und diese beantragte daraufhin die Erteilung eines europäischen Nachlasszeugnisses beim zuständigen Amtsgericht Eutin, am letzten Wohnsitz der verstorbenen Erblasserin.
Dieser Antrag wurde jedoch in allen Instanzen zurückgewiesen. Auch die zugelassene Rechtsbeschwerde beim BGH hatte in der Sache keinen Erfolg. Denn der BGH stellte klar, dass die Beteiligte als Notarin nicht zu dem in der EU-Erbrechtsverordnung genannten Personenkreis gehöre und keine eigenen Rechte im Zusammenhang mit dem Tod der Erblasserin wahrnehme.
Hinweis: Antragsberechtigt für die Erteilung eines europäischen Nachlasszeugnisses sind in jedem Fall die Erben, Vermächtnisnehmer, Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter.
Quelle: BGH, Beschl. v. 29.03.2023 - IV ZB 20/22
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 06/2023)
Der Sinn einer Lebensversicherung besteht unter anderem darin, dass für den Fall des Todes des Versicherungsnehmers eine oder mehrere Personen berechtigt sein sollen, Leistungen aus dem Versicherungsvertrag zu erhalten. Der Bundesgerichtshof (BGH) musste die Frage klären, ob die Kündigung eines Lebensversicherungsvertrags durch den Versicherungsnehmer auch gleichzeitig den Widerruf der Bezugsberechtigung auf den Todesfall nach sich zieht.
Die Tochter der Erblasserin war aufgrund gesetzlicher Erbfolge Alleinerbin geworden. Die Erblasserin hatte bei einer Versicherungsgesellschaft eine Rentenversicherung geführt, aus der sie eine vierteljährliche Rente erhielt. Im Versicherungsvertrag hatte die Erblasserin ihren Lebensgefährten als Bezugsberechtigten im Todesfall benannt. Mit Schreiben vom 18.02.2019 kündigte die Erblasserin ihre Rentenversicherung zum 01.04.2019 und verlangte eine Auszahlung des "Restbetrags" auf ihr Konto. Die Versicherungsgesellschaft kehrte daraufhin am 26.03.2019 einen Betrag von ca. 16.000 EUR an die Versicherungsnehmerin aus, der dem Konto einen Tag später gutgeschrieben wurde. Einen weiteren Tag später verstarb die Erblasserin und wurde von der Tochter beerbt. Die Versicherungsgesellschaft war der Ansicht, dass die Bezugsberechtigung auf den Todesfall nach wie vor bestehe und die Erbin daher zur Rückzahlung der Versicherungsleistung verpflichtet sei. Allein die Kündigung der Rentenversicherung führe nicht automatisch zum Widerruf der Bezugsberechtigung für den Todesfall.
Dieser Rechtsansicht schloss sich im Ergebnis auch der IV. Senat des BGH an. Es gäbe seiner Ansicht nach keinen Erfahrungssatz, wonach die Kündigung eines Lebensversicherungsvertrags durch den Versicherungsnehmer stets zugleich den Widerruf der Bezugsberechtigung auf den Todesfall enthalte. Allein aufgrund einer Auslegung der Erklärung könne die Frage geklärt werden, ob der Versicherungsnehmer auch die Bezugsberechtigung habe ändern wollen. Maßgeblich ist dabei, wie der Versicherer die Erklärung der Versicherungsnehmerin auffassen musste.
Hinweis: Gerade in den Fällen, in denen die bezugsberechtigte Person aus einem Lebensversicherungsvertrag und die Erben nicht übereinstimmen, muss der Erblasser sich über die Konsequenzen der Kündigung eines Lebensversicherungsvertrags im Klaren werden. Ist auch ein Widerruf der Bezugsberechtigung für den Todesfall gewollt, sollte dies deutlich zum Ausdruck gebracht werden.
Quelle: BGH. Urt. v. 22.03.2023 - IV ZR 95/22
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 06/2023)
Gerade bei privatschriftlichen Testamenten hat die Einhaltung der sogenannten Formerfordernisse eine besondere Bedeutung. Das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) musste sich mit der Frage beschäftigen, ob ein Testament, das aus mehreren losen Seiten besteht und nur auf der letzten Seite unterzeichnet ist, wirksam errichtet wurde.
Die Erblasserin hatte mit ihrem bereits vorverstorbenen Ehemann im Jahr 1991 ein notarielles Testament errichtet, indem sie sich jeweils zu Alleinerben eingesetzt haben. Da die Ehe kinderlos geblieben war, wurden die jeweiligen Mütter hälftig zu Schlusserben eingesetzt. Für den Fall des Vorversterbens der Schlusserben sollten deren Abkömmlinge als Ersatzerben eintreten. Im Jahr 2016 hatte die Erblasserin dann ein weiteres handschriftliches Testament errichtet, das aus mehreren Seiten bestand und durchlaufend nummeriert war. Die erste Seite war - anders als die beiden nachfolgenden Seiten - undatiert und nicht unterzeichnet. Die Seiten 2 und 3 waren jeweils mit dem Wort "Testament" überschrieben. Eine Unterschrift der Erblasserin befand sich nur auf der letzten Seite.
Diese Art der Testamentserstellung war nach Ansicht des OLG unter formalen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden. Es sei keine Wirksamkeitsvoraussetzung, dass die Blätter miteinander verbunden sind. Maßgeblich sei allein, ob es einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen den Texten gibt und sich hieraus inhaltlich ein Ganzes bildet. Ausreichend ist es darüber hinaus auch, wenn sich eine Unterschrift lediglich auf der letzten Seite befindet - jedenfalls dann, wenn an der Zusammengehörigkeit der einzelnen Seiten aufgrund einer Nummerierung kein Zweifel besteht. Im Übrigen musste sich das Gericht im Rahmen der Auslegung des Testaments mit der Frage einer wirksamen Einsetzung zum Alleinerben beschäftigen. Sofern sich eine bestimmte Person um die Beerdigung kümmern und insgesamt den Nachlass regeln soll, kann dies als Einsetzung zum Alleinerben auszulegen sein.
Hinweis: Besteht ein handschriftliches Testament aus mehreren Seiten, ist es stets ratsam, die Seiten zu nummerieren, zu datieren und vom Erblasser jeweils unterschreiben zu lassen.
Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 16.01.2023 - 3 W 113/22
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 06/2023)
Zum Thema Familienrecht
- Anwalt irrt gewaltig: Beschwerde statt Einspruch gegen Versäumnisbeschluss eingelegt
- Bis Juni 2024: Bundesverfassungsgericht verlangt vom Gesetzgeber, das Verbot der Kinderehe nachzubessern
- Familienrecht ist kein Strafrecht: Kindesentführung im Inland bleibt ohne Folgen
- Keine eindeutige Regelung: Kein Ordnungsgeld gegen Mutter, die sich der unklaren Umgangsvereinbarung widersetzte
- Trotz Verwendungszweck "Darlehen": Zuwendung unter künftigen Eheleuten muss nur hälftig zurückgezahlt werden
Der folgende Fall behandelt zwar kein spezifisches Problem im Familienrecht, sondern es handelt sich vielmehr um einen Denkfehler des betreffenden Anwalts. Da sich dieser aber in einer Familiensache abspielte, haben Sie an dieser Stelle das "Vergnügen" zu lesen, wie falsch Juristen liegen können. Das Versehen ging bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) und wird nach dessen Abfuhr sicherlich noch einen Haftungsprozess gegen den Anwalt nach sich ziehen.
Ein Verkehrsstau, wer kennt ihn nicht. So steckte auch der Rechtsanwalt dieses Falls auf dem Weg ins Gericht in einem solchen fest, woraufhin er von unterwegs aus bei Gericht anrief. Er schätzte seine Verspätung auf 20 Minuten ein - tatsächlich aber kam er erst 40 Minuten nach Terminsbeginn im Gerichtssaal an. In der Zwischenzeit hatte der Gegner bereits die Geduld verloren und einen sogenannten Versäumnisbeschluss beantragt. Und obwohl der Anwalt noch erschien und Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beantragte, erließ der Richter zwei Wochen später den Versäumnisbeschluss, nach dem Nachscheidungsunterhalt zu zahlen war.
Und nun kommt besagter Denkfehler ins Spiel. Der Anwalt legte hiergegen nämlich das Rechtsmittel der Beschwerde ein. Doch diese wäre nur bei einem "normalen" Beschluss korrekt gewesen - gegen einen Versäumnisbeschluss aber muss man "Einspruch" einlegen. Und nicht nur die Überschrift war falsch: Für eine Beschwerde hat man einen Monat Zeit, für einen Einspruch nur zwei Wochen. Für die Umdeutung des Rechtsmittels in einen Einspruch hatte der Anwalt das Schreiben also zudem auch zu spät abgeschickt. Die Sache ging schließlich bis zum BGH, doch auch dort konnte man dem Anwalt nicht weiterhelfen.
Hinweis: Der anwaltliche Fehler ist eindeutig, im Haftungsprozess gegen ihn dürfte es nun um die Frage gehen, ob der ausgeurteilte Unterhalt nicht ohnehin zustande gekommen wäre, so dass gar kein Schaden entstanden ist.
Quelle: BGH, Beschl. v. 29.03.2023 - XII ZB 409/22
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 06/2023)
Dass es unserer deutschen Rechtsordnung widerspricht, wenn Kinder heiraten, liegt auf der Hand. Aber der Rechtsstaat muss eine Lösung finden für Minderjährige, die im Ausland wirksam geheiratet haben und nun in Deutschland wohnen. Der Gesetzgeber hatte die Lösung gewählt, Eheschließungen, bei denen ein Beteiligter unter 16 Jahre alt war, als unwirksam anzusehen. Doch nach eingehender Betrachtung hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Bedenken, was die Ausarbeitung des Gesetzes angeht - es verlangt eine Nachbesserung.
Dass es auf den ersten Blick unseren gesellschaftlichen Vorstellungen gut entspricht, Ehen als unwirksam anzusehen, wenn sie unserem Ehebild widersprechen, stellt sich aber in den Rechtsfolgen als Nachteil gerade für die heraus, die geschützt werden sollen. Angenommen, eine 14-Jährige wäre im Ausland wirksam mit einem älteren Mann verheiratet worden, bekäme Kinder von ihm und zöge mit ihm nach Deutschland. Hier fände der Mann Arbeit und das Paar käme zu Wohlstand, während sie als Hausfrau und Mutter die Kinder betreuen würde. Das "Gesetz zum Verbot von Kinderehen" würde nun dazu führen, dass sie im Fall einer Scheidung keinerlei Ansprüche aus der Ehe hätte - denn sie wäre ja nach deutschen Vorstellungen unverheiratet. Sie bekäme also weder Unterhalt (falls die Kinder nicht mehr ganz klein sind) noch einen Teil seiner Rente (Versorgungsausgleich) noch etwas von seinem Vermögen (Zugewinnausgleich).
So geht das nicht, befand das BVerfG, und hat den Gesetzgeber bis Juni 2024 zur Nachbesserung aufgefordert. Es müssen Möglichkeiten geschaffen werden, dass der minderjährig Verheiratete nach Erreichen der Volljährigkeit die Ehe im Inland wirksam weiterführen könne - ohne neu heiraten zu müssen. Zudem müssten die Auswirkungen auf den Unterhalt bedacht werden.
Hinweis: Das Gesetz ist nicht außer Kraft gesetzt und darf bis Juni 2024 noch angewendet werden.
Quelle: BVerfG, Beschl. v. 01.02.2023 - 1 BvL 7/18
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 06/2023)
Der folgende Fall zeigt, wie schnell einem Elternteil im Inland das eigene Kind entzogen und bis zu einer gerichtlichen Klärung entfremdet werden kann. Das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) musste hier - so die Grundlage des Familienrechts in Kindersachen - zugunsten der Kinder entscheiden.
Die Eheleute und die beiden Kinder hatten zusammen in Süddeutschland gewohnt. Um sich zu trennen, tauchte die Frau in einem Frauenhaus in Norddeutschland unter und nahm die beiden Kinder mit. Das Jüngere wurde noch beigestillt, das Ältere war im Kindergartenalter. Der Vater wollte erreichen, dass die Kinder zurück nach Süddeutschland kommen, und beantragte beim Familiengericht (FamG) an seinem Wohnort das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder. Er war bereit, Mutter und Kindern die Familienwohnung zu überlassen und auszuziehen. Alternativ bot er an, die Kinder selbst zu betreuen. Doch das Jugendamt am Ort des Frauenhauses attestierte eine gute Versorgung der Kinder und teilte mit, die Mutter habe dort eine Wohnung gefunden, in die sie demnächst umziehe. Der Verfahrensbeistand sprach sich für einen Verbleib der Kinder bei der Mutter aus, weil die Bindung zu ihr enger sei. Eine Trennung des Säuglings von der Mutter komme zudem nicht in Betracht. Ob für die Mutter eine Bedrohungslage durch den Vater bestanden hatte, ließ sich nicht aufklären.
FamG und OLG entschieden im Eilverfahren vorläufig - beide zum Nachteil des Vaters. Dabei kam es ausdrücklich nicht auf die Frage an, dass die Mutter die Kinder entführt und damit das Sorgerecht des Vaters verletzt habe. Denn Familienrecht ist kein Strafrecht. Bei der Abwägung darf nur das Kindeswohl eine Rolle spielen, nicht das Bedürfnis der Sanktion eines Fehlverhaltens eines Elternteils. Der Ortswechsel ohne das Einverständnis des anderen Elternteils hat innerhalb Deutschlands nur Bedeutung für die Frage, ob daraus Rückschlüsse auf eine Entfremdungsabsicht zu ziehen sind. Das OLG glaubte der Mutter zwar nicht, dass kein näheres Frauenhaus aufnahmebereit gewesen wäre, und sah, dass der Vater seine Kinder seit Monaten nicht gesehen hatte. Dennoch unterstellte es der Mutter nicht, die Kinder dem Vater entfremden zu wollen. Das Grundrecht eines Elternteils verbietet es, ihn selbst zum Rückzug aufzufordern. Es geht allein um den Aufenthalt der Kinder.
Hinweis: In einem Hauptsacheverfahren kann noch der endgültige Verbleib der Kinder geklärt werden. Die Erfolgswahrscheinlichkeit für den Vater ist in diesen Fällen aber gering. Das Verhalten der Mutter wird als "ertrotzte Kontinuität" bezeichnet. Bis das Hauptsacheverfahren entscheidungsreif ist, werden sich die Kinder am neuen Wohnort und mit der neuen Situation so eingelebt haben, dass kein Gericht sie wieder herausreißt. Bei jüngeren Kindern führt die Eigenmächtigkeit daher häufig zum Ziel.
Quelle: OLG Stuttgart, Beschl. v. 10.02.2023 - 15 UF 267/22
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 06/2023)
Wenn der Umgang zwischen einem Kind und einem Elternteil gerichtlich geregelt werden muss, hat es vorher schon Schwierigkeiten zwischen den Eltern gegeben, in die ein Erlass eines Beschlusses oder der Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs Ruhe bringen soll. Damit im Fall einer Zuwiderhandlung eine Vollstreckbarkeit mit einem Ordnungsmittel möglich ist, müssen die Bedingungen im entsprechenden Schriftstück aber auch klar und deutlich formuliert sein. Ist die Formulierung der Umgangsregelung nicht hundertprozentig eindeutig, kommt es zu Streitigkeiten, über die in diesem Fall das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) zu urteilen hatte.
Für einen Vater war dessen Umgangsrecht "Alle 14 Tage von Freitag nach der Schule bis Montag früh zum Beginn der Schule, beginnend mit dem 16.09. bis 19.09.2022" formuliert. Am 16.09. waren aber noch Ferien. Die Schule begann für das Kind erst am Montag, dem 19.09.2022. Die Mutter verweigerte aus diesem Grund den Umgang vom 16.09. bis 19.09.2022. Der Familienrichter, der den Beschluss formuliert hatte, hatte aber offensichtlich gemeint, dass das Kind das Einschulungswochenende beim Vater verbringen soll, und setzte ein Ordnungsgeld von 300 EUR gegen die Mutter fest. Beim OLG wurde das allerdings aufgehoben.
Für die Vollstreckung muss die gerichtliche Entscheidung hinreichend bestimmt sein. Die hier gewählte Formulierung ("Umgang ... von Freitag nach der Schule ...") wird für den Normalfall des Schulbesuchs als ausreichend angesehen, weil es darum geht, dass der betreuende Elternteil dafür sorgen muss, dass der Umgangsberechtigte das Kind von der Schule abholen kann. Die Formulierung erfasst aber keine Verpflichtung an schulfreien Tagen. Denn dann ist weder Ort noch Uhrzeit der Übergabe klar. Damit ist auch unklar, durch welches Verhalten die Mutter genau gegen den Beschluss verstoßen habe. Die mögliche Bestimmbarkeit durch ergänzende Auslegung (also logisches Denken) reicht im förmlichen Vollstreckungsverfahren nicht aus.
Hinweis: Vor allem, wenn die Umgangsvereinbarung im Gerichtstermin als Vergleich protokolliert wird, muss man auf Genauigkeit beharren und den Richter gegebenenfalls um ergänzende Verbalisierung dessen bitten, was gemeint ist. Sonst ist der Vergleich im Streitfall wertlos.
Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 17.04.2023 - 5 WF 29/23
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 06/2023)
Manche Paare nehmen es bereits vor der Hochzeit nicht genau mit der Trennung ihrer Finanzen. Andere Paare haben das gemeinsame Ziel, sich steuerlich besonders findig zu verhalten. Schriftliche Verträge gibt es dabei nur selten. All dies zusammen führt oft zu unerwarteten wirtschaftlichen Folgen bei einer Scheidung, wie auch in diesem Fall vor dem Amtsgericht Hamburg (AG).
Am 10.12.2016 fand die Hochzeit statt. Drei Wochen vorher überwies der Mann an die Frau 200.000 EUR mit dem Betreff "Darlehen für Baufinanzierung". Die Frau leitete das Geld an ihre Eltern weiter. Dahinter stand der gemeinsame Plan, zusammen mit den Eltern der Frau ein Sechsfamilienhaus in Kroatien zur Vermietung an Feriengäste zu betreiben. Das Grundstück gehörte den Eltern, das Haus befand sich im Rohbauzustand. Das Paar hatte den Wunsch, Schenkungsteuer zu vermeiden, wie sich aus einer parallelen WhatsApp-Korrespondenz ergibt. Deshalb war die Überweisung vom Mann an die Frau als Darlehen bezeichnet gewesen. Nur zwei Jahre später lief schon das Scheidungsverfahren, und der Mann wollte seine 200.000 EUR zurück. Er versuchte das über eine Darlehenskündigung. Die Frau bestritt, dass der Mann ihr ein Darlehen gewährt habe: Er sei damals großzügig gewesen, weil er sich das habe leisten können. Sie bestritt auch den Vortrag des Mannes, die 200.000 EUR seien dafür gedacht gewesen, dass sie nach Fertigstellung Eigentümerin der Wohnung werde - wie bei einem Bauträgermodell. Sie bestritt auch, dass sie zurzeit Vermietungseinkünfte daraus habe. Dass sie im Internet als Ansprechpartnerin zu finden sei, sei nur eine organisatorische Unterstützung ihrer Eltern.
Das AG stellte fest, dass kein Darlehensvertrag zustande gekommen sei. Der Verwendungszweck "Darlehen" allein genüge nicht, denn es fehle am damaligen Rechtsbindungswillen der Frau. Aus der WhatsApp-Korrespondenz sei zu entnehmen, dass der Betrag zum endgültigen Verbleib in Kroatien gedacht war. Die Bezeichnung "Darlehen" diente lediglich der Vermeidung von Schenkungsteuer. Zudem gab es keinen Beweis für die Behauptung des Mannes, die Frau habe Eigentümerin der Wohnung werden sollen. Dazu unterstellte das Gericht, dass der Betrag nicht ohne Gegenleistungsgedanken geflossen war. Die Tatsache, dass sie im Internet als Vermieterin der Wohnung auftrat, belegte zusammen mit der WhatsApp-Korrespondenz, dass die Frau - wenn schon nicht Eigentum - den wirtschaftlichen Nutzen der Ferienwohnung bekommen sollte. Diese gemeinsame Vorstellung sei Geschäftsgrundlage der Überweisung von 200.000 EUR an die (Schwieger-)Eltern gewesen. Beim Austausch über Details der Einrichtung der Wohnung sei immer in der Wir-Form gesprochen worden, es sei daher als gemeinsames Investitionsvorhaben auszulegen.
Mit dem endgültigen Scheitern der Ehe sei die Geschäftsgrundlage dieser Vereinbarung entfallen. Weil die Immobilie erst danach fertiggestellt worden war, hatte der Mann an der Investition nie partizipiert. Daher bekam er nicht die 200.000 EUR zurück, sondern nur die Hälfte. Denn wäre die Ehe nicht gescheitert, hätte der Mann die Früchte seiner Investition nicht allein genossen, sondern gemeinsam mit der Frau.
Hinweis: Die Entscheidung ist übertragbar auf andere Sachverhalte, in denen der Zugewinnausgleich keine Lösung bietet, zum Beispiel wenn bei Gütertrennung größere Geldbeträge zwischen Eheleuten transferiert werden.
Quelle: AG Hamburg, Beschl. v. 10.11.2022 - 277 F 262/20
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 06/2023)
Zum Thema Mietrecht
- Beschlusszwang: Ohne Absprachen sind auch in einer Zweiparteien-WEG bauliche Veränderungen unzulässig
- Neues zum Jahrhunderthochwasser: Klauseln mit unangemessener Benachteiligung sind unwirksam
- Ungeschickte Verwalterwahl: Eigentümerversammlung sollte an möglichst neutralen Orten stattfinden
- Verbotene Eigenmacht: Gewaltsamer Zutritt des Vermieters zieht Schadensersatzforderungen nach sich
- Wohnungseigentümergemeinschaft: Teil der Erhaltungsrücklage darf in eine Liquiditätsrücklage umgewidmet werden
Wer eine Wohnung in einer Wohnungseigentumsanlage besitzt, gehört damit einer Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) an. Und wie das Wort "Gemeinschaft" eindeutig suggeriert, verplichtet Eigentum hier auch automatisch zu einer gewissen Form von Einigkeit. Dass sich daran nichts ändert, wenn die WEG lediglich aus zwei Parteien besteht, bewies der Bundesgerichtshof kürzlich in seinem Urteil im folgenden Fall.
Es ging um zwei Doppelhaushälften, die sich auf einem sich im Gemeinschaftseigentum stehenden Grundstück befanden. Die Eigentümer der beiden Doppelhaushälften bildeten somit eine WEG. Nach der Gemeinschaftsordnung stand jedem Wohnungseigentümer ein Sondernutzungsrecht an der jeweiligen Haushälfte und dem anschließenden Gartenteil zu. Die einen Nachbarn beabsichtigten nun den Bau eines Swimmingpools in der von ihnen genutzten Hälfte des Gartens. Nachdem sie mit dem Bau des Swimmingpools begonnen hatten, legte die Nachbarin Unterlassungsklage ein - und kam damit durch.
Ein Wohnungseigentümer, der eine in der Gemeinschaftsordnung nicht vorgesehene bauliche Veränderung vornehmen will, muss einen Gestattungsbeschluss notfalls im Wege der Beschlussersetzungsklage herbeiführen, ehe mit der Baumaßnahme begonnen wird.
Hinweis: Bei baulichen Veränderungen in der Wohnungseigentumsanlage ist also stets zuvor ein Beschluss der Wohnungseigentümer erforderlich. Ein einfaches "Drauflosbauen" kann böse und vor allem kostspielig enden. Das Ergebnis bedeutet im Übrigen nicht, dass der Eigentümer seinen Swimmingpool nicht bauen darf. Er muss jedoch immer zunächst einen Beschluss herbeiführen, im Zweifel über das Gericht.
Quelle: BGH, Urt. v. 17.03.2023 - V ZR 140/22
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 06/2023)
Immer wieder versuchen besonders Gewerbevermieter, die Vertragsausgestaltung zu ihren Gunsten zu gewichten. Und tatsächlich sind Gewerbemieter nicht so geschützt wie die Mieter von Wohnräumen. Ob sich aber Vermieter von Gewerbeflächen einen so weiten Spielraum einräumen dürfen, ihren Mietern selbst bei bei höherer Gewalt wie dem Jahrhunderthochwasser das Kündigungsrecht zu versagen und ihnen lediglich die Mietzahlung zu erlassen, musste das Landgericht Hagen (LG) klären.
Es ging um einen Ladenmietvertrag in einem Einkaufszentrum. Dieser enthielt eine Klausel, wonach das Mietverhältnis in Fällen höherer Gewalt nicht erlischt, sondern lediglich die Pflicht der Mieterin zur Zahlung der Miete endet. Zudem war eine Kündigungsmöglichkeit nur dem Vermieter vorbehalten. Dann kam das Hochwasser vom 14.07.2021. Nachdem die Räumlichkeiten elf Monate nicht zur Verfügung gestanden hatten und eine Wiedereröffnung nicht absehbar war, kündigte die Mieterin den Mietvertrag im Juni 2022. Als die Vermieterin das nicht akzeptierte, klagte die Mieterin auf Feststellung, dass kein Mietverhältnis mehr bestehe.
Mit ihrer Klage lag die Mieterin nach Ansicht des LG richtig. Eine Klausel in einem Gewerbemietvertrag, wonach das Mietverhältnis bei höherer Gewalt nicht erlischt, sondern lediglich die Pflicht der Mieterin zur Zahlung der Miete endet, ist unwirksam. Die gewerbliche Mieterin war allein durch den Entfall der Mietzahlung nicht hinreichend geschützt, da allein mit der Ersparnis der Miete die Unternehmerin keinen Gewinn erzielen konnte. Dies könne allein durch die Geschäftstätigkeit ermöglicht werden. Wäre sie weiterhin an den Vertrag gebunden, könnte sie nur über das Risiko doppelter Vertragsbindung durch einen weiteren Mietvertrag erreichen, auf dem Markt weiter sichtbar zu bleiben. Das erschien jedoch dem Gericht unangemessen.
Hinweis: Mieter von Gewerberäumen haben bei höherer Gewalt also tatsächlich ein Recht zur fristlosen Kündigung. Das kann auch nicht durch das Kleingedruckte im Mietvertrag ausgeschlossen werden.
Quelle: LG Hagen, Urt. v. 08.02.2023 - 23 O 36/22
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(aus: Ausgabe 06/2023)
Regelmäßige Eigentümerversammlungen sind vorgeschrieben, wo diese stattzufinden haben, aber nicht. Dass sie vom Verwalter besser auf einigermaßen neutralem Ort ausgestaltet werden sollten, zeigt der folgende Fall. Denn das Landgericht Frankfurt am Main (LG) musste bewerten, ob Beschlüsse rechtmäßig getroffen wurden, wenn eine der Eigentümerparteien sich mit dem anberaumten Versammlungsort nicht hat arrangieren können und daher fernblieb. Ob starrsinnig oder nachvollziehbar - lesen Sie selbst.
An der Eigentümerversammlung sollten eigentlich drei Personen teilnehmen: der Verwalter und die beiden (untereinander zerstrittenen) Eigentümerinnen. Als Versammlungsort wählte der Verwalter ausgerechnet die Terrasse der einen Eigentümerin. Diese Terrasse lag zwar auf Gemeinschaftseigentum, wurde faktisch jedoch nur von der einen Eigentümerin genutzt. Deshalb war auch nur die Nutzerin der Terrasse da, die andere Eigentümerin blieb der Versammlung fern. Trotzdem wurden auf der Eigentümerversammlung Beschlüsse gefasst. Dagegen wehrte sich die andere Eigentümerin, die an der Versammlung nicht teilgenommen hatte. Sie meinte, der Versammlungsort sei für sie unzumutbar gewesen. Und damit lag sie richtig.
Auch laut LG ist die Teilnahme an einer Eigentümerversammlung auf der Terrasse einer Miteigentümerin, mit der die andere Eigentümerin seit Jahren im Streit liegt, auch dann unzumutbar, wenn die Terrasse zwar im Gemeinschaftseigentum liegt, aber faktisch alleine von der Miteigentümerin genutzt wird. Deshalb waren sämtliche auf dieser Versammlung gefassten Beschlüsse unwirksam.
Hinweis: Kein Verwalter sollte Orte für Eigentümerversammlungen wie in diesem Fall wählen. Denn wie man sieht, macht das Entscheidungen nur angreifbar.
Quelle: LG Frankfurt am Main, Urt. v. 02.02.2023 - 2-13 S 80/22
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(aus: Ausgabe 06/2023)
Der folgende Fall zeigt wieder einmal hervorragend, wie schnell man als Vermieter falsch liegen kann, wenn es ums eigene Recht geht. Dass hier das konsequente Hinzuziehen eines Mietrechtsanwalts anzuraten gewesen wäre, beweist auch das eindeutige Urteil, das vom Oberlandesgericht Hamm (OLG) gesprochen wurde.
Es ging um ein bebautes Gewerbegrundstück. Der spätere Mieter wollte das Grundstück eigentlich kaufen, doch schließlich einigten sich Interessent und Vermieterin auf einen vorgeschalteten, noch abzuschließenden Mietvertrag für die Dauer von zwei Jahren. Zu einem Verkauf oder zu einem Abschluss des Mietvertrags kam es aber nicht mehr - wohl aber zu einer Übergabe an den Mieter. Mietzahlungen erbrachte dieser jedoch nur in geringem Umfang; er wies darauf hin, dass sich in dem sich auf dem Grundstück befindlichen Wohngebäude ein umfangreicher Schwarzschimmelbefall gezeigt habe. Schließlich kündigte die Vermieterin, und die Parteien einigten sich im Gerichtsprozess darauf, dass der Mieter das Grundstück räumen sollte. Hinsichtlich des ebenfalls streitigen Zahlungsanspruchs beantragten beide Parteien, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen. Noch vor dem in dem Vergleich vereinbarten Räumungstermin verschaffte sich die Vermieterin jedoch gewaltsam Zutritt zum Wohnhaus, verwies den Mieter des Grundstücks und tauschte die Schlösser aus. Später wurde das Grundstück an einen Dritten verkauft. Schließlich nahm der Mieter die Vermieterin auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von knapp 230.000 EUR in Anspruch. Es ging um Gegenstände, die die Vermieterin rechtswidrig erlangt und abschließend entweder entsorgt oder verkauft habe.
Zwar wurde die Angelegenheit bezüglich der Schadenshöhe an die Vorinstanz zurückverwiesen - dass allerdings ein Anspruch grundsätzlich besteht, hat das OLG hier bereits eindeutig klargemacht. Die Vermieterin ist zum Schadensersatz verpflichtet, da sie vorsätzlich mit verbotener Eigenmacht gehandelt hatte. Das schließt im Übrigen auch die Aufrechnung mit eigenen Schadensersatzansprüchen der Vermieterin aus. Da kein wirksamer Mietvertrag zustande gekommen war, gab es insbesondere auch kein Vermieterpfandrecht der Vermieterin. Außerdem hatte sich die Vermieterin selbst schadensersatzpflichtig gemacht, da sie zu Unrecht zurückgehaltene Sachen des Mieters im Anschluss an die Inbesitznahme veräußert oder entsorgt hatte.
Hinweis: Die Zwangsräumung ist Aufgabe des Gerichtsvollziehers. Vermieter sollten nicht alleine das Recht in die Hand nehmen. Denn das ist nicht nur verboten, sondern häufig auch strafbar.
Quelle: OLG Hamm, Urt. v. 21.12.2022 - 11 U 119/21
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 06/2023)
Die Erhaltungsrücklage dient - so deutet es schon der Name bereits an - als finanzieller Puffer einer Wohnungseigentümergemeinschaft für anstehende Instandhaltungsmaßnahmen. Ob aus einer solchen Erhaltungsrücklage auch Entnahmen zur Bildung einer "Liquiditätsrücklage" getätigt werden dürfen, musste das Amtsgericht Köln (AG) nach Zweifeln einer Eigentümerin an einer solchen beschlossenen Umwidmung beantworten.
Eine Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) beschloss zur Sicherung der Zahlungsfähigkeit der Eigentümergemeinschaft im Fall von finanziellen Engpässen die Bildung einer Liquiditätsrücklage in Höhe von 200.000 EUR pro Jahr. Um diese Summe aufzubringen, sollte die bestehende Erhaltungsrücklage in dieser Höhe aufgelöst werden. Der Betrag sollte dauerhaft auf dem Girokonto verbleiben. Dagegen klagte eine Eigentümerin.
Das AG hat den Beschluss der WEG jedoch bestätigt. Es kann durchaus einer ordnungsgemäßen Verwaltung entsprechen, einen Teil der Erhaltungsrücklage in eine Liquiditätsrücklage umzuwidmen. Das gilt selbst dann, wenn Erhaltungsmaßnahmen anstehen, deren voraussichtliche Kosten den Betrag der vorhandenen Erhaltungsrücklage deutlich übersteigen.
Hinweis: Stets sollte eine sogenannte eiserne Reserve in der Rücklage verbleiben. Wie hoch diese sein sollte, kommt aber stets auf den Einzelfall an.
Quelle: AG Köln, Urt. v. 17.01.2023 - 215 C 48/22
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(aus: Ausgabe 06/2023)
Zum Thema Sonstiges
- Ausnahmevorschrift für Rücktritt: Bei Reisebuchung bereits bekannte Pandemie ist kein "außergewöhnlicher Umstand" mehr
- Keine Corona-Tests erforderlich: Preisminderung, weil der Gastwirt die Hochzeit erheblich störte
- Negativzinsen: Verwahrentgelte für Einlagen auf Girokonten sind rechtmäßig
- Sperrung des Facebookkontos: Eilverfahren verhindert Kontolöschung, beschleunigt aber nicht die Freischaltung
- Vertraglich geschuldete Leistung: BGH bejaht Ersatzanspruch von Bonusmeilen bei Reiserücktrittskostenversicherung
Das "Reisen in Pandemiezeiten" könnte als Rechtsratgeber womöglich bald Regale füllen. Doch noch müssen viele Fälle ausverhandelt werden - so wie der folgende. Hier stellte sich die Frage, ob man von einer Reise zurücktreten kann, die man erst nach dem Pandemieausbruch gebucht hat. Mit der Beantwortung dieser Frage wurde das Landgericht Koblenz (LG) betraut.
Ende April 2021 buchte ein Mann für sich und seine Frau eine zweiwöchige Kreuzfahrt im Januar 2022 für über 7.000 EUR. Einen Monat vor Beginn der Kreuzfahrt informierte der Reiseveranstalter, dass der gebuchte Landausgang zum Besuch eines Konzerts wegen coronabedingter Einschränkungen storniert werden müsse. Als das Auswärtige Amt dann das Reiseland sogar als Hochrisikogebiet einstufte, trat der Mann von der Reise zurück und verlangte die Rückerstattung des gezahlten Reisepreises. Der Reiseveranstalter erstattete jedoch nur 10 %. Dagegen klagte der Mann - vergeblich.
Er konnte laut AG nämlich nicht kostenfrei von der gebuchten Reise zurücktreten. Zwar gibt es grundsätzlich eine Ausnahmevorschrift für eine Möglichkeit des Rücktritts vor einem außergewöhnlichen Umstand. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Reise vor dem Ausrufen der Pandemie durch die Weltgesundheitsorganisation am 11.03.2020 gebucht worden war. Das war jedoch nicht der Fall. Wenn eine Buchung trotz des Risikos erfolgt, ist das Eintreten des Risikos nicht mehr "außergewöhnlich", so dass die Möglichkeit eines Rücktritts somit auch nicht mehr besteht.
Hinweis: Wer also nach Beginn der Pandemie gebucht hat, dem kommen wesentlich weniger Rechte zu als demjenigen, der eine Reise vor Ausbruch der Pandemie gebucht hat.
Quelle: LG Koblenz, Urt. v. 01.02.2023 - 3 O 140/22
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(aus: Ausgabe 06/2023)
Zweieinhalb Jahre Pandemie hatten dem Restaurantbetreiber zum Zeitpunkt des folgenden Falls sicherlich schwer zugesetzt. Die Gastronomie litt schließlich besonders hart unter den Kontaktverboten, und das Verstärken, Lockern und erneute Verstärken behördlicher Maßnahmen trugen sicherlich nicht zur Klarheit über aktuell geltende Vorgaben bei. Dennoch musste das Amtsgericht München (AG) hier Recht sprechen - und zwar auf Handeln eines Paars hin, das sich durch die übertriebene Vorsicht des Gastwirts um den "schönsten Tag ihres Lebens" gebracht sah.
Das Ehepaar hatte für Ende Juni 2022 in einer Gaststätte auf Sylt die Ausrichtung einer Hochzeitsfeier gebucht. Am Tag der Hochzeit wurde der Vater der Braut positiv auf Covid getestet. Nun wurden gemeinsam Lösungen gesucht. Der Vater der Braut konnte schließlich in der Art an der Feier teilnehmen, dass er sich im Außenbereich des Restaurants aufhielt und durch ein Fenster der Zeremonie beiwohnen konnte. Das reichte dem Restaurantbesitzer jedoch nicht aus, so dass er vor Einlass in den Innenbereich des Restaurants auch für alle übrigen 76 Gäste einen Corona-Test verlangte. Das Hochzeitspaar akzeptierte die Forderung, um die Feier nicht platzen zu lassen. Sämtliche Gäste wurden daraufhin getestet. Da auch der Vater des Bräutigams dabei positiv getestet wurde, musste er sich zum Vater der Braut in den Außenbereich begeben. Durch die Testung verzögerte sich der Beginn des Abendessens um zwei Stunden. Zudem führt dieses zu erheblichen Auseinandersetzungen innerhalb der Hochzeitsgesellschaft. Schließlich ging es um die Bezahlung der Feier - 20 % des Rechnungsbetrags von etwas über 20.000 EUR behielt das Hochzeitspaar ein. Die Gaststätte verlangte nun den Rest.
Nach Ansicht des AG konnte die Gaststätte jedoch nur 85 % des Rechnungsbetrags verlangen. Denn in den Augen des Gerichts lag eine erhebliche und nicht mehr rechtlich gerechtfertigte Störung durch die Durchführung der Corona-Tests bei allen Gästen vor. Eine gesetzliche Verpflichtung dazu gab es im Zeitpunkt der Hochzeitsfeier nämlich nicht mehr. Nach der damals geltenden Rechtslage waren selbst Kontaktpersonen eines Infizierten nicht einmal mehr zur Isolation verpflichtet, und auch eine Pflicht zur Testung bestand für sie nicht.
Hinweis: Da hat der Inhaber der Gaststätte einiges übertrieben. Corona-Tests waren im Zeitraum nicht (mehr) erforderlich und stellten somit einen erheblichen Mangel bei der Hochzeit dar.
Quelle: AG München, Urt. v. 23.01.2023 - 132 C 12148/22
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(aus: Ausgabe 06/2023)
Das Thema Negativzinsen sorgt sowohl bei Banken als auch bei Anlegern für Aufregung. Ob von Banken neben Kontoführungsgebühren weitere Entgelte für die reine Verwahrung des Angesparten erhoben werden dürfen, musste das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) beantworten.
Eine Bank führte seit April 2020 für Girokonten neben einer monatlichen Kontoführungsgebühr ein sogenanntes Verwahrentgelt ein, was sie durch Preisaushang in ihren Geschäftsräumen den Kunden mitgeteilt hat. Im Fall der Neuanlage/Neuvereinbarung sollten die Kunden für Einlagen von über 10.000 EUR somit ein Entgelt in Höhe von 0,5 % pro Jahr zahlen. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen hielt dies für rechtswidrig und klagte dagegen - ohne Erfolg.
Die Bank durfte laut OLG bei Neuanlagen auf Girokonten neben einer monatlichen Kontoführungsgebühr durchaus ein Verwahrentgelt von ihren Kunden verlangen. Die sogenannten Negativzinsen bei Girokonten können also rechtmäßig sein. Bei dem Entgelt für die Verwahrung handelt es sich um ein Entgelt für eine Hauptleistung und nicht um ein solches für eine bloße Nebenleistung zur Erbringung von Zahlungsdienstleistungen. Auch eine daneben berechnete Kontoführungsgebühr steht dem also nicht entgegen.
Hinweis: Sogenannte Strafzinsen auf Girokonten können - wenn die Bank alles richtig macht - rechtmäßig sein. Es kommt (wie immer!) auf den Einzelfall an. Wegen der Bedeutung der Sache wurde die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen.
Quelle: OLG Düsseldorf, Urt. v. 30.03.2023 - I-20 U 16/22
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(aus: Ausgabe 06/2023)
Ob man wirklich gehackt wurde oder eher selbstverschuldet einer falschen E-Mail aufgesessen ist? Egal, denn ein falscher Klick und das Social-Media-Konto ist schnell gesperrt - für viele Menschen ein Drama. Was für die meisten unter ihnen den Draht zur Welt bedeutet, ist für andere zudem auch eine Frage der beruflichen Existenz. Was gegen eine solche Sperre zu tun ist und was leider nicht, zeigt der folgende Fall des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG).
Eine Frau hatte ein Facebookkonto, das von Facebook gesperrt und deaktiviert wurde. Grund dafür sei gewesen, dass die sogenannten Standards der Facebookgemeinschaft nicht eingehalten worden seien. Die Frau behauptete jedoch, ihr Konto sei "gehackt" worden, und beantragte daraufhin eine einstweilige Verfügung. Facebook sollte verpflichtet werden, das Konto wiederherzustellen und ihr die Nutzung wieder zu ermöglichen. Außerdem sollte Facebook verboten werden, das Konto unwiederbringlich zu löschen. Das erstinstanzliche Landgericht untersagte Facebook, das Konto unwiederbringlich zu löschen. Eine Nutzungsmöglichkeit gewährte es der Frau jedoch nicht. Dagegen zog die Frau vor das OLG.
Das OLG half ihr aber auch nicht weiter. Wurde ein privat genutztes Facebookkonto aus Sicherheitsgründen gesperrt, hat der Nutzer im Eilverfahren keinen Anspruch auf Freischaltung. Das gilt jedenfalls dann, wenn Facebook bereits die unwiederbringliche Kontolöschung untersagt wurde. Dass der Nutzer vorübergehend bis zum Abschluss eines etwaigen Hauptverfahrens seine privaten Kontakte über Facebook nicht pflegen kann, ist hinzunehmen.
Hinweis: Viele Menschen sind auf Facebookkonten angewiesen, da sie diese beruflich nutzen. Schnell ist zu erkennen, dass diese Fälle nur durch einen Spezialisten gelöst werden können - im Zweifel durch einen Rechtsanwalt.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 27.03.2023 - 17 W 8/23
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(aus: Ausgabe 06/2023)
Eine Versicherung über eine Reiserücktrittskostenerstattung kann eine sehr sinnvolle Sache sein. Ob man als Reisender darüber auch eingesetzte, aber eben nicht in Anspruch genommene Bonusmeilen erstattet bekommen kann, war eine rechtlich interessante Frage, die final erst vom Bundesgerichtshof (BGH) beantwortet werden konnte.
Ein Mann machte als mitversicherte Person Ansprüche aus einer Reiserücktrittskostenversicherung geltend. Der Reiseschutzbrief umfasste unter anderem eine "Reiserücktrittskostenversicherung für die Absicherung eines Reisepreises von 3.000 EUR". Dann buchte der Mann bei einer Fluggesellschaft den Hin- und Rückflug von Deutschland in die USA. Er bezahlte mit Bonusmeilen aus einem von der Fluggesellschaft angebotenen Bonusprogramm. Aufgrund einer Erkrankung musste er dann jedoch die Flugreise stornieren. Die eingesetzten Bonusmeilen wurden ihm jedoch von der Fluggesellschaft entsprechend den vereinbarten Bedingungen nicht erstattet. Daher verlangte er nun von dem Versicherungsunternehmen eine Entschädigung für die eingesetzten Bonusmeilen bis zur versicherungsvertraglich vereinbarten Haftungshöchstsumme von 3.000 EUR. Und die erhielt er auch.
Denn die vom Versicherer im Versicherungsfall zu leistende Entschädigung für die einem Reiseunternehmen vertraglich geschuldeten Rücktrittskosten umfasst auch den Ersatz für Bonusmeilen. Eine Beschränkung auf Geldzahlungen hat der BGH nicht angenommen.
Hinweis: Auch im Reiserecht ist eben nicht jeder Fall wie der andere. Helfen kann in jedem Fall der Rechtsanwalt des Vertrauens.
Quelle: BGH, Urt. v. 01.03.2023 - IV ZR 112/22
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(aus: Ausgabe 06/2023)
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